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Ein Mann, der seine Freundschaften pflegt

 Dr. Hans Stercken (CDU), designierter Vorsitzender des Parlamentsausschusses für Auswärtige Beziehungen, steht vor der Wiederwahl / In der Bonner Szene unbekannt, doch „verdienstvolle“ Kontakte in alle Welt / Engagement für das Apartheid–Regimes in Südafrika und politischer Mäzen der türkischen Rechten Von Jürgen Gottschlich und Bernd Müllender In der nächsten Woche werden in Bonn die Ausschüsse des Bundestages besetzt. Wie immer, wenn es gilt, Posten zu vergeben, wird es spannend in der Bundeshaptstadt. Vor allem für einen Mann werden diese Tage eine harte Prüfung im Glauben, doch wie schon das Wahlergebnis am 25. Januar wird er wohl als strenger Katholik auch die Entscheidung seiner Parteispitze „in Demut“ abwarten. Denn Dr. Hans Stercken (CDU) hat viel zu verlieren. Völlig überraschend für die gesamte Bonner Szene hatte ihn die CDU–Fraktion im September 1985, als Nachfolger für den verstorbenen Werner Marx, zum Vorsitzenden des begehrtesten Parlamentsausschusses gemacht, dem für Auswärige Beziehungen. Zwei Monate brütete die CDU–Spitze damals über die Nachfolge von Marx. Als Stercken dann den Zuschlag erhielt, waren auch viele seiner Fraktionskollegen unangenehm überrascht. Kein Wunder, denn wer kennt schon Hans Stercken? Sein gegen Null tendierender Bekanntheitsgrad ist vor allem das Ergebnis einer für politische Karrieren in aller Regel tödlichen Schwächen: Der Mann kann nicht reden, er kommt in der Öffentlichkeit „nicht rüber“, wie einer seiner Kollegen moniert. Es gibt in Bnn niemanden, der sich an Stercken als wichtigen Debattenredner in außenpolitischen Auseinandersetzungen erinnert. Selbst in seinem Wahlkreis Aachen gleicht er eher einem Phantom. Obwohl er seit 1976 jetzt zum vierten Mal als Direktkandidat der katholischen Hochburg in den Bundestag eingezogen ist, bekommen ihn seine Wähler kaum zu Gesicht. Alle vier Jahre taucht er auf, um per Wahlmandat wieder nach Bonn zurückgeschickt zu werden. In der Heimatpresse ist er kaum existent, seine Bürgerfragestunden übernehmen meist andere, und seinen Wohnsitz in Aachen hat er praktischerweise im CDU–Büro. Selbst für seinen Wahlkampf vor Ort hatte er 1987 kaum Zeit - das erledigte die 20köpfige „Rote Garde“ des Hauses Stercken, eine Gruppe von RCDS–Jung–Unionern und -schülern. Und: Im gerade abgeschlossenen Wahlkampf wurde der Eindruck eines öffentlichkeitsscheuen Mannes noch verstärkt. Statt der obligatorischen Fotos plakatierte die Aachener CDU eine Zeichnung ihres Spitzenkandidaten, angeblich, weil sie einal „etwas anderes, etwas Auffälliges“ machen wollte. Weltweit engagiert Wie kommt es, daß ein Mann, der eine solche Aura pflegt, den Vorsitz des prestigeträchtigsten Ausschusses ergattern konnte? Sterckens Stärken, so heißt es, liegen woanders. Er sei eben ein guter Vermittler. Bekannte von ihm weisen jedoch noch auf eine andere Eigenschaft des CDU–Politikers hin, die wohl vor allem der Schlüssel seines Erfolges ist: Er kann Freundschaften pflegen. Daß er über diese in reichlichem Maße verfügen mu, weist bereits seine offizielle Biographie aus. Stercken ist Präsident der Interparlamentarischen Union, einem weltweiten Zusammenschluß von 4.000 Parlamentsabgeordneten aus 102 Ländern. Er war bis zu seiner Bestellung als Ausschußvorsitzender Präsident der Deutschen Afrika–Stiftung, ist Vizepräsident der Deutsch–Israelischen Gesellschaft und präsidiert die Vereini gung der deutsch–griechischen Gesellschaften. Danken läßt er sich seine weltweiten Bemühungen auch symbolisch. Stercken ist Träger