: Weltweite Privatisierungswelle
■ Geldnot, Mißwirtschaft und Ideologie fördern die Privatisierung / Die Erlöse sind eine willkommene Aufstockung des Staatssäckels
Hamburg (dpa/taz) - Seit die konservative Regierung von Margaret Thatcher vor sieben Jahren mit dem Versprechen antrat, den umfangreichen Besitz an Staatsunternehmen in Großbritannien an private Eigentümer zu verkaufen, ist die Privatisierung auch weltweit immer populärer geworden. Teils wollen die Regierungen den Staatsbesitz versilbern, um Budgetdefizite zu decken, teils erfordert das staatliche Mismanagement politische Konsequenzen. Vorreiter der Privatisierung in den westlichen Industrieländern sind Großbritannien und Frankreich. Die konservative Regierung unter Margaret Thatcher hat bereits ein Dutzend Staatskonzerne voll– oder teilprivatisiert. Dazu gehören der Luftfahrtkonzern British Aerospace, der Ölkonzern British Petroleum, die Fernmeldegesellschaft British Telecom, der Autohersteller Jaguar und die Kanalschiffahrtslinie Sea Link. Dabei sind rund 14 Milliarden Pfund (42 Mrd DM) erlöst worden. Das Geld aus den Verkäufen floß in den Staatshaushalt und verringerte so die Kreditaufnahme zur Deckung des Defizits. Vor dem Amtsantritt von Margaret Thatcher gab es zwei Millionen Aktionäre auf den britischen Inseln, inzwischen sind es zehn Millionen. In Frankreich will die neue liberal–konservative Regierung nach der massiven Verstaatlichungswelle von Schlüsselunternehmen durch die Sozialisten 1982 in den nächsten fünf Jahren insgesamt 65 staatliche Banken, Industriekonzerne und Versicherungen in Privateigentum überführen. Bis auf wenige Unternehmen, wie die hochverschuldete Telefonbaufirma CGCT (für die sich Siemens interessiert) oder den staatlichen Fernsehsender TF 1 sollen die Aktien unter das breite Publikum gestreut werden. Als großer Erfolg erwies sich Anfang Dezember die erste Privatisierung, die dem Glaskonzern Saint–Gobain galt. Ende Januar soll die Finanzgruppe Paribas entstaatlicht werden. Die Erlöse aus den Verkäufen sind Bestandteile der Einnahmenkalkulation des Staatshaushaltes. Die Privatisierung kommt in Italien nur langsam voran. Kürzlich blockierte die Staatsholding IRI den Verkauf des Mailänder Kreditinstituts Mediobanca. Die römische Regierung will grundsätzlich in bestimmten Bereichen der staatlichen Wirtschaft die Kapitalmehrheit behalten. Nach Bekanntwerden des finanziellen Desasters bei dem Staatsunternehmen VOEST Alpine ist die Diskussion um die Privatisierung in Österreich erst in diesem Jahr richtig in Gang gekommen. Ein Teilverkauf soll helfen, den in den Bereichen Stahl, Eisen und Industrieanlagen tätigen größten österreichischen Konzern zu sanieren. In Japan hat der Aktienverkauf der erfolgreichen NTT, mit 310.000 Beschäftigten der größte Arbeitgeber des Landes, erst kürzlich begonnen und soll über vier Jahre gestreckt werden. Die Eisenbahngesellschaft, die einen Schuldenberg von 38 Billionen Yen (fast 500 Mrd. DM) vor sich herschiebt, soll in mehrere Regionalgesellschaften aufgespalten und durch Landverkäufe zum Teil saniert werden. Die Privatisierungsvorhaben in der Bundesrepublik nehmen sich wesentlich bescheidener als etwa in Großbritannien oder Frankreich aus. Im Juni dieses Jahres brachte die Teilprivatisierung des Mischkonzerns VIAG über 700 Millionen DM in die Kasse des Bundes. Im Oktober gingen 45 Prozent des in den Sektoren Transport und Wehrtechnik tätigen Unternehmens IVG an die Börse. 1987 will sich der Bund vollständig aus der VEBA und aus der Volkswagen AG zurückziehen. Politisch umstritten ist die weitere Privatisierung der Lufthansa. Der Bund und seine Sondervermögen Bahn und Post erzielten 1985 rund 323 Millionen DM Erträge aus ihren 454 unmittelbaren und mittelbaren Beteiligungen. Allein in den USA, dem klassischen Land kapitalistischer Privatinitiative kann sich der marode Staatshaushalt nicht durch Privatisierung sanieren: Es gibt einfach zu wenig Unternehmen in staatlicher Regie.
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