: Stationen einer Rassenjustiz
■ In England werden drei Schwarze wegen angeblichen Mordes an einem Polizisten trotz mangelnder Beweise und eines recht zweifelhaften Verfahrens zu lebenslanger Haft verurteilt / Bei Hausdurchsuchungen in schwarzen Wohnvierteln greift britische Polizei schnell zur Waffe
Aus London Rolf Paasch
September 1985: Bei einer schlecht vorbereiteten Hausdurchsuchung im Londoner Einwandererviertel Brixton schießt Polizeikonstabler Lovelock die schwarze Mutter des Gesuchten an und verletzt sie schwer. Mehrtätige Rassenunruhen sind die Folge. Über ein Jahr später wird der schießwütige Polizist in einem aufsehenerregenden Prozeß unter sympathisierender Anteilnahme der Öffentlichkeit vom Vorwurf der schweren Körperverletzung freigesprochen. Der Hüter der öffentlichen Ordnung wird für seine unglückliche Tat mindestens ebenso bedauert wie sein seitdem an den Rollstuhl gefesseltes Opfer. Oktober 1985: Bei einer Hausdurchsuchung durch die Polizei im Nord–Londoner Stadtteil Tottenham stirbt die schwarze Mutter des Gesuchten an einer Herzattacke. Eine Protestdemonstration aufgebrachter Einwohner des Wohnviertels „Broadwater Farm“ wird von Polizeieinheiten in Kampfanzügen abgeblockt. Die schwersten RAssenkrawalle in der jüngeren britischen Geschichte sind die Folge. Bei dem Versuch, die Beton–Wohnungsblocks der „Farm“ abzuriegeln, werden nach offiziellen Angaben rund 250 Polizisten verletzt. Benzinbomben fliegen durch die Nacht, Schüsse fallen, ein Polizist wird von einer wütenden Menge schwarzer Jugendlichen erstochen. Anderthalb Jahre später werden nun drei Schwarze trotz äußerst dürftiger Beweislage zu lebenslanger Haftstrafe verurteilt; ohne sichere Beweismittel, ohne Zeugenaussagen, einzig und allein auf der Grundlage von Geständnissen. Im Falle des Angeklagten Winston Silcott lautete die als „Geständnis“ interpretierte Aussage wie folgt: „Sie haben keine ausreichenden Beweise gegen mich. Die Jugendlichen werden vor Gericht nicht gegen mich aussagen. Auch andere werden nichts sagen.“ Bei der Verhaftung und dem Verhör der zahlreichen wegen „Aufruhr“ und Körperverletzung angeklagten Jugendlichen kam es, wie selbst der Richter kritisierte, zu zahlreichen Gesetzesbrüchen durch die Polizei. Die unzulässige Inhaftierung von Festgenommenen, die Nichtzulassung von Rechtsbeiständen bleibt jedoch disziplinarrechtlich folgenlos. „Unsere Leute“, so formulierte es ein Aktivist der „Broadwater Farm Defence Campaign“ noch vor ihrer Verurteilung, werden für die gesamten Ereignisse des 6. Oktobers verantwortlich gemacht.“ Die Polizei prügelt wie gewohnt weiter. Januar 1986: Der von der Polizei im Nord–Londoner Stadtteil Stoke Newington festgenommene Schwarze Trevor Monerville wird nach seiner „Behandlung“ auf der dortigen Polizeistation mit Gehirnverletzungen ins Krankenhaus eingeliefert, wo er seitdem gelähmt und bewußtlos auf der Intensivstation liegt. Eine Reaktion der örtlichen schwarzen Jugendlichen bleibt am Neujahrstag aus. Februar 1986: Wolverhampton, Mittelengland. Ein bei der Benutzung einer gestohlenen Scheckkarte ertappter Schwarzer wird von der Polizei überwältigt und stirbt auf dem Bürgersteig im Schwitzkasten eines Konstablers. Ausschreitungen werden von der Polizei im Keim erstickt.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen