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Begeisterung an der Börse über Thatchers Sieg

■ Fette Tory–Mehrheit: 106 Sitze / Für jeden gewonnenen Wahlkreis in Schottland hat Labour zwei im britischen Süden verloren / Grüne scheitern an Fünf–Prozent–Hürde / Labour schickt die erste schwarze Abgeordnete ins Unterhaus

Aus London Rolf Paasch

London, Donnerstag abend, 22 Uhr. Die Wahllokale schließen. Nur Sekunden später verkünden die Fernsehstationen die Ergebnisse ihrer Wählerbefragungen, ihre „Exit Polls“. BBC zufolge soll es spannend werden, eine knappe konservative Mehrheit von 26 Sitzen wird prognostiziert. Dann folgt, wie sich später herausstellen wird, das Beste an der ganzen Wahlnacht: Stundenlang „Spitting Image“ das häßliche Puppenkabarett mit politischen Figure. Von Maggies rechter Hand Norman Tebbit, der seine Wähler aus dem Cockpit eines Tory–Panzers zum Wahllokal dirigiert: „Vote Tory oder ich schieße“; von Oppositionsführer Neil Kinnock, der nach Schließung der Wahllokale immer noch vergeblich durchs Megaphon an seine Sozial–Themen zu erinnern versucht: „Krankenhäuser, Renten, Krankenhäus...“ Cut. Während die politischen Astrologen um 23 Uhr die ersten Ergebnisse hochrechnen, herrscht auf den Straßen Londons wenig Aufregung. Die Zeiten, da sich eine jubelnde Labour–Menge am Trafalgar Square versammelte, sind längst vorbei. Statt dessen feiern die Medien den dritten aufeinanderfolgenden Wahlsieg Margaret Thatchers. Die Prognose des kommerziellen Fernsehens ITN ist mittlerweile bei einer konservativen Mehrheit von 68 Sitzen angelangt. Am Picadilly Circus haben sich ein paar angetrunkene Nachtschwärmer versammelt, die gerade aus den Kneipen herausgeflogen sind und mühsam die erleuchtete Anzeigentafel mit den „bad news“ entziffern. Einige gröhlen, als habe der F.C. Totten ham verloren. Ein kleines Grüppchen nicht nur freudentrunkener Tories läßt einen weiteren Korken knallen. Die aus den West–End Theatern strömenden Touristen finden das alles ganz „aufregend“, sie müssen ja nicht auf der Insel bleiben. Nebenan, im bedächtigen Klub der Auslandspresse nimmt man die konservative Kontinuität dagegen ruhig zur Kenntnis. Drei Meilen stadtabwärts, in der Londoner City, wo die Börse die Nacht durchmacht, um aus Maggies Wiederwahl direktes Kapital zu schlagen, herrschen große Begeisterung und rege Betriebsamkeit. Der „Financial Times–Index“ steigt auf Rekordhöhen. Der Taxifahrer auf dem Weg ins Londoner East End weiß, woran das Oppositionsdebakel liegt. Er wohnt im Nordlondoner Walthamstow, einem bis heute nacht sicheren Labour–Wahlkreis. „Wenn du gesehen hast, wer in den letzten Jahren in unsere Straße eingezogen ist, dann wundert dich nichts mehr.“ Die Yuppies, Maggies bedeutsamster politischer Fan–Club, transformieren die Metropole schneller, als die traditionellen Labour–Wähler in den Ruinen des sozialen Wohnungsbaus ihre Sozialhilfe–Schecks einlösen können. Im Rathaus von Hackney, dem Nest der „loony left“, der übergeschnappten Linken - wenn man der Boulevardpresse glauben will - herrscht tiefe Niedergeschlagenheit. Thatchers Mehrheit hat die 100 Sitze– Marke passiert. Im Vorzimmer des Saals hockt die halbe Wählerschaft der Kandidatin von der „Roten Front“ vorm Bildschirm und genießt, wie sich die Opposition durch die Interviewprozedur der Fernsehanstalten quält. Die Allianz verliert ihre besten Köpfe, Labour verliert für jeden gewonnenen Wahlkreis in Schottland zwei im Süden des Landes. „Das ist die Quittung für euren Verrat an der Arbeiterklasse“, erklärt ein „Red Front“–Aktivist seinem Nebenmann. Drinnen im Ratssaal wird emsig gezählt. Dabei hat hier in Hackney, einem der ärmsten Bezirke Großbritanniens, nur jeder zweite gewählt. Das Ergebnis verzögert sich, weil die Grünen neu gezählt haben wollen. Ihnen fehlen drei Stimmen an der Fünf– Prozent–Grenze, was sie ihre Einlage von 1.500 DM kosten würde. Umweltschutz ist in diesem Lande kein Renner, sondern ein politisches Zuschußgeschäft. Endlich erfolgt die Verkündung des Ergebnisses. Mit der Labour–Kandidatin wird die erste schwarze Frau in ein britisches Unterhaus gewählt. Einen Augenblick lang kann dieses historische Ereignis die allgemeine Niedergeschlagenheit durchbrechen. Ein paar freudige Antworten in die Mikrophone, bis sich die Depression über das landesweite Ergebnis wieder über den Saal legt. Freitag, 6.00 Uhr morgens, Nachrichten des „Frühstücksfernsehens“. Frau Thatcher hat eine konservative Mehrheit von 106 Sitzen gewonnen. Anschließend die Wetterkarte. „Sonne im Süden, im Norden Englands und in Schottland dagegen windig, trüb mit heftigen Schauern.“ Besser läßt es sich nicht zusammenfassen.

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