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P O R T R A I T Sehnsucht nach mystischen Welten

■ Der sowjetische Regisseur Andrej Tarkowskij wird heute in Paris beerdigt

Er muß mit seinem jammervollen Weltschmerz, der alle Hoffnungen in die Vergangenheit verlegte, sehr einsam gewesen sein. „Ich verzichte auf alles, was mich ans Leben bindet, wenn Du nur machst, daß alles wieder wird wie zuvor“, heißt es im „Opfer“, seinem letzten Film, der am Donnerstag in die Kinos kommt. Sprach man von Tarkowskijs Filmen, war von der „messianischen Kraft der Bilder“ die Rede, von der Verantwortung für die Mitmenschen, von der Rückkehr zu Natur und Bodenständigkeit. Das Leben in seinen Filmen war immer so leidvoll. Tarkowskij galt einige Zeit als Erneuerer des Kinos, weil er sich von der Hollywood–Ästhetik a la „Star Wars“ oder „Back To The Future“ absetzte. Er blieb der „Kultur“ verhaftet: Bilder von da Vinci und Dürer, Musik von Bach und Purcell tauchten in seinen Filmen auf. In seiner sowjetischen Heimat konnte Tarkowskij in 20 Jahren nur ganze fünf Filme drehen. Sie paßten nicht ins sowjetische Ideologieraster von Faschismusverarbeitung und heldenhaften Patriotismus. Er interessierte sich fürs Innenleben seiner kleinen Helden und ihr Leiden an dieser Welt. Er wollte mit aller Kraft das Gute: „Glaube, Liebe und Hoffnung „ waren die drei biblischen Tugenden, die die Menschen in seinem „Stalker“ (1979) besitzen mußten, um eine imaginäre Zone le bend durchqueren zu können. Frauen gab es kaum in seinen Filmen. Der Sinn der weiblichen Liebe lag für ihn in der „Fähigkeit zur Selbstaufgabe“. In seinem mystischen Science–Fiction „Solaris“ (1972), einer Warnung vor dem Verbrechen, bestrafte eine Art Gott die Menschen für ihre mangelnde Nächstenliebe. Es rührte einen zu Tränen. Seine letzten beiden Filme drehte Tarkowskij im Westen: „Nostalghia“ (1983) ist die Sehnsucht nach der unwiederbringlichen Vergangenheit, nach der mystischen Welt des Ostens. Wie der russische Dichter, in „Nostalghia“ starb auch Tarkowskij in der Fremde. Nostalghia ein Film also über die „schicksalhafte Bindung der Russen an ihre nationalen Wurzeln, ihre Vergangenheit und Kultur, Freunde und Verwandte“. Das „Opfer“ drehte er in der Einöde Schwedens, wo ein Mann sich Gott opfern will, um die Menschheit aus dem Wahnsinn der modernen Zivilisation zu erretten. In der modernen Kunst war die Wahrheit häßlich und das Böse schön gewesen. Das wollte niemand sehen und die Sehnsucht nach Harmonie triumphierte wieder: Michael Ende, Circus Roncalli, Spielbergs „E.T.“ und New Age. In einer Zeit, in der die Grenzen wissenschaftlicher Erkenntnis bewußt wurden, erlangte Tarkowskij begeisterte Zustimmung zu seiner Forderung nach dem „Sich– hingeben“ und einem naiven kontemplativen Kinoerlebnis. Ein Kino, das uns rührt, das erbaut und in dem man aufgehen kann. Intellekt war ihm verhaßt. Tarkowskij starb vor einer Woche 54jährig in Paris. „Die Menschheit existiert, um Kunstwerke zu schaffen“. Der Künstler als Prediger, als Schöpfer, als Messias. Leben konnte man nicht in seinen Filmen. Torsten Alisch.

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