de Ritterkreuzes der französischen Ehrenlegion und darf sich mit belgischen, portugiesischen und griechischen Offizierskreuz Orden schmücken. Um solche Freundschaften zu schließen, bedarf es jedoch Verbindungen, die einem aufstrebenden Politiker die richtigen Türen öffnet. In dieser Beziehung ist Stercken wohlgebettet. Als ehemaliger Vorsitzender des Cartellverbandes der katholischen deutschen Studentenverbindungen, gehört er zu einer Seilschaft, die innerhalb der CDU einen weitreichenden Einfluß ha. Das diese Seilschaft auch international trägt, mag ein Bericht illustrieren, den Cartellbruder Stercken 1978 aus Johannesburg an die Zeitschrift des Cartells, academia sandte: „Auf der Reise zu einem Parlamentariertreffen in Pretoria habe ich in Johannesburg Station gemacht. Der Liebenswürdigkeit des deutschen Generalkonsuls in dieser Stadt, Cartellbruder Dr. Georg Sperl und seiner Frau, habe ich ein Zusammentreffen mit weiteren fünf Cartellbrüdern zu danken: den Cartellbrüdern Dr. G.E. Fischer,Fritz Nieverding, Heribert Ballhausen, Walter Steineke und L.G. Freitag. Dieser wohl südlichste Philisterzirkel traf sich im Garten der Residenz des Generalkonsuls. Ich habe den Cartellbrüdern zugesagt, die Frage wieder einmal prüfen zu lassen, ob sich 1979 oder 1980 eine hinreichende Zahl von Cartellbrüdern für eine größere Reise nach Südafrika zusammenfindet. Insbesondere würde man gerne aktive Cartellbrüder in der Republik Südafrika sehen, die ihr Wissen über das Land eigenen Untersuchungen undnicht marxistischen Handreichungen danken. Unsere Freunde in diesem Land sind alle in sehr wichtigen Aufgabenbereichen tätig, und haben einen tiefen Einblick. Unsere Freunde haben kein Verständnis für kirchliche Waffenlieferungen, die von unruhigen verwirrten Geistern betrieben wurden...“ Glänzende Verbindungen zur türkischen Rechten Die Reise, von der Stercken berichtet, war übrigens durch die bundesdeutsche „Hennenhofer PR“ organisiert und von der südafrikanischen Regierung bezahlt worden. Dochwie schon aus seinen zahlreichen Ämtern in diversen Freundschaftsgesellschaften ersichtlich, ist Stercken durchaus nicht einseitig auf Afrika fixiert. Seit 1983 gelingt ihm sogar das besondere Kunststück, außer dem Vorsitz im deutsch–griechischen Freundschaftsverein auch noch den im deutsch–türkischen Freundschaftsverein „Hür–Türk“ einzunehmen. Auch in bezug auf die Türkei kann er auf lange freundschaftliche Beziehungen zurückblicken. Stercken, der von 1954 bis 1968 als Referent für West– und Süderopa im Bundespresseamt tätig war, wurde von diesem 1957/58 an die türkische Regierung ausgeliehen, um in Ankara ein Presseamt nach deutschem Muster aufzubauen. Wohl aus dieser Zeit stammt seine Freundschaft zu einem Mann namens Nihat Ülkekul, der von 1956 bis 1968 an der türkischen Botschaft in Bonn beschäftigt war, unter anderem vier Jahre lang ebenfalls in der Presseabteilung. Ülkekul ging Anfang der siebziger Jahre in die Türkei zurück und kam in die Zentrale der türkischen Sicherheitspolizei i Ankara. Zuerst als Dolmetscher, später als Protokollchef hatte er hier bis zum Putsch 1980 eine Schlüsselstellung für die Verbindung zur deutschen Polizei inne. Aufgrund seiner glänzenden Beziehungen zu einflußreichen CDU–Politikern gelang es ihm, ein Ausbildungsprojekt für türkische Polizisten in Rheinland–Pfalz zu organisieren. Aber Ülkekul wußte seine Stellung im Zentrum des türkischen Sicherheitsapparats auch noch anderweitig zu nutzen. Als Anhänger des rechtsradi kalen Obersten Alparslan Türes und dessen Nationaler Aktionspartei (MHP) beschaffte er für Türkes Informationen aus dem