Radioaktiver Hausstaub wirbelt Staub auf

■ Münchner Studenten der Elektrotechnik der Technischen Universität werden staubiges Erbe von Tschernobyl nicht los und stoßen auf die Hilflosigkeit der Behörden / Mit Aktionen auf dem Marienplatz wollen sie auf das Entsorgungsproblem aufmerksam machen

Aus München Luitgard Koch

„Daß das Zeug saugefährlich ist, sagt einem doch schon der gesunde Menschenverstand“, empört sich eine Hausfrau. Vor ihr auf dem Marienplatz stehen sieben Fässer mit radioaktivem Hausstaub. In weißem Strahlenschutzanzug beginnt ein Student der Elektrotechnik von der Technischen Universität München, den staubigen Inhalt in Mülltonnen umzuleeren. Mit dieser demonstrativen Aktion wollen die Studenten auf die Hilflosigkeit und Abwimmeltechnik der Behörden bei der Entsorgung des „Tschernobyl–Erbes“ aufmerksam machen. Ihre Idee, den strahlenden Staub in Münchens „guter Stube“ zu entsorgen, wurde schon einmal vom Münchner Kreisverwaltungsreferat vereitelt. Mit der Begründung, das „Entleeren von angeblich radioaktiv kontaminiertem Staub“ sei auch bei weitestgehender Auslegung von Grundgesetz und Versammlungsfreiheit kein notwendiges Mittel zur Durchführung der Versammlung. Außerdem werde der Fußgängerverkehr auf dem Marienplatz unverhältnismäßig beeinträchtigt. Seit August ist die Fachschaft Elektrotechnik im Besitz von 80 Kilo radioaktiv kontaminiertem Hausstaub. Damals beschloß eine Gruppe Münchner Studenten, der radioaktiven Belastung der Staubschicht auf die Spur zu kommen. Über Flugblätter riefen sie die Bürger auf, ihre Staubsaugerbeutel bei der TU abzugeben. Rund 150 Münchner beteiligten sich. Drei Tage lang untersuchten sie mit Hilfe eines Gammaspektro meters das „staubige Tschernobyl–Erbe“. Ergebnis: Der Spitzenwert des Hausstaubs lag bei 45 113 bq/kg Cäsium und 5 603 bq/kg Ruthenium. „Für uns waren diese Werte eindeutig zu hoch“, erzählt Studiosus Ralf Lueg. Für die jungen Wissenschaftler war klar: Das strahlende Sammelgut muß als leicht radioaktiv kontaminierter Müll entsorgt werden. Mit der Entsorgungsfrage begannen die Probleme. Der Strahlenschutzbeauftragte der TU, Heinz Bittner, konnte den Studenten nicht weiterhelfen. Seine Empfehlung: Den Staub in die Mülltonne kippen. Nachdem sich weder die Gesellschaft für Strahlen– und Umweltforschung (GSF) in Neuherberg noch andere offizielle Stellen für zuständig erklärten, wandten sich die Studenten direkt an das Landesamt für Umweltschutz. Aber auch der Vorschlag von Oberregierungsrat Rinck enttäuschte die Studenten. „Nach wie vor keine Bedenken, kontamininierten Hausstaub wie bisher üblich über die Hausmüllabfuhr abzugeben“, hieß es aus dem Landesamt. Der Einwand, daß belastetes Laborstaub mit den gleichen Werten als Sondermüll entsorgt werden muß, und ihr Hausstaub eine über doppelt so hohe mittlere spezifische Aktivität hat als das in der Bundesrepublik umhergeschobene Molkepulver, zog bei den Behörden nicht. Nach wie vor war man der Meinung, die Studenten könnten den Staub unbesorgt in die Mülltonne werfen. Falls die Studenten jedoch den Staub in Eigeninitiative zu einer Hausmülldeponie bringen wollen, sei dage gen nichts einzuwenden, meinte Dr. Rinck. Um zu erfahren, auf welche Art sie ihre „staubige Last“ dorthin bringen sollten, wandte man sich zuletzt an das Städtische Umweltschutzamt München. Die Antwort: Entweder müsse der Transport von einer Spezialfirma vorgenommen oder bei privater Beförderung ein Antrag auf Genehmigung eines Gefahrentransportes gestellt werden. „Will man uns als mündige Bürger und werdende Ingenieure zum Narren halten?“, fragen die Studenten nach dieser Behörden– Odyssee. „Hier hab ich meinen Staubsaugerbeutel mitgebracht.“ Eine junge Mutter überreicht dem Studenten ihre Plastiktüte. Die Elektroingenieure wollen es genau wissen und werden auch prüfen, inwieweit Hausstaub heute noch belastet ist. „Wir hoffen, daß die Beamten durch die Aktion gefügiger geworden sind“, meint Lueg. Denn schließlich will man das Zeug ja nicht ewig in den Büroräumen lagern. Bis zum Semesterbeginn soll die „Entsorgungsfrage“ endgültig gelöst sein.