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China: Die Rache der alten Garde

■ Die gegenwärtig in der VR China laufende „Kampagne gegen bürgerliche Liberalisierung“ ist Ergebnis eines nicht entschiedenen Machtkampfes zwischen Reformisten und Dogmatikern der KP / Proteste als Auslöser / Hu Yaobang mußte als Sündenbock herhalten, um die Fraktionen zu Kompromissen zu bewegen

Von Rolf Kühne

Samstag, der 18. Januar 1987, an der Kreuzung von Sun–Yatsen– Straße und Peking–Straße in der südchinesischen Großstadt Kanton: Das übliche Gewimmel von Fußgängern, Radfahrern und Kraftfahrzeugen; die China–typische Geräuschkulisse aus menschlichen Lauten, Fahrradklingeln, Autohupen, Lautsprechern mit kantonesischer Disco– Musik und geschrienen, von Megaphonen verstärkten Hinweise der Busschaffnerinnen. Der hoch–gewachsene Ausländer erweckt das neugierige Interesse, das Staunen und schließlich auch das spöttische Lachen der Einheimischen - wie eh und je. Dabei ist einen Tag zuvor Entscheidendes geschehen. Hu Yaobang, scheinbar sicherer Nachfolger Deng Xiaopings, hatte seinen Posten als Generalsekretär der KP Chinas niederlegen müssen. Mit ihm wurde einer der ambitioniertesten Verfechter des seit 1978 praktizierten Reformkurses gestürzt. Unter dem Banner „Aufbau eines Sozialismus mit chinesischem Charakter“ war die zentrale Planwirtschaft zugunsten einer zunehmenden Autonomie der Unternehmen zurückgedrängt worden, private Geschäfte waren wie Pilze aus dem Boden geschossen, die ausländischen Investitionen erreichten ein ungeahntes Ausmaß und mit ihnen waren westliche Kulturgüter wie Shakespeare, Beethoven, James Bond, Disco usw. ins Land gekommen. Wie reagieren meine chinesischen Freunde auf die Nachricht vom Sturz Hu Yaobangs? „Hen nan shuo - schwer zu sagen“, ist die einheitliche Bewertung. Alle wollen „ihr Gesicht wahren“, wie immer. Das Gesicht wahren bedeutet: sich nicht zu erkennen geben, das Innere nicht nach außen kehren. Wie oft hatte ich mich über dieses Nicht–Farbe–Bekennen geärgert. Jedoch ebenso oft hatte dieser Ärger der Einsicht Platz gemacht, daß ein solches Verhalten natürlich auch eine Konsequenz aus politischen Erfahrungen darstellt. Erfahrungen, die geprägt sind durch Macht– und Richtungskämpfe in der Partei, aus denen seit 1949 keine Linie über einen längeren Zeitraum hinweg als Sieger hervorgegangen ist. Die Wahrheit von heute ist morgen Lüge, und übermorgen erstrahlt sie wieder in altem Glanz. Es gibt deshalb auch keine amtliche Geschichtsschreibung der KP Chinas. Der politische Sturz bedeutet immer, daß die betreffende Person aus der Historie ausradiert wird. Historische Fotos werden retuschiert. So findet man auf keinem offiziellen Foto von den Trauerfeierlichkeiten zu Maos Tod einen Vertreter der „Viererbande“ - an ihrer Stelle klaffen Lücken. Wird es Hu Yaobang einmal genauso ergehen? Sparsamkeit statt Reformeifer Die Unruhe begann Anfang Dezember 1986, als in verschiedenen Städten Chinas Studentendemonstrationen für Demokratie und Freiheit (speziell Presse– und Meinungsfreiheit), aber auch für besseres und billiges Mensa–Essen stattfanden. Die vielerorts geäußerte Ansicht, sie seien nicht spontan, sondern vom Reformflügel der Partei initiiert und organisiert gewesen, ist nicht ganz von der Hand zu weisen. Dagegen spricht die Tatsache, daß die chinesischen Medien erst Tage später reagierten, nachdem schon ausführliche Berichte im Ausland erschienen und die Studenten in den größeren Städten per Flüsterpropaganda informiert waren. Zunächst durchaus wohlwollend, im Lauf der Zeit aber zunehmend kritischer und ablehnender, erschienen in den täglichen 19–Uhr– Nachrichten des Fernsehens regelmäßig Kurzinterviews mit Arbeitern und Bauern. Noch Wochen nach der letzten Kundgebung wurden die Fernsehzuschauer tagtäglich mit diesen Interview– Statements traktiert. Die Veränderung der politischen Landschaft spiegelte sich sehr anschaulich in der einheimischen Presse wider. Sowohl die englischsprachige China Daily wie die chinesischsprachige Renmin Ribao (Volkszeitung) hatten sich im Laufe