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Ein Land, zwei Systeme, drei Währungen, vier Grundprinzipien

■ In China haben „Joint Ventures“, gemeinsame Unternehmen von in– und ausländischen Partnern, inzwischen Tradition / Vorreiter für mehr Leistungslohn Verbreitung vor allem im Hotelsektor / Nicht nur exportorientiert: Unternehmen beherrschen bisweilen auch den Binnenmarkt

Aus Beijing Wolfgang Gartmann

Hongkong, früher vielleicht einmal als kapitalistischer Stachel im sozialistischen Fleisch empfunden, wird hier heute mit ganz anderen Augen betrachtet. Wie der chinesische Premierminister Zhao Ziyang auf einem Treffen mit britischen Geschäftsleuten jetzt noch einmal versicherte, werde sich Chinas Politik „ein Land - zwei Systeme“ nicht ändern, und man werde in Hongkong auch nach 1997, wenn es vertragsgemäß an China zurückfällt, noch für 50 Jahre das kapitalistische System beibehalten. Schließlich bemühe sich China ja auch um möglichst viel ausländisches Investitionskapital, warum also solle man internationale Geschäftsverbindungen für Hongkong zurückweisen. Und in der Tat gibt es das, was Alice Meyer in der taz vom 21.2.1987 als Fiktion aus dem Jahre 1990 über mögliche Auswirkungen des soeben erlassenen Joint Venture–Gesetzes in der Sowjetunion schrieb - hier schon längst als Realität. Das „Gesetz der VR China über Gemeinschaftsunternehmen mit chinesischer und ausländischer Investitionsbeteiligung“ trat hier immerhin schon am 8.7.1979 in Kraft, und die Förderung ausländischer Investitionen wurde 1982 als mögliches Ziel sogar in Artikel 18 der chinesischen Verfassung verankert. Mit dem Ergebnis, daß bis 1986 über 1.000 Gemeinschaftsunternehmen gegründet wurden, wobei der Trend eindeutig zu Großprojekten geht, über 2.000 Kooperationsprojekte entstanden sind sowie immerhin über 120 Unternehmen, deren Kapital sich ausschließlich in ausländischer Hand befindet. Kein Anteilslimit Es gibt hier also nicht die Beschränkung wie beim sowjetischen Modell auf höchstens 49 Prozent der Anteile für Ausländer, vielmehr kann auch bei Joint Ventures die ausländische Beteiligung in beliebiger Höhe ausgehandelt werden. Nur als Untergrenze werden mindestens 25 Prozent genannt. Für Ausländer am deutlichsten sichtbar sind die Joint Ventures im Hotel– und Restaurant–Bereich: Great Wall, Hilton, Lido, Holiday Inn, ShangriLa, Maxims, Hamburger–Restaurants und vieles mehr ist in Beijing vertreten. Bis hin zu einem etwas merkwürdig anmutenden japanisch–chinesischen Joint Venture im Friendship–Hotel, einer Bar, in der der verehrte Gast gegen 20 Yüan Eintritt (das entspricht etwa einem halben bis ganzen chinesischen Durchschnitts–Wochengehalt) zum Mikro greifen darf, um Schlager zu schmettern, wobei er sich gleichzeitig auf Video aufnehmen lassen kann. In den Läden dieser Hotel–Wolkenkratzer, die sich äußerlich in nichts von denen in westlichen Großstädten unterscheiden, ist natürlich alles zu kaufen, was ein Ausländer eben so braucht, wenn er ferne Länder erkunden will: von der Weißwurst über Original Frankfurter Würstchen bis zur Pizza. Daß Chinesen ohne ausländische Begleitung „aus Gründen der Sicherheit“ dort keinen Zutritt haben, versteht sich bei den Preisen beinahe von selbst. Dennoch trifft man viele von ihnen ständig dort. Was bei uns Vitamin B ist, nennt man hierzulande die „Kenntnis der Hintertür“. Aber auch die Liste der Joint Venture–Unternehmen in anderen Bereichen ist lang: von der als erstes Gemeinschaftsunternehmen gegründeten Beijing Air Caterin über die Shanghai Bell Telephone, China Schindler Elevator, Fujian Hitachi TV Sets, Shanghai Volkswagen, Tianjin Sino–French Wine bis zur 1985 mit einem Gesamtinvestitionsvolumen von vier Milliarden US–Dollar gegründeten Guangdong Nuclear Power Joint Co. Schnellstmögliche Produktion Sieben Wirtschaftssonderzonen und 14 neu geöffnete Küstenstädte gibt es derzeit, in denen ausländischen Investoren besonders attraktive Bedingungen geboten werden, um mit einheimischen Firmen ins Geschäft zu kommen. So werden Joint Ventures Steuerermäßigungen bis hin zu zeitweiligen Steuerbefreiungen gegeben, neue Bestimmungen für verbilligte Kredite werden ausgearbeitet, Gewinne können unter bestimmten Bedingungen ins Ausland transferiert werden, unterliegen dann allerdings einer zusätzlichen Steuer von zehn Prozent, während es für reinvestierte Gewinne wiederum einen Steuererlaß von 20 Prozent gibt. Auch der Körperschaftssteuersatz ist mit 33 Prozent erheblich niedriger als in der BRD. Weitere Vergünstigungen sind in jüngster Zeit Zusagen über bevorzugte Materialbeschaffung