: Wer ist in Italien grün?
■ Der Soziologe Luigi Manconi analysiert die Wanderungs–Bewegungen bei den jüngsten italienischen Wahlen
Von Luigi Manconi
Neben der starken Zunahme der Sozialisten und dem kräftigen Verlust der Kommunisten stellt das Ergebnis der „Lista verde“ die wichtigste Bewegung der Wahlen vom Juni 1987 dar. Wobei die 2,5 Prozent der Grünen umso bedeutender sind, als keine andere neue Formation in den letzten 20 Jahren beim ersten Versuch einen so hohen Stimmenanteil erreicht hat. Mehr noch: Die Grünen haben ihre zweieinhalb Prozent in einem Wahlkampf sozusagen aus dem Stand heraus gewonnen, da es sich um vorgezogene Wahlen handelte, und sie hatten zudem unter dem handikap zu leiden, daß sich zahlreiche landesweit bekannte Umweltschützer als „Emigranten“ auf der Liste der PCI präsentiert hatten. Weshalb sich denn auch Öffentlichkeit und Parteien derzeit fragen, wie dieses Resultat zustande gekommen ist und welche Motive ihm zugrundeliegen. Natürlich gibt es immer Probleme mit einer exakten Interpretation von Wählerwanderungen, dennoch kann man aufgrund der verschiedenen eben bekanntgewordenen Detailergebnisse doch einigermaßen fundierte Feststellungen treffen. So hat z.B. der Soziologe Stefano Draghi nach eingehender Untersuchung des Wählerverhaltens im gesamten Land bemerkt, daß „die Grünen faktisch allen anderen Parteien Wähler abgeworben haben“ - in Zahlen: sieben Prozent der Grünenstimmen kamen vom PCI, 24,2 Prozent von der Radikalen Partei, 22,9 von der Republikanischen, 16,7 von der Sozialistischen Partei, 10,8 Prozent von der Democrazia proletaria und 9,6 Prozent von der Democrazia christiana. Eine weitere, in Turin durchgeführte Untersuchung, die das Ergebnis der Regionalwahlen von 1985 mit den nationalen Wahlen von 1987 vergleicht, zeigt auch einen Stimmen–Zufluß zu den Grünen seitens ehemaliger Nicht–Wähler sowie aus den Anhängern wieder der Demoproletarier, vor allem aber auch der Mitte (Republikaner und Sozialdemokraten). Beide Untersuchungen betonen darüber hinaus, daß der PCI tatsächlich nicht allzuviele Stimmen bei den Grünen „abgeliefert“ hat - eine klare Absage an die Selbsttröstung der Kommunisten, wonach die Ambientalisten an der PCI–Wahlniederlage schuld seien. Die Gruppe „Monitor“ der Universität Rom hat bei einer genauen Aufschlüsselung allerdings festgestellt, daß die Grünen vor allem in den Kommunen überdurchschnittlich zugelegt haben, wo der PCI stark verloren hat. Das muß jedoch nicht eine Zuwanderung von PCI–Stammwählern zu den Grünen bedeuten, sondern könnte - hypothetisch zumindest - auf eine Konzentration von Stimmen hinweisen, die der PCI in den siebziger Jahren zugewonnen hat und deren Abwanderung schon bei den letzten Wahlen 1983 zu beobachten war, wo zahlreiche Stimmen den mittleren Parteien wie Radikalen und Re publikanern zuflossen. Die Turiner Analyse weist jedenfalls auf ein Wählerreservoir hin, in dem gleichermaßen Radikale, Sozialisten und Grüne angeln und miteinander konkurrieren können. Zweifellos ist dieser Anfang der achtziger Jahre erstmals sichtbare Pool mittlerweile sichtbar gewachsen; die letzten Wahlen sind der Beweis dafür. Betrachtet man den Zusammenhang zwischen dem Aufschwung der Grünen und einer Anzahl von Sozialindikatoren im Bereich der Ökonomie und der kulturellen Modernisierung der verschiedenen Provinzen Italiens, so zeigt sich, daß grün–günstige Bedingungen überaus eng an einen relativ hohen Lebensstandard gebunden sind. So haben die Grünen einen deutlich über dem Landesdurchschnitt liegenden Erfolg in jenen Provinzen des Nordens erreicht, wo die Arbeitslosigkeit am niedrigsten, der Stand der Schulbildung und der Information am höchsten - und das Einkommen besonders groß ist. Weitere für ein grünes Votum förderliche Indikatoren: die Urbanisierung und die unmittelbare Bedrohung durch gefährliche Anlagen. So haben z.B. im Gegensatz zur ansonsten eher schwachen Grün– Tendenz des Südens einige Provinzhauptstädte (Salerno, Brindisi, Lecce, Bari) recht gute Ergebnisse für die Grünen gebracht - eben dort, wo die Bevölkerung Angst vor bestehenden oder künftigen AKWs und KKWs hat; im Norden hat die Nähe zu solchen Anlagen (in Viadiana und in Piombino, in Montalto und in Avetrano usw.) zusätzliche Stimmen zum sowieso schon guten Abschneiden gebracht. Das immer weiter verbreitete Bewußtsein der Gefahr und die Mobilisierung der Bevölkerung hat hier schon zu einer regelrechten politischen Identifikation mit den Ambientalisten geführt. Alles zusammen ergibt natürlich eine recht heterogene Wählerschaft; was am Ende fast unabwendbar zur - mitunter in den Medien schon ins Groteske gesteigerten - Gretchenfrage führt: Sind sie nun Linke oder Rechte, die Grünen? Die bisher verfügbaren Indikatoren (Umfrageergebnisse, Biographien der Kandidaten in den vorangegangenen regionalen und kommunalen Wahlen, Wähleranalysen z. B. in der Zeitschrift Nuova ecologia) und die oben angeführten Wanderungen lassen zumindest in erster Näherung ein recht breites politisches Spektrum erkennen: Auf dem einen „Flügel“ ein rein ambientalistisches Wählervolk, wo die gemäßigten Kräfte der politischen „Mitte“ dominieren, und eine „politisch–grüne“ Klasse auf der anderen Seite, die zum guten Teil aus den Erfahrungen und der Kultur der Linken und des Linksextremismus stammt. Stellt man die entsprechenden Proportionen in Rechnung, ist damit die italienische Situation mit der grünen Bewegung in der Bundesrepublik durchaus vergleichbar.
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