piwik no script img

Provozieren und abgreifen

■ Strategien für Kreuzberg

Das sprachlose Erschrecken über die Eruption von Anti–Staatlichkeit am Kreuzberger 1. Mai ist überwunden. Mit den Erklärungsversuchen formieren sich die Strategien, um das Unruhe–Potential im Hinterhof der Stadt in den Griff zu kriegen. Das Rezept des Innensenators ist so brutal wie einfach: Eskalationen in der City vermeiden - Kreuzberg belagern! Seit dem 1. Mai patrouillieren ungezählte Mannschaftswagen rund um die Uhr in den Straßen von SO 36. Einem volltrunkenen angeblichen Steinwerfer aus der 1. Mai–Nacht, von seinen Richtern selbst als Teil des „Publikums“ eingestuft, wird ersatzweise für die „wahren Täter“ (Urteilsbegründung) eine hohe Strafe aufgebrummt. Das sollen die Maßnahmen zur Abschreckung sein, um alles, „was passiert“, so Innensenator Kewenig, „sofort und im Keim zu ersticken“. Doch ist den Politikern noch immer unklar, was denn eigentlich im Keim erstickt werden soll. „Störer“, „Angehöriger der Kreuzberger Szene“ oder „potentieller Gewalttäter“ könnte bei der augenblicklichen Stimmung in Kreuzberg jeder harmlos aussehende Pappi sein, während der Mann in der schwarzen Lederjacke möglicherweise nur ein IBA–Architekt ist, der einen Lokaltermin im Kiez hat. Es geht dem Ordnungs–Apparat jetzt um mehr, nämlich darum, die unbegriffene Szene zu greifen. Erst provozieren und dann „alles, was auf der Straße rumläuft, einfangen“, heißt es im mitgeschnittenen Polizeifunk ganz offen. (Er)fassen, sortieren, die eine Hälfte einschüchtern, die andere aussondern - das bekannte staatliche Reaktionsmuster auf unfaßbare Unruhe–Herde. Und die Zeit drängt, die Anti–Reagan–Demonstration ist in drei Wochen... Imma Harms

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen