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Schwarzfahren in Paris so einfach wie noch nie

■ Seit Sonntag streiken die französischen Eisenbahner, seit gestern auch die Kollegen der öffentlichen Verkehrsmittel in Paris / Ein Streik, der von unten kam, und mit dem niemand gerechnet hatte / Regierung Chirac in Schwierigkeiten

Aus Paris Georg Blume

Nicht nötig, derzeit in Paris eine Fahrkarte zu kaufen, ob für Metro oder Bahn. Schwarzfahren macht Spaß, denn es ist so ungefährlich wie nie. Die Kontrolleure streiken, und mit ihnen die Fahrkartenverkäufer, Lokführer, Gepäckträger, Gleisarbeiter ... kurz, seit Sonntag haben 80 Prozent der französischen Eisenbahner die Arbeit niedergelegt, und schon gestern folgten ihnen 60 Prozent der Kollegen von den öffentlichen Verkehrsmittelbetrieben in Paris. Im ganzen Land fuhr an diesem Wochenenden einer von fünf Zügen. Dennoch keine Hektik im Menschengewühl auf den Pariser Bahnsteigen. Das Radio hat vorgewarnt. Angekommen im Gare de Lyon, ganz in der Nähe des Pariser taz–Büros, bietet sich ein seltener Anblick: da steht, wo man hinschaut, auf jedem Gleis ein „TGV“, jener orange 300 km/h– Schnellzug, Frankreichs ganzer Stolz, und keiner fährt los. Die Gewerkschaften hätten den Streik alleine nie gewagt, so kurz vor Weihnachten und zum Ärger aller Wintersportler. Noch am Sonnabend ließ die größte französische Gewerkschaft, die kommunistische CGT verlauten, daß ihre Eisenbahner „das Maximum unternehmen werden, um die Urlauber an ihr Ziel zu bringen“. Doch die Arbeiterfunktionäre, die so sprachen, kannten ihre Basis schlecht. Im letzten Moment sprangen die französischen Gewerkschaften, CGT, die sozialistische CFDT und der eigenständige Schaffnerverband FGAAC auf den fahrenden Zug und schlossen sich einem Streik an, der von unten kam, und mit dem deshalb niemand gerechnet hatte. Angefangen hatten die unabhängig organisierten Angestellten der Reservations–Schalter im Pariser Nordbahnhof am letzten Donnerstag. Sie protestierten gegen die Streichung einer Computerzulage, die nur sie betraf. Doch den Kollegen allerorts reichte das Signal. Die französische Rechtsregierung von Premierminister Jacques Chirac hat es heute mit dem bedeutendsten Arbeiterstreik ihrer neunmonatigen Amtszeit zu tun. Bisher, auch unter der linken Regierung, gab es einzelne Streik– und Aktionstage im öffentlichen Dienst, die die Gewerkschaften langfristig vorbereiteten und mit einer Mobilisierung der Basis wenig gemein hatten, ebensowenig wie sie eine Regierung beängstigen konnten. Der Ton hat sich geändert. Im Chor sprechen die liberale Le Monde und der rechte Figaro von einer „Verschlechterung des sozialen Klimas“. So etwas hatte man in einem Frankreich, wo man den Klassenkampf ideologisch und praktisch eliminiert zu haben glaubte, lange nicht gehört. Jacques Chirac reagierte sofort. Er befahl seinem Eisenbahnminister Douffiages, unmittelbare Verhandlungen mit den Streikenden aufzunehmen. Gestern nachmittag um 15 Uhr sollte es losgehen. Doch während sich die Eisenbahndirektion bereit erklärt, über die „Lohnentwicklungen 1987“ zu diskutieren, wollen die Gewerkschaften mehr: für sie geht eine Arbeitszeitneuregelung vorne vor. Je länger aber der Streik währtehrt, desto schwieriger wird es für Jacques Chirac. Mag sich der erste Ärger der Weihnachtsurlauber noch gegen die Eisenbahner richten, so fällt er auf Dauer auf eine Regierung zurück. Vor einer Woche sagte der Studentenführer Daniel Cabieu in einem Interview der taz: „Wir haben in unserem Land wieder eine gesellschaftliche Dynamik in Gang gesetzt.“ Wer hätte ihm das geglaubt?

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