sowie eine Vorzugsbehandlung von Investoren auf Gebieten, die die chinesische Regierung fördert. Da kann es auch vorkommen, daß Joint Ventures, die aus chinesischer Sicht zunächst exportorientierte Unternehmen, um die Deviseneinnahmen zu erhöhen, oder Unternehmen mit möglichst fortgeschrittener Technologie sein sollen, auch auf dem Inlandsmarkt eine marktbeherrschende Stellung erlangen. Muß man sich doch bemühen, den generellen Zielkonflikt beider Seiten zu entschärfen, den Li Shouzhong, stellvertretender Leiter der Planungs– und Entwicklungsabteilung der Shanghai Volkswagen GmbH, so beschreibt: „Hauptziel der ausländischen Investors ist eine schnelle Gewinnerzielung, Hauptinteresse der chinesischen Seite die schnellstmögliche Produktion in China.“ Auch hier läßt man also zwei Wirtschaftssysteme aufeinanderstoßen, um mit chinesischem Pragmatismus nach einer Synthese aus den Vorteilen beider Seiten zu suchen. Das zeigt sich auch in der Lohn– und Beschäftigungspolitik der Joint Ventures. Auf der einen Seite liegen die Löhne in diesen Betrieben beträchtlich über denen der einheimischen Industrie. Ausgezahlt erhalten die Beschäftigten jedoch nur die landesüblichen Löhne, während der Rest in einen staatlichen Verteilungsfonds für allgemeine Wohlfahrtsmaßnahmen fließt, bzw. 40 Prozent der einbehaltenen Summe zum Wohnungsbau für die Belegschaft verwendet werden kann. Mehr Arbeit, mehr Geld Langfristiger wichtiger dürfte jedoch sein, daß man den Joint Ventures mehr und mehr Zugeständnisse macht, über Einstel lung und Entlassung von Arbeitern selbst zu entscheiden, auch wenn die Betriebsgewerkschaft zustimmen und die zuständige staatliche Behörde ihre Genehmigung erteilen muß. Hier wird das Prinzip der „eisernen Reisschüssel“, nach dem ein einmal in eine Arbeitseinheit aufgenommener Arbeiter fast unkündbar ist, egal wie viel oder wie wenig er arbeitet, durchbrochen zugunsten des neuen, ständig proklamierten Grundsatzes: „Wer mehr arbeitet, soll auch mehr verdienen.“ Die Joint Ventures sind in dieser Hinsicht die Vorreiter bei der Einführung leistungsorientierter Arbeitsmethoden und haben wohl auch deshalb entsprechend größere Freiheiten. Das schließt natürlich nicht aus, daß es trotzdem oft Probleme zwischen den beteiligten Partnern gibt. Die chinesische Seite wird jedoch nicht müde zu betonen, daß die Gemeinschaftsunternehmen „vor allem im Interesse beider Seiten liegen müssen und auftretende Streitigkeiten durch Argumente, die von beiden Seiten akzeptiert werden können, gelöst werden“ (Cai Guoming, Vizedirektor der Hubei Parker Seal Co.). Solche Probleme können z.B. entstehen durch Auseinandersetzungen über die Höhe der vereinbarten Investitionen, wenn seit dem Zeitpunkt des Vertragsabschlusses der Kurs des Renminbi gegenüber der „Hartwährung“ stark gesunken ist. Oder auch über das offizielle 1:1–Tauschverhältnis der chinesischen Landeswährung Renminbi zum FEC (Foreign Exchange Certificate, die für Ausländer vorgeschriebene Währung), während auf dem Schwarzmarkt wesentlich mehr für letzeres geboten wird. Hinzu kommt als dritte Währung in einigen südöstlichen Wirtschaftssonderzonen noch der Hongkong–Dollar, ohne den mancherorts nichts geht. Thatcher beliebt Aber diese Probleme werden als mit gegenseitigem guten Willen durchaus lösbar betrachtet. So vergeht auch kaum ein Tag, ohne daß in der China Daily Lobeshymnen auf die Wichtigkeit von Joint Ventures im besonderen und der wirtschaftlichen Öffnungspolitik im allgemeinen gesungen werden. Und nie fehlt der Hinweis, daß diese wirtschaftliche Öffnungspolitik sich durchaus in Übereinstimmung mit den vier Grundprinzipien Chinas (Festhalten an der Führung durch die KP Ch, am Sozialismus, an der demokratischen Diktatur des Volkes und am Marxismus–Leninismus und den Mao Zedong–Ideen) befinde und sie von einer ideologischen (sprich: „bürgerliche Liberalisierung“) streng getrennt gesehen werden müsse. Ob das eine ohne das andere auf Dauer wirklich zu haben ist, bleibt abzuwarten. Hier erscheint einem jedoch nach einiger Zeit fast nichts mehr unmöglich. Für europäische Linke ist die chinesische Mentalität manchmal recht schwierig zu begreifen. Was soll man z.B. davon halten, wenn bei der Umfrage einer chinesischen Jugenzeitschrift nach den beliebtesten Politikern mit Abstand zwar Deng Xiaoping führt, an zweiter Stelle aber Frau Thatcher genannt wird? Scheinbar ein Volk von arbeitssüchtigen Ordnungsfanatikern, wenn dieser Eindruck nicht - zum Glück - ständig in der täglichen Realität widerlegt würde.

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