Apparat. So verwundert es nicht, daß Ülkekul zusammen mit fast 600 anderen MHP–kadern nach dem Putsch wegen Geheimnisverrat und anderer „umstürzlerischer Tätigkeiten“ von der Militärstaatsanwaltschaft angeklagt wurde. Die Staatsanwälte hatten in der MHP–Zentrale Briefe Ülkekuls gefunden, in denen dieser als Informant aus dem Polizeiapparat für den großen Führer auftritt. Türkes könne über ihn verfügen. Darnter fanden sich Berichte, die Ülkekul für Türkes zusammengestellt hatte und ein Konzept, das Ülkekul für den Wahlkampf der MHP entwickelt hatte. Ein anderer Bericht Ülkekuls an Türkes, eine Übersetzung eines gewissen Kannapin, der in der Bundesrepublik als Deckadresse für den hiesigen MHP–Ableger, die Türk–Föderation in Frankfurt fungierte, zeigt, daß Ülkekul auch in die Kontakte zu rechtsradikalen türkischen Kreisen in der Bundesrepublik eingeweiht war. Aufgrund seines Einflusses erhielt Ülkekul Haftverschonung, die er zur Flucht in die Bundesrepublik nutzte. Er bekam prompt Asyl und schaffte es binnen eines Jahres, 2. Bundesvorsitzender der deutsch– türkischen Freundschaftsgesellschaft „Hür–Türk“ zu werden. „Hür–Türk“, Freiheitlich Türkisch–Deutscher Freundschaftsverein, wie er sich in seinem Briefkopf bezeichnet, ist seit seiner Gründung 1979 eng mit der CDU verflochten. Laut der türkischen Zeitschrift Anadolu, dem Hausblatt der islamischen Fundamentalisten, sollen die ersten beiden Vortandssitzungen nach der Gründung in der Bonner CDU– Zentrale stattgefunden haben. Im Hür–Türk sammeln sich Anhänger der früheren konservativen Gerechtigkeitspartei des Ex–Ministerpräsidenten Demirel, Vertreter der Islamischen Fundamentalisten und Rechtsradikale vom Schlage Ülkekuls. Von deutscher Seite waren von Anfang an CDU– Abgeordnete im Vorstand vertreten. Nachdem Ülkekul einmal die Geschäfte übernommen hatte, gelang ihm dann ein Jahr später der große Coup: Dr. Hans Stercken, bereits Obmann de CDU/CSU im Auswärtigen Ausschuß, erklärte sich bereit, den ersten Vorsitz bei Hür–Türk zu übernehmen. Damit hatte Ülkekul einen glänzenden Griff getan. Denn erstens fiel Ster cken - wie bekannt - die Karriereleiter hinauf, und zweitens zeigte er sich in der Folgezeit tatsächlich bereit, seine Stellung auch im Sinne seiner türkischen Freunde zu nutzen. Dabei ging und geht es zunächst darum, eine kontinuierliche Geldquelle für Hür–Türk zu erschließen. Die Idee bestand darin, Mittel vom Bundesministrium für Arbeit und Sozialordnung locker zu machen und zwar über den Umweg des Sprachverbandes „Deutsch für ausländische Arbeitnehmer e.V.“ Was lag näher, als die Mitglieder von Hür–Türk dem Sprachverband als Lehrer anzubieten und die Vereinsräume noch gleich als Unterrichtsräume mit zu vermieten. Die gröbsten finanziellen Sorgen wäre man los gewesen. Wäre, muß man sagen, denn zum großen Ärger des Herrn Ülkekuls wollte sich der Sprachverband mit dem Deal nicht anfreunden. Die Hür–Türk– Mitglieder so wurde ihm beschieden, seien offensichtlich durchweg als Deutschlehrer nicht qualifiziert. Doch Ülkekul gab nicht so schnell auf. Akribisch nahm er sich die Publikationen des Verbandes vor und fand bald, wonach er gesucht hatte. Der Verband, so stellte Ülkekul fest, ist von links unterwandert. Er schloß dies aus einem Buch über die türkische Migrationsbewegung (Kleff: Vom Bauern zum Industriearbeiter. Zur kollektiven Lebensgeschichte der Arbeitsmigranten aus der Türkei), das 1984 mit finanziellr Unterstützung des Sprachverbandes gedruckt worden war und in dem unter anderem die Kontakte der CDU zu Hür–Türk und anderen dubiosen türkischen Organisationen beschrieben werden. An dieser Stelle trat Dr. Hans Stercken auf den Plan. Zuerst mündlich, dann, mit Datum vom 25.2.86 auch schriftlich, rückte Stercken dem zuständigen Abteilungsleiter im Blüm–Ministerium, Helmut Heyden, zu Leibe. Er sei verblüfft, so Stercken, daß der Bundesarbeitsminister eine Publikation, die die türkische Landschaft i der Bundesrepublik von äußerst linker Perspektive betrachte, subventioniere. Er bitte um Aufklärung. Doch der erste Schuß führte nur teilweise zum Erfolg. Am 4.10. beklagte sich Ülkekul noch einmal bitterlich bei Stercken, daß er das Problem immer noch nicht hätte lösen können. „Der Sprachverband Mainz zahlt an Hür–Türk kein Geld. Ich hatte versucht beim Bundesminister, Herrn Dr. Blüm, einen Termin zu bekommen. Es ist mir nicht gelungen. Ich bitte Sie, mich dabei zu unterstützen.“ Rückenwind von lüm Diesmal ging Stercken in die Offensive. Als Vorsitzender des Auswärtigen Ausschusses wandte er sich direkt an Blüm, und machte seinem Ärger unverhohlen Luft: „Sehr geehrter Herr Bundesminister, ich bin tief betroffen, daß der von ihrem Haus finanzierte Sprachverband in Mainz weiterhin 1. den CDU–nahen Hür–Türk Freundschaftsverein in aufwendigen Publikationen diffamieren läßt (...); 2. bislang jedwede Bitte um Hilfe beim Sprachunterricht abschlägig beschieden worden ist. Demgegenüber haben extrme Gruppierungen der Linken das Wohlgefallen der Mainzer Sprachförderer gefunden und wurden finanziell gefördert. Sie werden verstehen, daß ich dies nicht auf sich beruhen lassen möchte. Doch ich hoffe, daß Ihre Mitarbeiter dafür Sorge tragen werden, daß nicht unter dem Vorwand der Sprachförderung weiterhin Agitation gegen die Regierungsparteien finanziert wird. Mit den besten Grüßen bin ich Ihr Hans Stercken.“ Die drei Wochen später eintreffende Antwort Blüms an den „lieben Kollegen Stercken“, sinalisierte diesem, daß er gesiegt hatte. Bezüglich der „Diffamierung“ von Hür–Türk teilte Blüm Stercken beflissen mit, daß er den Zensurwünschen bereits seit längerem entsprochen habe: „Die von Ihnen kritisierte Buchreihe, in der die beiden Bände, Kleff „Vom Bauern zum Industriearbeiter“ und Just/Groth „Wanderarbeiter in der EG“, erschienen sind, ist vor geraumer Zeit auf mein Betreiben eingestellt worden. Weitere Veröffentlichungen werden nicht mehr erscheinen. Damit ist Ihrer Kritik in vollem Umang entsprochen worden“. Auch was das finanzielle Problem anging, versprach Blüm Abhilfe: „Der deutsch–türkische Freundschaftsverein Hür–Türk konnte bisher nicht in die Förderung aufgenommen werden, weil die gestellten Anträge den Förderungsvoraussetzungen nicht genügen. Der Sprachverband ist jedoch grundsätzlich zu einer Förderung von Hür–Türk bereit. Das zuständige Fachreferat des Bundesministeriums für Arbeit und Sozialordnung wird kurzfristig Hür–Türk und die Geschäftsstelle des Sprachverbande zu einem Gespräch in Bonn einladen, bei dem die noch bestehenden Probleme ausgeräumt werden sollen.“ Damit hatte es Stercken, gegen den hinhaltenden Widerstand der Fachabteilung im Arbeitsministerium und des angeblich unabhängigen Sprachverbandes geschafft, seine Freunde an die Geldtröge des Bundes zu bringen. Wie sagte doch ein Bekannter von Stercken: Er kann Freundschaften pflegen.

Anläßlich einer Türkeireise (1973), bei der die Zusammenarbeit der Sicherheitskräfte institutionalisiert wurde, traf der Ex–Innenminister von Rheinland–Pfalz (rechts im Bild) und Hans Eckhardt Kannapin (links) auf den Direktor der türkischen Sicherheitspolizei, Orhan Erbag (zweiter von links), und Nihat Ülkekuil( mitte) Foto: Bernd Müllender

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