des Jahres 1986 vor Reformeifer überschlagen. Mehr als einmal wurde betont, daß der Marxismus–Leninismus keinesfalls alle heutigen Probleme lösen könne. Äußerungen, wie die des Schriftstellers und Journalisten Liu Binyan, man müsse zwischen blindem Gehorsam gegenüber allen Parteidirektiven und einer zweiten Art von Loyalität unterscheiden, charakterisiert durch die Bereitschaft, abweichende Meinungen zum Ausdruck zu bringen, fanden durchweg lobende Erwähnung. Unzählige Artikel über die Vorteile von Kassettenrekordern, Video–Ausrüstungen und privaten Autos erschienen. Dann wehten plötzlich wieder maoistische Winde. Die sog. „vier Prinzipien“ (Sozialismus, demokratische Diktatur des Volkes, Führung der Partei und Marxismus–Leninismus–Maoismus) sind nun der Maßstab aller Dinge. Der mächtige Vorsitzende des Nationalen Volkskongresses Peng Zhen fand mit seiner Verketzerung all derjenigen, die den Marxismus für obsolet halten, breiten Raum in der Presse. Der vorher propagierte Konsum war plötzlich eine Schande und Sparsamkeit wieder eine Tugend. Aus diesem abrupten Klimawechsel konnte man trotzdem kaum auf einen bevorstehenden Sturz des Parteichefs Hu Yaobang schließen. Denn zu oft hatte Deng Xiaoping seit 1978 einen Schritt zurückweichen müssen, um anschließend wieder zwei Schritte vorwärtszuschreiten. Entmachtung der alten Dogmatiker mißlungen Zu den Hintergründen des Sturzes war die Lektüre der außerchinesischen Presse (vor allem der Asia Week) weitaus hilfreicher als das Studium von China Daily oder Renmin Ribao. In einem parteiinternen Rundschreiben werden folgende Gründe für den Sturz Hu Yaobangs aufgeführt: - Schwäche und Nachgiebigkeit angesichts der Ausbreitung der bourgeoisen Liberalisierung; - Beförderung von Verwandten und Freunden in hohe Positionen; - Verletzung der Arbeitsteilung zwischen Partei und Regierung, indem er wiederholt in wirtschaftspolitische Entscheidungen eingegriffen habe; - Unschickliches Betragen ausländischen Persönlichkeiten gegenüber; insbesondere schlecht durchdachte und nicht autorisierte Zusagen für Geschäftsmöglichkeiten in China; - Extravaganzen wie teure Chinareisen für 3.000 japanische Jugendliche, obwohl Naka sone im Gegenzug nur ein paar hundert Chinesen einladen wollte. Es ist unschwer zu erkennen, daß die meisten Gründe aus politischer Opportunität heraus zusammengeschustert sind. Hu ist ein Opfer des Kampfes zwischen dem konservativen (sprich: maoistischen) und dem reformistischen Flügel der Partei geworden. Die Konservativen, in der westlichen Presse auch „Orthodoxe“ oder „Dogmatiker“ genannt, waren, trotz diverser Umbesetzungen, nie ganz entmachtet worden. Im Gegenteil: Deng und Hu wollten ihre mächtigsten politischen Gegner in ehrenvolle Posten innerhalb des Nationalen Volkskongresses hieven und sie dort neutralisieren. Doch der Schuß ging nach hinten los: Der Volkskongreß mit seinen knapp 3.000 Abgeordneten ist jetzt eine starke Bastion der Konservativen. Machtbastion Militär Eine weitere machtvolle konservative Clique ist das Militär. Seit die Reformisten am Ruder sind, ärgern sich die Militärs über Beschneidungen ihres Etats sowie Abspaltungen bestimmter nicht– militärischer Produktionen aus ihrem Kompetenzbereich und Kontrolle durch Partei und Regierung. Da die führenden Militärs Deng Xiaoping früher einmal persönliche Loyalität versprechen mußten, konzentriert sich nun ihre ganze Wut auf Hu. Die Tatsache, daß Deng Xiaoping Hu Yaobang zu seinem Nachfolger als Vorsitzender der Zentralen Militärkommission erkoren hatte und Letzterer an diesem Posten auch sehr interessiert war, hatte ihnen sicher chronische Magengeschwüre bereitet. Bei einer Sitzung der Zentralen Militärkommission im Dezember 1986 wurde Hu erstmals offen kritisiert: er sei zu schwach und ambivalent in der Durchsetzung der „vier Prinzipien“. Sogar das Rederecht entzog man ihm. Gegen Nummer drei und vier sind die Legionen von Ideologen und Politkommissaren im ganzen Land, welche bei scharfer Trennung zwischen Regierung, Unternehmen und Partei - eigentlich ihre Jobs verlieren müßten