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„Bürgerkriege wirds an der Ruhr nicht geben“

■ Wegen der pechschwarzen Zukunft des Bergbaues gärt es in den Zechen des Ruhrgebietes / Gewerkschaft und Unternehmer fordern „klare Worte aus Bonn“ / Trotz verheerender Geschäftsbilanz fließt bei der Ruhrkohle AG der Campari

Ausm Pott Petra Bornhöft

Mit schwerem Schritt schlurft der Bergtechniker Andreas Hering auf den Werkshof der Zeche General Blumenthal in Recklinghausen. Nach sieben Stunden Maloche unter Tage blitzt einzig der silberne Ohrring. Der Rest ist rabenschwarz - vom Helm bis zu den Plastik–Wadenschonern und Stiefeln. An schweißtreibende Temperaturen von über 30 Grad gewöhnt, scheint keiner der 700 Behelmten in der Mittagshitze zu versengen. Nur den Mittagsschichtlern, die aus Protest gegen Arbeitsplatzunsicherheit und Verschleppung der Tarifverhandlungen vorgestern ihre Seilfahrt um eine Stunde verzögerten, stieg die Zornesröte deutlich ins Gesicht. „Als Zeche Erin in Castrop– Rauxel dichtmachte, wurde ich hierher verlegt. Mußte für die Frühschicht um drei Uhr aufstehen. Soll ich jetzt wieder woanders hin?“, fragt Andreas Hering, der in der vierten Generation seiner Familie und mit 16 Jahren auf dem Pütt anfing, laut in die Runde. Die gleiche Frage treibt seit Tagen Tausende von Bergleuten der verbliebenen 31 Schachtanlagen zu „spontanen Veranstaltungen“, wie es die IG Bergbau nennt. Denn die Einheitsgesellschaft Ruhrkohle AG (RAG) handelt seit letzter Woche wieder mit Horrorzahlen. Mal sind es 20.000 bedrohte Arbeitsplätze, dann heißt es, „intern“ rechne die RAG mit einem Abbau von 12.000. Für Unmut sorgt auch eine angebliche „Hitliste“ von drei bis vier in Kürze stillzulegenden Zechen. Die geforderte klare Auskunft blieb das Unternehmen am Montag bei der Bilanzpressekonferenz in Essen schuldig. Dort legte der Vorstand das schlechteste Betriebsergebnis seit Gründung der RAG 1968 vor. Trotz Ausfallschichten und Produktionseinschränkungen werden bis Ende des Jahres 11,7 Mio. t Steinkohle auf Halde liegen. Verkaufte die RAG vor drei Jahren noch 63 Mio. t Kohle, so wird sich 1987 der Absatz voraussichtlich auf rund 51 Mio. verringern. 1986 kletterte das Defizit auf 220 Mio. Mark. Als wichtigste Ursachen mangelnder Konkurrenzfähigkeit bundesdeutscher Steinkohle gelten die billigen Weltmarktpreise für ÖL, Gas und Importkohle (sie kostet zwischen 80 und 110 DM gegenüber 265 DM pro t Ruhrkohle) und die nachlassende Nachfrage der kränkelnden Stahlindustrie. Aus der Sicht der Bergleute „geht unsere Kohle vor allem wegen der Billigimporte aus Südafrika drauf“, schimpft Andreas Hering, der seinen Durst mit spendiertem Mineralwasser löscht. Ein erboster Kollege ergänzt: „Die sollten endlich aufhören, ein Atomkraftwerk neben das andere zu stellen.“ Unter viel Beifall ruft ein anderer Kumpel ins Megaphon: „Der beschworene Verbund von Kohle und Atom geht auf Kosten der Kohle.“ Diese auf der Kundgebung in Recklinghausen häufig zu hörende Ansicht taucht in den Reden der Funktionäre nicht auf. Wohl aber bei der RAG, deren Vorstandsvorsitzender Heinz Horn befürchtet, daß im „Bundeswirtschaftsministerium Vorstellungen entwickelt werden, den Anteil der Importkohle noch weiter zu erhöhen und Atom strom aus Frankreich zu beziehen“. Auch der von Bonn geplante Subventionsabbau für Kohleexporte an die EG–Stahlindustrie und eine anvisierte Reduktion der heimischen Kohle in der Stromwirtschaft spätestens nach 1995 verschlechtern die Perspektiven des Bergbaues, dessen Fortbestand nach Ansicht von Horn jetzt „allein von politischen Entscheidungen abhängt“. Auch die IG Bergbau (IGBE) erwartet spätestens von der Bonner Kohlerunde im Frühherbst die Zusage weiterer Subventionen. Bis dahin wird die RAG nicht tatenlos bleiben. Den 4.700 Ar beitsplätzen, zwei Zechen– und drei Kokereistillegungen allein im Jahr 1987 soll ein weiteres „sozialverträgliches Abschmelzen der Belegschaften“ folgen, kündigte RAG–Arbeitsdirektor Ziegler vorgestern an, stolz darauf, daß es „Bürgerkriege nur in Großbritannien gibt“. Dennoch sorgen sich RAG und IGBE um die Unruhe in der Emscherzone. IGBE–Chef Heinz–Werner Meyer warnte vor der Presse: „Die Unruhe hat bereits Ausmaße angenommen, die kaum noch zu kanalisieren sind. In allen Betrieben beziehen wir Prügel. Die Leute fordern den Marsch auf Bonn. Sie sagen: Macht endlich Randale.“ Der 45jährige Maschinenhauer Jürgen Jahn, in dessen Gesicht 30 Jahre Pütt den Kohlenstaub unter die weiße Haut gedrückt haben: „Dat bringt doch nix. Die haben schon immer mit uns gemacht, wat se wollten.“ Daß es vor allem um Zeitverzögerung für den wohl unumgänglichen Abbau der Kohleförderung geht, glaubt selbst der Betriebsratsvorsitzende der Zeche Ewald aus Herten, Friedbert Hückelkamp. Auf dieser Schachtanlage werden sich heute Hunderte von Bergleuten versammeln, ohne daß ihnen irgend jemand eine Lösung für die Kohlekrise präsentieren könnte. „Es darf niemand ins Bergfreie fallen“, so Hückelkamp zur taz, „aber bei einem Durchschnittsalter von 32 Jahren finden wir kaum noch Leute, die sich vorzeitig pensionieren lassen wollen.“ Fieberhaft arbeitet die IG Bergbau an Lösungsvorschlägen. Vielleicht wird sie erstmals nicht mehr dafür sorgen können, daß kein Bergmann zum Arbeitsamt muß. Am 20. Juli will der IGBE– Hauptvorstand Ergebnisse vorstellen, darunter die Forderung nach mehr Freischichten. Es wird auch dann wieder eine Pressekonferenz geben, vermutlich jedoch nicht verbunden mit einer derartigen Völlerei wie am Montag bei der RAG: Campari–Orange, Finnischer Lachs, Forellenkaviar, Melonenkügelchen und Pfifferlingssalat. Nach Aussagen von Gourmets unter den 150 Wirtschaftsjournalisten „absolut kärglich“.

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