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Italiens Wirtschaft beginnt zu kippen

■ Auftragsrückgänge, verfehlte „Reformen“ und soziale Mißstände gefährden das „miracolo italiano“ / Die Arbeiter wollen jetzt ihren Anteil am Aufschwung

Aus Rom Werner Raith

Präzise zum Zeitpunkt, an dem Italiens Wirtschaft endgültig zu kippen beginnt, haben die bundesdeutschen Medien - allen hintendran der Spiegel - „Italiens Aufstieg an die Spitze“ (Spiegel– Überschrift) entdeckt. Jahrelang ging es mit Italiens Konjunktur bergauf - ohne daß sich die BRD– Medien dadurch hätten beeindrucken lassen: Die Inflation sank von fast 20 auf gerade noch vier Prozent, das Bruttosozialprodukt stieg vom Nullwachstum auf über drei Prozent (und damit über das der Bundesrepublik) an; die Arbeitslosigkeit, vormals im sturem Aufwärts–Galopp, stagnierte immerhin, die Export–Massenaufträge wurden immer spektakulärer. 1986 fühlten sich Firmen wie FIAT, Olivetti oder die Spaghetti– Zieher Barilla schon so stark, jeden anderen Konkurrenten auf dem Weltmarkt herauszufordern - die US–Amerikaner und die Bundesdeutschen inklusive. FIAT schaltete mit geradezu operettenhafter Regie Ford im Rennen um Alfa Romeo aus, Barilla expandierte seine Nudeln zweistellig, trotz eines US–Embargos, Olivetti holte sich AT & T als Teilhaber und zog mit seinen Computern an allen Europäern vorbei: Trotzdem war Olivetti–Chef De Benedetti dem Wirtschaftsmagazin Capital erst jetzt eine Titelgeschichte wert. Doch all die Italo–Erfolge sind bereits Schnee von allenfalls noch 1986 - bereits Anfang 1987 warnte nicht zufällig gerade der damalige Schatzminister und mittlerweile zum Ministerpräsidenten avancierte Bank–Spezialist Giovanni Goria vor einem „möglichen massiven Einbruch der Konjunktur spätestens Mitte 1987“. Zwar sehen die Auftragsbücher vielerorts noch immer recht stattlich aus; doch zunehmend in Schwierigkeiten geraten die Italiener überall dort, wo sie ihre mit feinem Verkaufsmanagement hereingeholten Aufträge in dauerhafte Beziehungen umwandeln müssen. Da klappt dann so manches nicht mehr, von der Reichhaltigkeit des Angebots bis zum Ersatzteilnachschub. Die Mängel sind Folge einer allzu hastigen Rationalisierung und der oft nicht genügend vorausgeplanten Umstellung von der Schwerindustrie auf High Tech. Viele Firmen glaubten die seit einigen Jahren sichtbare Schwäche der Gewerkschaftsbewegung schnell ausnutzen zu müssen und entließen ihre Arbeiter zu Tausenden; doch der blanke Ersatz des Menschen durch den Computer schuf natürlich keine neue Struktur, ließ allenfalls billigere Preise im Hergebrachten, nicht aber eine gründliche Umgestaltung der Produktions– und Distributionsformen zu. Noch schwerwiegender war ein anderer Effekt - in ihrer Euphorie über die Schwäche der Gewerkschaften geriet den Firmeneignern und Managern aus dem Blickfeld, daß sich soziale Armut und gesellschaftliche Mißstände nicht einfach durch die Beseitigung der Korporationen abschaffen lassen. So entstanden, zuerst fast unbemerkt, parallel zur abnehmenden Bedeutung der großen Arbeiterverbände und -parteien, Basisbewegungen, die den staatlichen wie privaten Arbeitgebern zusehends zu schaffen machen. Die sind überwiegend örtlich organisiert, es fehlen die traditionellen großräumig nutzbaren Ansprechpartner. „Zuerst wie Nadelstiche, mittlerweile aber wie Flächenbrände“ (so ein Arbeitgebersprecher) breiten sich ihre Aktionen aus. „Basisdemokratie“ (Comitati di base, abgekürzt Cobas) und autonome Kleingewerkschaften legen alle paar Tage irgendwelche Wirtschafts– oder Staatssektoren lahm: Lokomotivführer–Cobas und autonome Fluglotsenverbände, Lehrer–Basiskomitees und örtliche Zöllnerverbände machten Reisen und Zeugnisverteilungen unmöglich, LKW–Fahrer zwangen mit zwei Wochen Fahrverweigerung die Regierung zum „totalen Offenbarungseid“ (La Republica), Ärzte–Autonomisten trotzten dem Gesundheitsminister eine komplette Standes– Neuordnung ab. Da hilft auch das alte Mittel der individuellen Entlassung nichts - Streikführer nichtanerkannter betriebsinterner Gruppen, die z.B. Alfa Romeo hinausgeworfen hatte, wurden von ihren Kollegen solidarisch gehalten, bis auch der zuständige Amtsrichter ihre Wiedereinstellung anordnete. Im Hafen von Ge nua widersetzte sich die lokale Arbeitervertretung nicht nur den Firmeneignern, sondern auch den Gewerkschaften so lange, bis - trotz massiven staatlichen Einschreitens - die alte, basisorientierte Struktur der Betriebsräte, wiederhergestellt wurde. Die neue Protestform rief am Ende sogar den Kardinal Siri auf den Plan, der, als erfahrener Reaktionär, trotz seines hohen Alters die „Gefahr“ autonomer Basisbewegungen besser als die Gewerkschaftsbosse erkannt hatte. Tatsächlich stiegen in den ersten Monaten 1987 die Streiktage gegenüber allen fünf Vorjahren wieder mächtig an; der in vielen Artikeln beschriebene Rückgang der Ausstände bezieht sich allenfalls noch auf 86 und ist längst überholt; den italienischen Arbeitern wird klar, wer vom Wirtschaftsboom einzig profitiert hat, und sie fordern nun auch ihren Anteil am „miracolo“. Der Erfolg der Basisbewegungen und die erdrutschartigen Verluste der Kommunisten bei den letzten Wahlen hat inzwischen auch zu einem Umdenken der lange Zeit eher lahmen Kommunisten geführt, das gerade die Betriebe ganz und gar nicht erwartet hatten. Allgemein hatte man an eine weitere Annäherung des PCI an die erstarkten kapitalnahen Sozialisten gedacht. Doch nun kehrt die neue Führungsspitze unter dem Philosophieprofessor Achille Occhetto und dem ZK– Youngster Massimo DAlema den „Movimentismo“ wieder als zweites, lang ungeübtes Standbein der Arbeiterbewegung heraus; entweder, so DAlema, die Gewerkschaften nähern sich wieder einer klassischen Arbeiterbewegung, mit basisnahen Streiks und stark antikapitalistischer Opposition - oder die PCI wird sich andere „Bewegungen“ an seine Seite ziehen, grüne etwa oder auch die Cobas. Perspektiven, die weder den italienischen noch den ausländischen Anlegern besondere Freude machen. So kam es schon kurz nach Einrichtung des allseits - im In– wie Ausland - hochgespriesenen Kabinettes des Technokraten Giovanni Goria diese Woche in Mailand zum größten Börsenkrach der letzten Jahrzehnte; mehr als sieben Punkte sackte die Börse innerhalb von 36 Stunden durch, auf einen Schlag verlor die Wirtschaft des Landes umgerechnet acht Milliarden DM. Da reichen Erklärungen nicht hin, wonach im Gefolge des Golfkrieges nun das Erdöl halt wieder teurer wird, dessen Preisverfall Italiens Aufstieg so begünstigt hatte. Und auch die Selbsttröstung ist abwegig, die alljährlich ausbrechende Ferienzeit und die außergewöhnliche Hitze habe die Börsenmakler an den Strand statt an die Telefone getrieben - tatsächlich haben vor allem ausländische Anleger, nach Alarmen aus den Führungszentralen gerade der italienischen Wirtschaftsverbände, ihre Aktien gleich lastwagenweise losgeschlagen. Das beste Zeichen für die heraufziehende Gefahr konnten aufmerksame Auguren bereits im Frühjahr wahrnehmen - den Rückzug des gewieften Taktikers Bettino Craxi aus dem Amt des Ministerpräsidenten und sein ostentatives Desinteresse an einem neuen Regierungsauftrag. Das Volk soll die vom Himmel geschenkten konjunkturgünstigen Jahre mit seinem Namen verbinden. Von nun an aber gehts bergab: und da sollen die Italiener gefälligst an die Christdemokraten denken.

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