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Was tun mit all dem Müll?

■ Müllnotstände, Altlastenproblematik, Recyclingkrise und Giftmüllskandale: Bundeskongreß „Abfallvermeidung“ diskutierte in Berlin Möglichkeiten und Strategien zur Umsetzung ökologischer Konzepte

Aus Berlin Gerd Thorns

Am vergangenen Wochenende trafen sich rund 200 Vertreter von Ökogruppen und Verbraucherinitiativen, Wissenschaftler und grüne Kommunalpolitiker zum bundesweiten Abfallkongreß des „Instituts für ökologisches Recycling“ in Berlin. Ziel des u.a. vom Berliner Senat geförderten Kongresses war die Entwicklung gemeinsamer Strategien zur Abfallvermeidung und eine stärkere Vernetzung der zahlreichen örtlichen Initiativen. Wachsende Müllberge In rund einem Dutzend einstündiger Referate wurden nahezu sämtliche Aspekte des Themas - von der Hinterhofkompostierung bis zu den Abfallproblemen der Dritten Welt - beleuchtet und die verschiedensten Ansätze zur Abfallvermeidung, von der Verbraucherberatung bis zum Produktionsverbot gefährlicher Stoffe, diskutiert. Angesichts der wachsenden Müllberge, der damit zusammenhängenden Müllnotstände, Altlastenproblematik und der zahlreichen Giftmüllskandale der letzten Jahre bestand weitgehende Einigkeit darüber, daß die Abfallvermeidung das Gebot der Stunde sei. Wiederholt wurde darauf verwiesen, daß ein Recycling, also die Wiederverwertung entstehender Abfallprodukte, nur die zweitbeste Lösung sei und - unter rein wirtschaftlichen Gesichtspunkten betrieben - zu zusätzlichen Umweltbelastungen führen könne. In jedem Falle seien Mehrwegsysteme wie etwa Pfandflaschen dem Recycling von Einwegflaschen vorzuziehen. Auch die Müllverbrennung, von der Abfallwirtschaft als „thermische Verwertung“ verkauft, wurde als Alternative verworfen, da es sich hierbei lediglich um eine andere, nicht minder gefährliche und ver schwenderische Form der Deponierung handele. So errechnete das „Institut für ökologische Wirtschaftsforschung“ (JFöR) in einer von der Alternativen Liste Berlin in Auftrag gegebenen Studie, daß eine in Berlin geplante Großverbrennungsanlage jährlich etwa 2.000 t Stick– und Schwefeloxide, 16,5 t Schwermetalle und bedenkliche Mengen an Dioxin in die Luft blasen würde. Umstritten blieb jedoch die Sondermüllbehandlung, da nach Ansicht einiger Experten selbst bei einer Hochtemperaturverbrennung die Gefahr der Dioxinbildung weiterhin bestehe. Bereits in der Eingangsdiskussion wurde von den Vertretern des BUND und der AL betont, daß der Ansatz zur Abfallvermeidung im Produktionsbereich liegen müsse, so daß gefährliche Stoffe und Abfallprodukte gar nicht erst anfielen. Als Mittel hierzu wurden vor allem marktwirtschaftliche Maßnahmen, etwa eine erhöhte Besteuerung von Einwegsystemen und umweltschädlichen Produkten, gefordert. Die bisherigen gesetzlichen Grundlagen reichen hierzu allerdings nicht aus. Der Paragraph 14 des Abfallgesetzes sieht zwar gesetzliche Auflagen bis hin zum Produktionsverbot vor, jedoch erst für den Fall, daß die Industrie im Verlauf mehrerer Jahre staatlichen Vorgaben nicht freiwillig nachkommt. Der Paragraph, so wurde kritisiert, sei in seiner jetzigen Fassung „zu schwerfällig“, um kurzfristig spürbare Ergebnisse zu erzielen, und müsse „ökologisch scharf gemacht“ werden. Kommunen müssen initiativ werden Angesichts der geringen Einflußmöglichkeiten auf bundesgesetzlicher Ebene rückten im Verlauf des Kongresses die Kommunen als vorrangige Handlungsebene immer stärker in den Mittel punkt des Interesses. In mehreren Referaten wurden kommunale Konzepte zur Abfallvermeidung vorgestellt, darunter auch die bereits erwähnte Studie des IFöR, in der für West–Berlin eine Vermeidungskapazität von 28 Haus– und Siedlungsabfälle errechnet wurde. Ein Vertreter des Bielefelder Stadtreinigungsamtes wies in seinem Beitrag auf eine Vielzahl kommunaler Eingriffsmöglichkeiten hin, die von der dortigen rot–grünen Stadtregierung ergriffen wurden, darunter verstärkte Verbraucheraufklärung, Getrenntsammlungen von organischen Abfällen und Förderung der Eigenkompostierung, Fortbildungsmaßnahmen für Verwaltungsbeamte zum Umweltberater und Deckung des Eigenbedarfs der Verwaltung mit umweltfreundlichen Produkten. Nach dem Motto „nicht kleckern sondern klotzen“ wurden in Bielefeld 30 zusätzliche Stellen eingerichtet, darunter eine Journalistenstelle für die Öffentlichkeitsarbeit, um durch Aufklärung und gezielte Produktwerbung einen Bewußtseinswandel der Verbraucher zu beschleunigen. Erfahrungen aus dem Berliner „Plenums“–Projekt von 1983, in dem in 70 Haushalten Möglichkeiten der Abfallvermeidung erprobt wurden, zeigen, daß bei intensiver Betreuung die Bereitschaft zur Abfallvermeidung wächst. Die entscheidende Frage, ob der um 20 Bielefelder Stadtreinigung sich tatsächlich in einem Schrumpfen der dortigen Müllberge auszahlt, konnte auf dem Kongreß (noch) nicht beantwortet werden. In der Abschlußdiskussion wurden vor allem die vielfältigen Informationen und Anregungen hervorgehoben, die der Kongreß geliefert habe. Doch es gab auch kritische Stimmen, die beklagten, es sei zu wenig Zeit verblieben, eigene Erfahrungen und Probleme vorzutragen und Kontakte zu knüpfen. Eine grundsätzliche Kritik machte sich daran fest, daß zuviel über Mengenprobleme und zu wenig über wirklich gefährlichen Giftmüll gesprochen worden sei und der Produktionsbereich nahezu völlig aus den Beiträgen und Diskussionen ausgeklammert wurde. Dies habe sich u.a. darin gezeigt, daß ökologisch orientierte Gewerkschaftsgruppen, die sich z.B. mit umweltschädlicher Produktion befassen, überhaupt nicht einbezogen wurden. Gleichzeitig wurde darauf verwiesen, daß es auch in Teilen der Wirtschaft Interesse an abfallarmen Produktionstechniken gibt.Der Reader mit sämtlichen Beiträgen und Arbeitsergebnissen des Kongresses kann beim IFöR e.V., Kurfürstenstr. 14, 1/30 für zwölf DM angefordert werden.

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