: Krach um Kronzeugenregelung
■ Koalitionsparteien erörterten Innen– und Rechtspolitik / FDP fordert Verkleinerung des Kabinetts / SPD kritisiert Grundzüge zum Beratungsgesetz bei Abtreibungen als „Heuchelei“ / Verena Kriener: Verschärfter Zugriff des Staates auf Frauen
Aus Bonn Oliver Tolmein
Völlig überraschend endeten die Koalitionsvereinbarungen zum Thema „Innen– und Rechtspolitik“ am Freitag ergebnislos. Sie werden am Montag um 16 Uhr fortgesetzt. CDU–Generalsekretär Geißler betonte jedoch, daß die Kanzlerwahl am 11.März durchgeführt wird. Als Grund für die Verzögerung nannte Geißler, daß sich der FDP Bundes– und der CSU–Landesvorstand noch einmal beraten wollten. Bekannt geworden war am Freitag, daß es zu einer heftigen Auseinandersetzung zwischen CSU und FDP über die Kronzeugenregelung gekommen war: Die FDP bestand zwar darauf, daß es keine „Straffreiheit für Mörder“, sondern nur Strafminderung geben solle, erhob aber keine grundsätzlichen Einwände gegen die Regelung selbst. Die CSU forderte als Gegenleistung für die von der FDP geforderte Einschränkung, daß diese einer Verschärfung des Demonstrationsstrafrechts zustimmt. Einig wurden sich die Koalitionsparteien über neue Regelungen bei der Steuerreform, in der Agrar– und Arbeitsmarktpolitik. Fortsetzung auf Seite 2 Trotzdem in den Sachfragen zumindest vorerst keine Eingiung erzielt werden konnte, beginnt jetzt in Bonn das Personalkarussell allmählich in Schwung zu kommen. Den ersten Anstoß dazu gab der CSU–Vorsitzende Strauß, der auf seiner Aschermittwochsrede angedeutet hatte, die CSU würde vielleicht auf das Innenressort verzichten. Allgemein wurde diese Äußerung aber nicht als reale Verzichtserklärung verstanden, sondern als Versuch, vor den abschließenden Verhandlungen über die künftige Innenpolitik nochmals auf die Ressortverantwortlichkeit der CSU zu verweisen. Mehr Konsequenzen dürfte die Forderung des FDP–Generalsekretärs Haussmann haben, der das Kabinett bei Beibehaltung der drei FDP–Ministerien verkleinert wissen will. Ziel der FDP ist es dabei, das eigene Gewicht im Gesamtkabinett zu stärken, ohne von dem direkt nach der Wahl ausgesprochenen Verzicht auf ein neues FDP–Ministerium abrücken zu müssen. Haussmann stellte aber klar, daß für den Fall, daß das Kabinett in seiner ursprünglichen Größe bestehen bleibt, die FDP doch Anspruch auf einen vierten Ministerposten geltend machen will. Reaktionen gab es in Bonn vor allem auf das von der Koalition in Grundzügen beschlossene Beratungsgesetz. Die SPD äußerte sich dazu nur kurz und knapp: Es gehe den Koalitionsparteien um „Heuchelei statt Hilfe“ für ungewollt schwangere Frauen. Die Grünen– Bundestagsabgeordneten Verena Krieger und Waltraud Schoppe hielten zusammen mit Renate Sadrozinski von der „pro familia“ eine Pressekonferenz ab. Sie bezeichneten die Behauptung, das Beratungsgesetz solle eine „Hilfe für die Frauen“ sein, als „bewußt irreführend“. Tatsächlich gehe es darum, über das Beratungsgesetz den Zugriff des Staates auf die Frauen zu verstärken. Völlig unklar ist noch die Umsetzung der jetzt beschlossenen „Grundzüge“, die in einem Koalitionspapier festgehalten sind. Wahrscheinlich werden sie als § 218c an die derzeit existierenden Bestimmungen angehängt. Auf die ursprünglich vorgesehene Verlängerung der Frist zwischen Beratung und Abbruch von drei auf fünf Tage wurde verzichtet, weil das nur durch eine Änderung des Wortlauts des § 218b hätte festgeschrieben werden können. Fallengelassen wurde auch der CSU–Vorschlag, die räumliche Trennung von Beratung und Indikation festzuschreiben. Dafür steht in der Koalitionsvereinbarung, daß die Beratung „sich auch des sozialen Umfelds der Schwangeren (insbesondere des Ehemannes/Freundes, der Eltern, des Arbeitgebers) anzunehmen und darauf hinzuwirken hat, daß die Schwangere die erforderlichen persönlichen Hilfestellungen von dort erfährt“. Das Bundesfamilienministerium ließ zwar erklären, daß die Beratung selbstverständlich nur auf Wunsch der Schwangeren ausgedehnt werde, das geht aber aus dem Wortlaut selbst nicht hervor. Dem „Beratungsgesetz“, von dessen genauem Wortlaut noch einiges abhängt, muß auch der Bundesrat zustimmen, so daß dort die CDU/ CSU–regierten Länder Bayern und Baden–Württemberg, in denen heute schon sehr restriktive Regelungen praktiziert werden, nochmals Änderungsvorschläge einbringen können.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen