: Asyl–Odyssee im Luftraum
Einen Monat lang hatten die drei jungen Tamilen nach ihrer Flucht aus Sri Lanka in Indien auf den Abflug gewartet. Fast einen ganzen Tag hatten sie im Flugzeug gesessen, um in dem Land anzukommen, das das Grundrecht auf Asyl in seiner Verfassung stehen hat. Aber so hatten sich die drei Flüchtlinge die Ankunft in diesem Land sicher nicht vorgestellt: Mehrere Männer in grünen Uniformen nahmen sie gleich nach der Landung auf dem Frankfurter Flughafen fest und steckten sie in eine Polizeizelle. Die Uniformierten, von denen die Tamilen später erfuhren, daß sie „Bundesgrenzschutz“ hießen, nahmen zwar ihren Asyl antrag entgegen, doch man ließ sie nicht frei. Nach zwei Tagen in der Flughafenzelle brachte man die drei Tamilen gewaltsam in ein Flugzeug, das sie zurück nach Sri Lanka bringen sollte. Die junge Frau in der Gruppe der Asylsuchenden hatte im Transitraum einen Kreislaufzusammenbruch erlitten. Sie wurde von den Bundesgrenzschützern im Rollstuhl ans Flugzeug gefahren. In Begleitung eines Sicherheitsbeamten flogen die drei Flüchtlinge gegen ihren Willen nach Bombay zurück. Als sie sich dort weigerten, in ein Flugzeug nach Sri Lanka umzusteigen, sahen Lufthansa–Bedienstete offen bar keine andere Möglichkeit, als sie mit nach Frankfurt zurückzunehmen. Vier Tage hatte die Odyssee der drei Tamilen gedauert, bei dem sie um den Erdball geschickt wurden, bis es ihnen mit Hilfe eines Rechtsanwaltes gelang, in Frankfurt einen Asylantrag zu stellen und den Flughafen zu verlassen. Ähnlich ging es auch einer Gruppe von sieben Flüchtlingen aus Eritrea. Die zwei Erwachsenen und sieben Kinder waren am 7. Februar über Kairo und London in Frankfurt angekommen. Dort wurden sie noch auf dem Rollfeld von Beamten des Bundesgrenzschutzes am Aussteigen gehindert und mit derselben Maschine nach London zurückgeschickt. Am 12. Februar kamen sie wieder in Frankfurt an. Fünf Tage lang hatte man sie zwischen London und Kairo hin und hergeschickt. Fast eine Woche hatte die Flüchtlingsgruppe Tag und Nacht in Flugzeugen und auf Flughäfen verbracht. Als sie bei ihrer Ankunft in Frankurt erneut vesuchten, einen Asylantrag zu stellen, wurden sie wieder nach London zurückgeschickt. Was aus ihnen geworden ist, weiß man nicht. Die beiden Fälle sind zwei Beispiele von vielen, die das Frankfurter Rechtshilfekomitee für Ausländer und der Frankfurter Flüchtlingsbeirat jetzt in einer Broschüre dokumentiert haben. Mit dieser Broschüre wollen die beiden Gruppen auf ein drängendes Problem aufmerksam machen: Seit das „Schlupfloch“ Berlin für Asylbewerber dicht ist und seitdem das neue Asylverfahrensgesetz gilt, spielen sich auf dem Frankfurter Flughafen fast täglich unbemerkt von der Öffentlichkeit Flüchtlingstragödien ab. Flüchtlinge, die hofften, bei der Zwischenlandung in Frankfurt einen Asylantrag stellen zu können, werden, wie die beiden oben geschilderten Fälle zeigen, in eine „Erdumlaufbahn“ Richtung Heimat geschickt. Da zur Zeit fast alle Länder ihre Grenzen und Flughäfen gegenüber Flüchtlingen aus der Dritten Welt verschließen, werden die Asylsuchenden von Flughafen zu Flughafen „verfrachtet“ und verbringen dort oft Wochen in den Transiträumen. Andere schaffen es zwar, in Frankfurt das Flugzeug zu verlassen und einen Asylantrag zu stellen. Doch meist verdanken sie es nur der Intervention des Flughafensozialdienstes oder der Hilfe der Flüchtlingsgruppen, daß sie nicht trotzdem - häufig mit körperlicher Gewalt - in ein zurückfliegendes Flugzeug gesetzt werden. In den wenigen Fällen, in denen es noch gelang, diese Zurückweisungen gerichtlich überprüfen zu lassen, haben die Gerichte sie für unzulässig erklärt. Doch an der Praxis der Grenzbehörden hat sich nichts geändert.
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