: Witze über Castro sind tabu
■ Auf der sozialistischen Inselrepublik ist die Selbstkritik durch Witze eine Kunst, die von Fidel Castro selbst gefördert wird / Bürokratie und Versorgungsmängel sind Zielscheibe der Kritik
Havanna (dpa) - „Hier sind nur drei Leute gestorben“, erklärt der Funktionär in der Leichenhalle, „zur Plan–Erfüllung sollten es aber vier sein.“ Mit solchen spötti schen Spitzen über Planwirtschaft, Funktionärsgehabe und die Frustrationen des Alltags muntern vor allem die beiden Zeitschriften Palante und Dedete die kubanische Presselandschaft auf. Etwa über den Service im Restaurant: „Ich weiß gar nicht, warum die Leute sich beschweren. Hier ist die Bedienung doch blitzschnell“, meint der Kellner, der gerade von einer Schnecke überholt wird. Oder über den Kundendienst: Da erhält die Hausfrau ihre klapprige Waschmaschine aus der Reparatur mit einem Fußtritt zurück, so daß alle Teile abfallen, und mit der Bemerkung des Mechanikers: „Macht 50 Pesos“ (einen halben Monatslohn). Die Leser der Parteizeitung Granma (benannt nach dem Schiff, mit dem Fidel Castro 1956 aus dem mexikanischen Exil nach Kuba zurückkehrte und die Revolution auslöste) konnten kürzlich eine Karikatur bewundern, die eine Menschenschlange vor dem Kaffee–Kiosk zeigte. Am Ende der Schlange ein Kinderwagen, davor ein Kind, Jugendliche, Erwachsene zunehmenden Alters in langer Reihe. Der Vorderste schließlich kann als alter Greis mit Bart und Stock seinen Becher Kaffee in Empfang nehmen. Lebensmittelrationierung und Versorgungsengpässe sind zur Zeit ein besonders heikles Thema, da Kubas Wirtschaft sich wegen niedriger Weltmarktpreise für die wichtigsten Exportgüter in akuter Devisen–Not befindet. Importe wurden deshalb gedrosselt und alle verfügbaren Kräfte in den Export gesteckt - mit der Folge für die Kubaner, daß einige Waren seltener und teurer werden. „Öffentliche Witze sind in dieser Situation ein Ventil für den Ärger der Bevölkerung“, meinte ein ausländischer Beobachter in Havanna. Fidel Castro hat seine Landsleute und die Journalisten im vergangenen Jahr zur Selbstkritik ausgerufen, um Effizienz und Produktivität zu steigern. Jedoch sind Fidel Castro selbst, seine Kampfgefährten aus der Revolutionszeit (etwa Ernesto Che Guevara) und die grundsätzlichen Errungenschaften der Revolution, die soziale Sicherheit, Schulbildung und medizinische Versorgung gebracht haben, für Karikaturisten tabu. Statt dessen werden die USA fast täglich in Wort und Bild als aggressiver Imperialisten–Nachbar karikiert: US–Präsident Ronald als Zauberer holt Raketen statt Tauben aus seinem Hut; die Schlange im Paradies hat einen US–Kapitalistenhut auf dem Kopf und führt Adam und Eva mit kleinen Raketen statt dem berühmten Apfel in Versuchung; der Weltwährungsfonds in Washington hält als blutgieriger Vampir einen armen Schlucker mit leeren Taschen in seinen Klauen. Norbert Schnorbach
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