sowie die Advokaten einer strengen zentralen Planung. Zu Letzteren gehören so einflußreiche Leute wie der Altmeister der Ökonomie Chen Yun, Staatspräsident Li Xiannian oder die Präsidentin der Bank of China, Chen Muhua. Steter Tropfen höhlt den Stein Der Einfluß dieser vier mächtigen Gegner der Reformen auf Deng Xiaoping wuchs um so mehr, als es zwischen Deng und Hu mehrmals zu politischen Konflikten kam. Hu hatte Ernennungen ohne vorherige Absprache mit dem Alten durchgeführt und sich zu häufig in Regierungsgeschäfte eingemischt. Auch trägt Deng Xiaoping selbst zwei Seelen in seiner Brust. Als es in der Bai–Hua– Affaire 1981 um ein aufrührerisches Filmdrehbuch um die Freiheit der Meinungsäußerung ging, stand er auf der Seite der Konservativen, und 1983/84 war er einer der Urheber der „Kampagne gegen geistige Verschmutzung“. Allerdings ließ er es auch zu, daß Hu und der Reformflügel diese Kampagnen stark bremsten. Im September 1986 entschied er trotz starker Einwände seiner Reformfreunde, einen Passus „gegen die bourgeoise Liberalisierung“ in eine wichtige Parteiresolution einzufügen. Der Tropfen, welcher das Faß zum Überlaufen brachte und den Reformflügel zu einem Opfer zwang, kam in Form sozialer Unruhen Ende 1986. Arbeiter protestierten gegen Inflation (Fahrradpreise u.ä.) und Arbeitsreformen, wie die Einführung kündbarer Arbeitsverträge. Hausfrauen gingen in Peking wegen der hohen Gaspreise auf die Straße, und die Studenten verlangten nach mehr Demokratie. Darüber hinaus waren die Auslandsschulden stärker gestiegen als einkalkuliert, die Produktivität der meisten Staatsunternehmen war dagegen zurückgegangen. Der Sündenbock war mit Hu Yaobang schnell gefunden. Natürlich haben die Befürworter einer strengen zentralen Planung nun kräftig Rückenwind: Deng Liqun, 72, Erzkonservativer, früher Herausgeber der Roten Fahne und jetzt Mitglied des Parteisekretariats, ist gegenwärtig der Hauptideologe. Er hat innerhalb des Sekretariats eine „Führungsgruppe zur Bekämpfung der bourgeoisen Liberalisierung“ gebildet, die alle Anstrengungen zur Durchsetzung der „vier Prinzipien“ koordinieren soll. Deng Liqun wird als so mächtig angesehen wie seinerzeit Yao Wendyuan, der Hauptideologe der „Viererbande“. Seine Pamphleteure schreiben für Volkszeitung und Rote Flagge - und somit auch für die übrigen Medien. Des weiteren werden „Säuberungsaktionen“ organisiert. Sogenannte „Arbeits–Teams“ sammeln in den verschiedenen Regionen des Riesenlandes Essays und Vorträge bekannter bourgeoiser Liberalisten ein. Natürlich wurden auch Führungspositionen innerhalb der Propaganda–Abteilung der Partei mit den entsprechenden Kumpanen besetzt. Zukunft ungewiß Doch können sich die Konservativen auf Dauer durchsetzen? Die meisten Beobachter bezweifeln das. Immerhin steht die Intelligenz und der überwiegende Teil der Bevölkerung voll hinter dem Reformkurs. Es wird gehofft, daß nach dem Fall von Hu Yaobang auch die Köpfe der konservativen alten Garde zurücktreten. Alle Augen richten sich auf den neuen Parteisekretär Zhao Ziyang, der dem alten in puncto Reformwillen in nichts nachsteht. Er hat zwar keine Bastion im zentralen Parteiapparat hinter sich, verfügt aber auf Provinzebene über eine feste Machtbasis. Zhao arbeitete sich in den Provinzen Henan und Guangdong nach oben und war fünf Jahre lang Parteichef in der volkreichsten Provinz Sichuan. Die Militärs akzeptieren ihn, weil ihn militärische Angelegenheiten wenig interessieren. Während Hu Yaobang sich vor nur knapp des Lesens und Schreibens kundigen Dorfkadern stundenlang über die Vorteile des Gebrauchs von Messer und Gabel ausgelassen haben soll, ist Zhao bekannt für sein ausgleichendes Wesen. Er gilt als Pragmatiker, der Kontroversen vermeidet und sich aus politischen Minenfeldern heraushält. Bis auf dem 13. Parteikongreß im Herbst dieses Jahres ein neuer Ministerpräsident gewählt wird, behält Zhao auch noch diese Posten. Vieles wird davon abhängen, ob sein Nachfolger zum Reform– oder konservativen Flügel gehören wird.

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