: Pretoria bekämpft schwarze „Volkserziehung“
■ Städtische Schulen trotz Wiedereröffnung häufig leer / Regierung will an ihrer rassistischen Bildungspolitik festhalten / Präsenz von Polizei in Schulen / Lehrer und Schüler des „Nationalen Krisenkomitees“ in Haft / Wiederaufnahme des Schulboykotts möglich
Von Jo–Ann Bekker
Johannesburg (ips) -Das neue Schuljahr in Südafrikas Schulen für Schwarze begann zögerlich. Obwohl auch die schwarze Opposition zum Schulbesuch aufgefordert hatte, blieben in den städtischen Schulen viele Bänke leer. Die jüngsten Ereignisse könnten darauf hinauslaufen, daß der über fast zwei Jahre in nahezu allen Teilen des Landes befolgte Boykott des Schulunterrichts wiederaufgenommen wird. Als am Mittwoch letzter Woche für die 1,8 Millionen Kinder und Jugendlichen die Schule wieder beginnen sollte, befanden sich viele ihrer Lehrer und Klassenkameraden in Haft. Auch führende Mitglieder des im April 1986 gegründeten „Nationalen Krisenkomitees Erziehung“ (NECC) sind unter den schätzungsweise mehr als 20.000 Oppositionsmitgliedern, die unter den Bedingungen des im Juni vergangenen Jahres verhängten Ausnahmezustands ohne richterliche Anordnung in Haft gehalten werden. Noch bevor die Schulen wieder geöffenet wurden, hatte die zuständige Behörde, die zuletzt die ständige Präsenz von Polizei in den Schulen angeordent hatte, ein rigides Vorgehen gegen die sogenannte „Volkserziehung“ angekündigt, die oppositionelle Elterngruppen als Alternative zur staatlich vorgeschriebenen „Gossen–Erziehung“ für ihre Jugend entwickelt hatten. Nthatho Motlana von der Bürgervertretung der Ghettostadt Soweto brandmarkte die vorgesehenen Maßnahmen gegen die „Volkserziehung“ und die andauernde Inhaftierung von Kindern und Jugendlichen als „provokative Zuschaustellung der Macht“. Das Krisenkomitee fühlt sich durch die Bestimmungen gegen die „Volkserziehung“, die faktisch auf ihr Verbot hinauslaufen, getäuscht. Dem hatte es nicht zu gestimmt, als es mit zum Besuch der staatlichen Schulen aufrief. Seit ihrer Machtübernahme 1948 ist die Nationale Partei bestrebt, das Erziehungswesen für Schwarze und Weiße streng nach ihren Prinzipien des „christlichen Nationalismus“ auszurichten, Bei der Trennung der Schulen, so der damalige Premierminister und „Architekt der Apartheid“, Hendrik Verwoerd, gehe es zum einen um die „Bewahrung der verschiedenen Nationen“ und zum anderen um eine Erziehung der Schwarzen, die „ihren Ambitionen Grenzen setze“ und sie lediglich zur Ausübung minderqualifizierter Tätigkeiten befähige. Die Regierung Botha bestreitet die Minderwertigkeit der Erziehung für Schwarze und unterstreicht ihre Bemühungen, immer mehr schwarzen Kindern eine Schulbildung zu ermöglichen. Ein integriertes Schulsystem für Schwarz und Weiß kommt für sie allerdings nicht in Frage, und die Aufwendungen für die Ausbildung eines Kindes weißer Hautfarbe im Verhältnis zu der eines schwarzen stehen immer noch im Verhältnis sieben zu eins. Das Andauern dieser eklatanten Ungerechtigkeit hat Schüler, Eltern und Lehrer zu der Überzeugung gebracht, das weiße Minderheitsregime wolle die Schwarzen auf ewig in einem Zustand der Sklaverei halten. Die Frage der Erziehung war im Juni 1976 der Funke, an dem sich der Schüleraufstand von Soweto entzündete. Unterschwellig ist sie auch jetzt Ursache des seit 1984 nicht zum Stillstand kommenden Protestes. Colin Bundy, Dekan der Historischen Fakultät der Universität Kapstadt und einer der Mentoren der alternativen „Volkserziehung“ sieht in der unnachgiebigen Schulpolitk der Regierung eine „Tragödie“. Dadurch werde es immer schwieriger, daß schwarze Jugendliche überhaupt noch einmal eine Schule von innen sähen. Vor wenigen Tagen wurde in mehrerenSchulen, im Ost– und im Westteil der Kapprovinz sowie im Industrierevier westlich von Johannesburg, Feuer gelegt. Das Informationsbüro der Regierung machte „Radikale“ für die Brandanschläge verantwortlich, bei denen erheblicher Sachschaden enstand.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen