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„König Momo“ in Rio fordert Tribut

■ Beim legendären Karneval in Brasilien melden die Behörden über 100 Tote / Einwohner von Rio bleiben häufig zu Hause / AIDS–Angst überschattet die Festfreude

Rio de Janeiro (afp/ips/dpa/taz) - Seit „König Momo“ die Herrschaft über die Stadt am Zuckerhut übernommen hat, steigt die Mordrate. In der Nacht zum Samstag hatte der Oberbürgermeister von Rio de Janeiro, Saturino Braga, dem Karnevalskönig die Stadtschlüssel als Zeichen der Herrschaft überreicht. Zwei Tage später - wie jedes Jahr - erschien die offizielle Zahl der Toten aus berufenem Munde: 52 Opfer in Rio, 44 in Sao Paulo. Kennern des Karnevals von Rio zufolge wollte in diesem Jahr die richtige Stimmung nicht so recht aufkommen. Vier Nächte lang ziehen jeweils von 20 Uhr bis in den späten Morgen an die 100.000 Samba tanzende Narren über die vom brasilianischen Stararchitekten Oscar Niemeyer 1983 gebaute Sambastraße. Angesichts fast leerer Ränge auf den Zuschauertribünen gewährten die Veranstalter dieses Jahr am Freitag abend freien Zutritt, und während in früheren Jahren der Preis der Bierdosen fast stündlich stieg, wurden dieselben am Montag zu Niedrigstpreisen verschachert. Umfragen der brasilianischen Presse zufolge mögen 32 Prozent der Cariocas - wie sich die Einwohner von Rio nennen - den Karneval nicht mehr. Und immer mehr verfolgen ihn am Bildschirm, statt ihn als Straßenfest zu erleben. Viele fliehen ihn sogar regelrecht. Zu Beginn des Spektakels waren jedenfalls dieses Jahres sämtliche Ausfallstraßen aus der Stadt heillos verstopft. Die Flüchtlinge nahmen stundenlange Wartezeiten im Stau in Kauf, bloß um dem närrischen Treiben zu entgehen. Ob die 70.000 erwarteten Touristen - oder die 20 Millionen Dollar, wenn man es pekuniär ausdrücken will - tatsächlich in Rio eingetroffen sind, darf bezweifelt werden. Vier Buchstaben hingen dieses Jahr als Schatten über dem Reich von „König Momo“: AIDS. Rio de Janeiro ist die Stadt mit den meisten AIDS–Toten Lateinamerikas. In 500.000 Exemplaren einer mehrsprachigen Hochglanzbroschüre warnten die Behörden vor „beliebigen und zahlreichen sexuellen Beziehungen“.

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