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Chinas Suche nach Erleuchtung

■ Chinesische Wirtschaftsplaner lernten in der BRD die Soziale Marktwirtschaft kennen

Das Programm für die chinesischen Experten aus der obersten zentralstaatlichen Planungsbehörde und der Leitung von Provinzialplanungskommissionen war vollgepackt und hochkarätig. Neben drei einschlägigen Bundesministerien wurden das Bundeskartellamt und die Bundesbank, die Problemregion Hamburg (kurz) und das Musterländle Baden– Württemberg (länger) und eine Reihe von Firmen besucht, von der Bechstein Piano–Fabrik bishin zu Siemens. Trotz dieses beeindruckenden Angebotes war ein Defizit in Sachen Pluralismus auffallend. Das „marktwirtschaftliche System“ wurde seltsam staats– und behördenlastig präsentiert, die sozialen Gruppen in unserer Gesellschaft tauchten nur einmal in Gestalt des DGB auf. Die Verbraucher– und Umweltsch gab es auch die Möglichkeit, den Seminarbetrieb einmal mitzuerleben. Obwohl, angefangen beim Fahnenschmuck über die Platzmikrophone für die Teilnehmer bis hin zur virtuosen Übersetzung, alle Organisationsmerkmale eines internationalen Kongresses vorhanden waren, herrschte eine schiefertafelige Schulatmosphäre vor. Das war offensichtlich ganz im Sinne der ausführlich mitschreibenden Teilnehmer. Ministerialdirigent Jürgen Kühn vom Bundeswirtschaftsministerium, dem in seinem Hause sicher nicht der Ruf anhaftet, besonders locker zu sein, wirkte angesichts dieser geballten Bereitschaft zum Frontalunterricht didaktisch geradezu experimentierfreudig. Sein kurzer Lehrgang durch die Makro–Ökonomie zum Thema „Außenwirtschafts– und Währungspolitik“ enthielt folgende Botschaften: 1. Der freie Welthandel hat eine soziale Komponente, denn er erlaubt es letztlich jedem Konsumenten, Waren so billig wie möglich aus der ganzen Welt zu beziehen. 2. Weltweit steigen die Exporte schneller als die Produktion. Der Export ist der Motor der Weltwirtschaft. Um in dieser dynamischen Entwicklung mitzuhalten, muß die Industrialisierung vorangetrieben werden. 3. Die VR China hat ein Defizit in der Handelsbilanz (importiert mehr als sie exportiert). Um dies nicht durch einen permanenten Abfluß seiner Devisenreserven auszugleichen, muß das Land versuchen, mehr ausländisches Kapital heranzuziehen. 4. Es gäbe eine ganze Palette von Maßnahmen, die beim Ausgleich der Handelsbilanz segensreich zusammenwirken könnten, nämlich die Steigerung des Exports, die Senkung des Imports, mehr Tourismus, verstärkte Kapitalübertragung durch höheren Geldtransfer von Auslands–Chinesen in die Volksrepublik wie auch durch die Steigerung von Entwicklungshilfe und schließlich wieder die Ankurbelung ausländischer Direktinvestitionen. Insbesondere für den letzten Posten sei von chi nesischer Seite einiges zu garantieren: ein gutes Klima für die Produktion, hohe Zinsen für ausländische Kapitalanleger und die Bereitschaft zu mehr Importen gegen kurzfristige Kredite. Volkswirtschaftliche Rezepte Mit wünschenswerter Deutlichkeit waren hiermit Rezepte für die Entwicklung der chinesischen Volkswirtschaft gegeben, in die sich die deutsche Wirtschaft bestens einklinken könnte. Blieb ein Schönheitsfehler nachzubessern: der immense Exportüberschuß und das Ungleichgewicht, das die Bundesrepublik in die Weltwirtschaft hineinträgt. Und wie häufig - wenn Ausländern prägnant etwas erklärt wird - war manches Überraschende zu hören. Deutschland braucht nämlich immer einen Überschuß in der Handelsbilanz, und zwar wegen der Beliebtheit des Auslandstourismus, wegen der Zuzahlungen an die EG vor allem im Agrarbereich, wegen der „Gastarbeiter“ und wegen der Entwicklungshilfe. Soweit Ministerialdirigent Kühn. Der ebenfalls anwesende Vortagsreferent Prof. Hankel, ehemals aktiver Ministerialer unter dem früheren Wirtschaftsminister Schiller, fühlte sich zur Korrektur aufgefordert: Da der Exportüberschuß Ausgangspunkt für die Binnenkonjunktur sei, müsse ohne ihn verstärkt Arbeitslosigkeit befürchtet werden. Dies sei Ergebnis einer Veränderung der Wirtschaftsstruktur seit der Spaltung Deutschlands. Durch den Wegfall der DDR als Binnenabsatzbereich sei das Rhein–Ruhr– Potential gezwungen gewesen, sich verstärkt auf den Export zu orientieren. Auch hier wäre etwas mehr Pluralismus in Sachen Wirtschaftspolitik angebracht gewesen. Die Tatsache, daß China im Unterschied zur BRD einen riesigen Binnenmarkt hat, wurde augenscheinlich nicht berücksichtigt. Statt Modernisierung und Entwicklung der vorhandenen Potentiale zum zentralen Thema zu machen, wurde den chinesischen Gästen lediglich die bundesdeutsche Exportorientierung nahegebracht. Welche Erkenntnisse konnten die Teilnehmer nun mitnehmen? Herr Kühn formulierte zum Schluß eine didaktische Kontrollfrage: „Was würden Sie tun, den Kurs des Renminbi (chinesische Währung, d. Red.) als Hilfe für den Export verringern, oder eine staatliche Sparpolitik auch bei Importen betreiben?“ Madame Jin, die einzige deutschsprechende Teilnehmerin, antwortete freundlich: „Beides“, und führte damit ihre Qualifikation für den diplomatischen Dienst vor. Direktere Stellungnahmen gab es nicht. Insgesamt war bei den Teilnehmern viel Nicken zu beobachten, so viel, daß es eigentlich erst erklärlich wird, wenn man zwei mögliche Motive für diese Kopfbewegung bedenkt: Zustimmung zum Gesagten oder Bestätigung für Erwartetes: Das hat man ja immer schon gewußt, daß die Rundaugen solche Positionen vertreten! Bis 1990 sind insgesamt vier derartige Seminare geplant, deren Ergebnisse dann in der VR China so oder so verarbeitet werden. Georgia Tornow

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