I N T E R V I E W „Die nationale Souveränität der Philippinen steht obenan“

■ Tony Zumel von der philippinischen Guerillaorganisation NDF über ihr Programm, die Chancen der bevorstehenden Friedensverhandlungen und die internen Probleme der Bewegung /Wichtigste Voraussetzung für einen dauerhaften Frieden ist die Beseitigung der repressiven Strukturens / Das Gespräch führte Nina Boschmann

Ganz gleich, was bei den am 27. Dezember beginnenden Friedensverhandlungen mit der Regierung Aquino herauskommen wird, die Propagandaschlacht hat die linke philippinische Guerillafrontorganisation NDF heute schon gewonnen. Kein Tag vergeht, an dem die Verhandlungsführer Tony Zumel, Carolina „Bobbie“ Malay–Ocampo und Satur Ocampo nicht im Fernsehen oder in den Schlagzeilen auftauchen. Schon macht das böse Wort vom Cocktail Kommunismus die Runde, die „National Democratic Front“ fordert jedoch nur ein, was ihr bei den Waffenstillstandsverhandlungen mit der Regierung garantiert wurde: offenen Zugang zu den Medien. Zumel, Ocampo und Malay wissen den gewährten Spielraum optimal zu nutzen, denn alle drei stammen aus der Zunft der Schreiberlinge. Der 54jährige Tony Zumel gab vor der Verhängung des Kriegsrechts durch Marcos eine Tageszeitung heraus und war Vorsitzender des Nationalen Presseclubs, Satur Ocampo leitete das Wirtschaftsressort eines anderen führenden Blattes, und Bobbie Malay arbeitete als Reporterin. Alle drei gingen 1972 in den Untergrund. Ocampo wurde später verhaftet, konnte sich jedoch 1985 anläßlich eines Hafturlaubs absetzen. Die genaue Position der drei in den Untergrundorganisationen ist nicht bekannt, da die philippinische KP, die NDF und die NPA–Guerilla ihre Führer nicht öffentlich herausstellen. Umso größer scheint das Bedürfnis der Philippinos nach „human touch“: „Ihr habt Euch die feinen Klamotten geliehen“, will man etwa vom Genossen Satur wissen und TV–Moderatoren bestaunen „Bobbies“ Treue während der langen Haftzeit ihres Gatten. Das taz–Interview mit Tony Zumel wurde noch vor Beginn des brüchigen Waffenstillstandes klandestin arrangiert und fand Anfang Dezember in einem Vorort von Manila statt: ein Bodyguard unauffällig hinterm Gartenzaun, „Bobbie“ Malay verschlafen am Frühstückstisch und Tonys kleine Tochter durfte auch mitspielen. taz: Was erwartet die NDF von den am 27. Dezember beginnenden Friedensverhandlungen? Werdet Ihr Eure gesellschaftspolitischen Vorstellungen durchsetzen können? Tony Zumel: Grundsätzlich gesagt: wir verhandeln, weil wir den bewaffneten Konflikt in unserem Land beilegen wollen. Als Aquino an die Macht kam, hat sie erklärt, sie wolle über einen Waffenstillstand verhandeln. Später zeigte sie dann auch Interesse an einem dauerhaften Frieden. Grundlage der Verhandlungen ist unsere gemeinsame Überzeugung, daß ein dauerhafter Friede nur erreicht werden kann, wenn die repressiven Strukturen in der Gesellschaft abgeschafft werden. Nach unserer Analyse sind die Philippinen halbkolonial und halbfeudal. Das ist die Grundlage für die Unterdrückung unseres Volkes. Dementsprechend wird es in der zweiten und wesentlichen Phase der Verhandlungen mit der Regierung Aquino mit Sicherheit um die Punkte Menschenrechte, nationale Souveränität, Lebensstandard (“peoples welfare“) und damit um die Voraussetzungen für einen dauerhaften Frieden gehen. Im Zwölf–Punkte–Programm der NDF steht die Erlangung der nationalen Souveränität an oberster Stelle. Der US–Imperialismus dominiert weite Teile unserer Wirtschaft und auch unseres sozialen Lebens. Wir fordern daher die Abschaffung aller „ungleichen Verträge“ mit den USA. Darunter fallen sowohl die Wirtschaftsabkommen als auch die Verträge über die Militärstützpunkte. Wir wollen ein unabhängiges Land sein. Was die Punkte „peoples welfare“ und Menschenrechte angeht, muß ich etwas weiter ausholen: die Mehrheit der philippinischen Bevölkerung besteht aus Arbeitern und Bauern. Von den Bauern, die bei weitem die größte Gruppe stellen, besitzen die meisten keinen Zentimeter Land und zahlen horrende Pachtraten. Untersuchungen haben ergeben, daß 85 oder mehr Prozent der Bevölkerung hungern oder unterernährt sind, sich keine ausreichende Kleidung und keine angemessene Wohnung leisten können. 60 Prozent der arbeitsfähigen Bevölkerung sind arbeitslos oder unterbeschäftigt, und unzählige Frauen und Kinder verkaufen ihre Körper, um satt zu werden. Unter diesen Bedingungen ist die Landfrage nicht von der Forderung nach Demokratie zu trennen. Wir wollen eine grundlegende Landreform, die den feudalen und semifeudalen Ausbeutungsstrukturen den Boden entzieht. Um die von Euch angeprangerten „halbfeudalen Strukturen“ scheint die Präsidentin sich aber nicht sehr viele Sorgen zu machen, und eine großangelegte Umverteilung von Land hat sie definitiv ausgeschlossen... Das ist in der Tat ein Problem. Aquino kommt selbst aus einer landbesitzenden Familie und fühlt sich in diesen Kreisen auch ganz wohl. Im Ministerium für Agrarreform wird zur Zeit angeblich ein neues Programm ausgearbeitet, das wir noch nicht zu Gesicht bekommen haben. Eure Gesellschaftsanalyse hat sich nach dem Sturz von Marcos offenbar kaum verändert. Denkt Ihr nicht, daß durch die weitgehende Enteignung der Marcosgünstlinge der von Euch sogenannte „bürokratische Kapitalismus“ in einen ganz normalen übergehen wird? Grundsätzlich ist mit dem Begriff „bürokratischer Kapitalismus“ gemeint, daß Leute, die hohe öffentliche Ämter innehaben, dies zu ihrem persönlichen Vorteil nutzen. Vetternwirtschaft und Patronage sind immer noch verbreitet, längst nicht alle „Cronies“ (Günstlinge) sind enteignet, und einige Anhänger von Aquino treten schon in die alten Fußstapfen. Dies wird immer so bleiben, solange das Land halbkolonial und halbfeudal ist. Unabhängige Linksintellektuelle kritisieren die Überbetonung des Feudalismus bei Euch. Sie weisen darauf hin, daß es bei weitem nicht in allen Teilen der Philippinen Großgrundbesitz gibt... Natürlich sind die Philippinen nicht mehr rein feudalistisch. Der Kapitalismus hat Fortschritte gemacht. Aber aufgrund des Imperialismus konnte das einheimische Kapital das nicht zu seinem Vorteil nutzen. Der größte Teil des Bodens befindet sich weiter in den Händen von Großgrundbesitzern. Deswegen sind wir auch der Ansicht, daß jetzt die nationalistische und demokratische Revolution auf der Tagesordnung steht. Andere Linke sind dafür, gleich mit der sozialistischen Revolution anzufangen. Für uns ist das eine Frage der Reihenfolge. Die philippinische KP hat ja selbst eine sozialistische Perspektive, und wenn Demokratie und Nationalismus durchgesetzt sind, werden wir den Sozialismus anpeilen, nicht aber vorher. Abgesehen von diesem Punkt übrigens sind sich die verschiedenen Gruppen der Linken politisch einig. Dein Mitstreiter Satur Ocampo hat kürzlich erklärt, die NDF strebe im Zusammenhang mit den Friedensgesprächen eine demokratische Koalitionsregierung an. Aquino hat ja nun jedwede Form der Machtbeteiligung Eurerseits ausgeschlossen... Wenn wir im programmatischen Sinn von einer „demokratischen Koalitionsregierung“ reden, meinen wir ein breites Bündnis aller fortschrittlichen und revolutionären Kräfte, nach oder während der nationalistischen und demokratischen Revolution. Kurzfristig steht aber bestenfalls eine Koalition mit den Liberalen aus dem Regierungslager an, wenn die Aquino–Fraktion im Verlauf der Verhandlungen eine Position links von der Mitte einnimmt. Was sind denn für Euch revolutionäre Kräfte? Fallen die moslemische Guerilla im Süden und die im Norden agierende CPLA Eures ehemaligen Mitgliedes Conrado Balweg ebenfalls darunter? Was die Moro National Liberation Front angeht, so stützen wir ihr Verlangen nach Selbstbestimmung für die islamische Bevölkerung. Das ist ein demokratisches Prinzip. Insofern betrachten wir sie als revolutionäre Organisation. Daneben spricht MNLF– Chef Nur Misuari von islamischem Sozialismus. Darunter können wir uns vorerst wenig vorstellen. Pater Balweg war ja bis vor einem halben Jahr selbst Mitglied der NPA. Dann stimmte er mit unserer Linie nicht mehr überein und gründete seine eigene Organisation. Solange er dies im Interesse der Bevölkerung tut, betrachten wir die CPLA als brüderliche Organisation. Bis jetzt sind wir noch in Kontakt. Wir müssen sehen, ob er in Zukunft mit unseren Feinden kollaboriert. Kannst Du präzisieren, worin der Konflikt zwischen Pater Balweg und Euch besteht? Balweg hat ja offenbar die Belange der Bergbevölkerung stärker betont, als Euch lieb ist. Gibt es Parallelen zu den Problemen, die die Sandinisten in Nicaragua mit den Miskito–Indianern haben? Balweg ist in sehr entscheidenden Punkten anderer Ansicht als wir. Zum Beispiel sagt er, daß es in den Kordilleren keinen Feudalismus gibt und die Igorot (Sammelbezeichnung für die Stämme des bergigen Nordens von Luzon) ausschließlich für die Belange der Kordilleren kämpfen sollen. Wie kann man nur seinen Teil der Philippinen befreien, ohne den Rest des Landes einzubeziehen? Die NPA soll auf einigen Inseln, v.a. auf Mindanao, sehr erfolgreich von Agenten der Regierung unterwandert worden sein. Es wurden Massengräber entdeckt... Wir unterscheiden bei den Infiltrierten zwischen den sogenannten sleepers und den acting agents. Ein sleeper ist lange Zeit in der Organisation, profiliert sich aber nicht besonders, sondern schickt nur seine Berichte an die Regierung. Der acting agent dagegen identifiziert die Führer der Bewegung, bringt sie um und verschwindet. Under–Cover–Agenten, die sogenannten Zombies, werden vorzugsweise in Gebiete geschickt, in denen wir expandieren und dort vor allem in die Massenorganisationen. Sie kommen also als Mitglied einer Bauern– oder Jugendorganisation zu uns und treten erst später in die Partei oder die Guerilla ein. Dieses Problem ist erstmals 1979 aufgetaucht und seither periodisch immer wieder. Betroffen waren sowohl die Visayas–Inseln als auch Mindanao und die Quezon–Bicol–Grenzprovinz, also Gebiete in allen Teilen der Philippinen. In Mindanao war das Problem besonders gravierend, weil wir dort schnell gewachsen sind und mit der Auswahl neuer Mitglieder nicht sehr vorsichtig waren. Die Aktivitäten dieser Agenten haben zur Verhaftung zahlreicher Genossen g Wie stark ist denn die NDF bzw. sind ihre Mitgliederorganisationen? Ich kann dir nur eine grobe Schätzung geben. Die sogenannte Massenbasis wird auf rund zehn Millionen Filipinos geschätzt, also rund 20 Prozent der Bevölkerung. Von diesen prinzipiellen Sympathisanten ist aber nur ein kleiner Teil in einer der sektoralen Mitgliedsorganisationen aktiv. Die größte Organisation innerhalb der NDF ist die Kommunistische Partei, die CPP. Ende letzten Jahres hatte sie 30.000 Mitglieder. Die New Peoples Army hatte zur gleichen Zeit ebenfalls rund 30.000 Kämpfer und Nachschubkräfte. Dabei sind die Volksmilizen nicht mitgezählt. Diese Milizen sind das, was in der westlichen Presse i.a. als „Farmer am Tag, Rebellen in der Nacht“ bezeichnet wird. Das heißt natürlich nicht, daß sie bei Bedarf nicht auch mal am Tag Guerilleros sein könnten. Über die Zahl der Schnellfeuergewehre und anderer moderner Waffen kann ich wenig sagen. Die USA behaupten, es seien 35.000. Ich denke, das ist weit übertrieben. Irgendwas über 23.000 ist wohl realistisch. Die Mitgliederzahl der anderen NDF– Organisationen ist kein guter Indikator für ihren Einfluß, da sie durchweg relativ gering ist. Der innere Kern der „Christians for national liberation“ besteht nur aus wenigen Priestern und Nonnen, aber ihr Einfluß ist im ganzen Land spürbar. Es heißt, die NPA wird von der Kommunistischen Partei CPP geführt. Was heißt das? Die CPP hat die NPA ins Leben gerufen und sie führt sie politisch. Man kann sagen: Die NPA ist der bewaffnete Arm der CPP. Aber natürlich sind nicht alle Mitglieder der NPA Marxisten. Bauern treten der Guerilla bei, weil das Militär sie schikaniert. Die NPA benutzt aber die marxistische Methode zur Analyse der Verhältnisse. Die legalen Massenorganisationen klagen allesamt darüber, daß sie seit Aquinos Machtantritt Schwierigkeiten haben, neue Anhänger zu finden. Wie ist das bei Euch? In einigen Gebieten expandieren wir nicht mehr so schnell wie früher. Natürlich waren viele Leute froh, als die Diktatur endlich vorbei war, und sie wollen Aquino eine Chance geben. Aber die Verhältnisse haben sich nicht grundsätzlich geändert. Immer noch sterben Kinder an Unterernährung. Solange das nicht anders wird, werden wir weiter wachsen. Es kommt also auf die zukünftige Richtung der Regierung an. Hat sich die Counterinsurgency–Strategie der Regierung seit dem Machtwechsel geändert? Aquino selbst bevorzugt ohne Zweifel eine friedliche Beilegung des Konflikts, aber aufgrund des Drucks der Militärs und der USA ist es sehr unwahrscheinlich, daß sie damit Erfolg hat. Was haltet Ihr von den jetzt vorbereiteten „Rebellen–Wiedereingliederungs–Programmen“, die ökonomische Anreize für ehemalige Guerillakämpfer schaffen sollen? Wir sind nicht an ein paar Hektar Land und einer Amnestie interessiert. Wir wollen die Lösung der fundamentalen Probleme unseres Landes. Die Diskussion um die Amnestie ist Bauernfängerei. Sie setzt ein Schuldeingeständnis voraus. Wir haben aber keine Verbrechen am Volk begangen. Was haltet Ihr vom neuen Verteidigungsminister Ileto? Er hat eine Menge schöner Worte über die Neuorganisierung des Militärs verloren, aber grundsätzlich sehe ich keinen Unterschied zu Enrile. Das gilt auch für den Generalstabschef Ramos. Ich sage das ganz ohne persönlichen Groll, denn Ramos ist ein alter Freund von mir, während meiner Journalistenzeit habe ich über ihn berichtet. Politisch ist Ileto vielleicht sogar gefährlicher als Enrile. In Europa war bislang unbekannt, daß Satur Ocampos Frau, Bobbie Malay, bei den Verhandlungen ebenfalls eine Schlüsselposition einnimmt. War sie schon früher beteiligt oder ist Euch hinterher eingefallen, daß sich eine Frau in der Öffentlichkeitsarbeit vielleicht gut machen würde? Das bin ich schon öfter gefragt worden. Bist Du in der Frauenbewegung? Nein, aber es interessiert mich trotzdem. Also, Bobbie Malay war von Anfang an dabei und keiner von uns ist wegen seines Geschlechts ausgewählt worden. Tatsächlich gibt es auf allen Ebenen der NDF Frauen und sie nehmen auch höchste Führungspositionen ein. Ich glaube eher, daß wir gewählt worden sind, weil wir ehemalige Journalisten sind und uns deshalb mit den Medien gut auskennen. Ihr fühlt Euch sichtlich wohl in Eurer neuen Rolle. Werdet Ihr keine Schwierigkeiten haben, in den Untergrund zurückzukehren, wenn die Friedensgespräche scheitern? Sicher nicht, eher umgekehrt. Es ist für mich zum Beispiel immer noch ein komisches Gefühl, mit meinem richtigen Namen zu unterschreiben. Wir haben uns gesagt: Gut, das ist jetzt unsere Aufgabe. Wenn wir wieder in den Untergrund gehen, wird es genauso sein wie nach dem Kriegsrecht. Die Privilegien und den Medienrummel habe ich 14 Jahre lang nicht vermißt, höchstens ein paar alte Freunde.