: D O K U M E N T A T I O N „Der gewaltfreie Widerstand ist ihr Gegner“
■ Auszüge aus der Rede der Abgeordneten der Grünen, Antje Vollmer, zur Gewaltdebatte / Der Anlaß für die Debatte ist nicht etwa das bedrohte Gewaltmonopol des Staates, sondern die Legitimationskrise der Machthaber / Diese erfordert die Denunziation des gewaltfreien Widerstandes
Meine Damen und Herren - insbesondere Herr Geißler, warum wollen Sie eigentlich ausgerechnet jetzt diese Debatte haben? Was haben Sie eigentlich vor, wenn Sie diese Debatte so jetzt anzetteln? Es wäre ja durchaus lohnend, in diesem Parlament über den gewaltförmigen, ja den aggressiven Charakter des gesellschaftlichen Zusammenlebens (in Politik, Wirtschaft, Recht, Familie) nachzudenken. Sie aber sorgen sich um höhere, um saubere Gewalt: um das Gewaltmonopol des Staates. Nun gut, da frage ichSie: Wo war in der ganzen Geschichte der Bundesrepublik dieses Gewaltmonopol eigentlich bedroht, wirklich bedroht? Wenn Sie einmal ohne Hysterie diese ganze Nachkriegsgeschichte angucken, so hat es nie auch nur den Anschein einer Bedrohung dieses Gewaltmonopols gegeben. Warum wollen Sie dann eigentlich diese Debatte? (...) Ich will es Ihnen sagen: Mit dem Ihnen eigenen Instinkt für kritische Situationen haben Sie begriffen, daß dieser Staat, dessen Gewaltmonopol durch nichts bedroht ist, gleichzeitig doch eminent in Schwierigkeiten ist. Es gibt tatsächlich eine Krise dieses Staates und seiner Regierung, aber sie ist von anderer Art, als Sie sie uns glauben machen wollen. (...) Dieser Staat ist in einer Legitimationskrise, die viel weniger deutlich faßbar, viel anonymer, viel massenhafter ist. (...) Nach Tschernobyl haben viele begriffen, daß Ihren Beruhigungen nicht mehr zu trauen ist. Daraus resultiert eine Legitimationskrise des Staates in seiner Fähigkeit, Zukunft und Überleben auf Dauer zu garantieren. (...) Diese Unsicherheit merken Sie - und was Sie dagegen versuchen, ist so etwas wie eine ideologische Aufrüstung, die der militärischen Aufrüstung folgt. Sie suchen für sich, Sie suchen aus dieser Legitimationskrise einen Ausweg - und Sie folgen dabei der alten militaristischen Logik, daß ein Staatsfeind her muß, ein kollektiver Übeltäter. Und jetzt kommen Sie in ein Dilemma: Sie finden diesen Übeltäter nicht - weil sie ja nicht Politik gegen eine ganze verunsicherte, bohrend nachfragende Bevölkerung machen können. Sie finden ihn vor allen Dingen deshalb nicht, weil der Widerstand, der Ihnen entgegen schlägt, in der Regel eben nicht gewalttätig, sondern gewaltfrei ist. Um es Ihnen ganz deutlich zu sagen: Sie wollen diese Debatte nicht, weil es so viele Gewalttäter in dieser Gesellschaft gibt, sondern weil es einen massenhaften gewaltfreien Widerstand gibt. Das ist ihr Adressat! Das ist Ihr politischer Gegner! Dazu versuchen Sie folgendes: Sie versuchen, den gewaltfreien Widerstand so zu domestizieren, daß er sich selbst nicht mehr ähnlich sieht. Damit verletzen Sie etwas, was außerordentlich wichtig ist für das Fortbestehen einer demokratischen Gesellschaft: nämlich, daß es eine politische Identität geben muß, eine Kultur der Opposition und des Widerspruchs, der niemand ungestraft ständig das Rückgrat brechen darf. Diese Identität der Linken, der politischen Opposition, des gewaltfreien Widerstandes als einer wirksamen Methode des Einflusses auf die öffentlichen Dinge - genau diese Identität wollen Sie brechen. Aber: aus der Erfahrung der Harmlosigkeit, der Ohnmacht, der Wirkungslosigkeit der gewaltfreien Strategien, entsteht - folgerichtig - die Verzweiflung, daß es dann doch nur anders geht. Natürlich vollziehen nicht alle Teile der politischen Opposition diese Lehre, sondern nur ein kleiner Teil. Bei den anderen gelingt die Domestizierung. Aber dieser kleine Teil, der radikalisiert sich. Und gerade um den kämpfen wir. Gerade den wollen wir Ihnen nicht überlassen. Hier setzen Sie ein mit ihrem Begriffspaar: Wer nach den Ursachen fragt, wer Verständnis zeigt, ist schon ein Mittäter und Mitverantwortlicher. Ihre dritte Methode ist die: Sie nennen schon das gewalttätig und Rechtsbruch, was eindeutig gewaltfrei ist. Von der Art ist Ihre Reaktion auf die breite Verweigerung der Menschen und vieler Organisationen, sich volks–zählen zu lassen. Zum Glück! möchte man sagen, sind wir hier an einem Punkt, wo kein Zweifel besteht, daß das Nichtausfüllen eines Fragebogens durch und durch gewaltfrei ist. Und es gehört schon eine unglaublich dumpfe Unvernunft dazu, um dieses nun zu einer Aktion umzuinterpretieren, bei der die Grundfesten des Staates wanken. (...)
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen