: Unterhaltungselektronik: Das Geschäft mit der Revolution
■ Funkausstellung Berlin: Digitalisierung eröffnet neuen Audio–Markt / Kompatible Evolution nicht mehr gefragt / Japaner und Europäer basteln schon am nächsten System
Von Jürgen Bischoff
Die diesjährige Berliner Funkausstellung steht ganz im Zeichen von bits und bytes. Die erste große digitale Technologie steht kurz vor dem Durchbruch: In diesem Jahr sollen erstmals mehr Compact– Disc–Player auf dem deutschen Markt abgesetzt werden als herkömmliche Plattenspieler. Gleichzeitig hat in Berlin der neue Digital–Audio–Recorder (DAT) seine Europapremiere. Mit ihm soll es nicht nur möglich sein, Musik in der gleichen Qualität, wie sie die CD–Platte liefert, aufzuzeichnen - vorausgesetzt, der Musikindustrielobby gelingt es nicht noch im letzten Moment, ihre lang geforderte Kopiersperre bei den Recordern durchzusetzen -, sondern auch beliebig viele Kopien von der Kopie (Generationen) in gleichbleibender Qualität zu ziehen. Mittelfristig werden mit diesen Technologien herkömmliche Geräte der Unterhaltungselektronik, der Plattenspieler und der Cassettenrecorder mit der dazugehörigen Ausstattung an schwarzen Schallplatten und Compact–Cassetten ebenso vom Markt verschwinden wie seinerzeit das Spulentonbandgerät. Schon jetzt hat die Compact Disc den Videorecorder als neuen Umsatzmotor der U–Elektronikbranche abgelöst. Phantastische Wachstumsraten von über 150 Prozent beim Absatz der CD– Player und über 200 Prozent bei den Silberlingen haben den Geräteherstellern und vor allem der Schallplattenindustrie nach Jahren der Stagnation wieder steigende Erträge gebracht. Dabei war das Verkaufskonzept einfach: Man präsentiere dem staunenden Publikum ein neues revolutionäres Tonträgersystem und rede ihm ein, daß es einen Quantensprung in der Tonqualität bringe. Eine Revolution von oben, die sich daran festmacht, daß die Kompatibilität zu den bisherigen Systemen nicht gegeben ist, das schafft kompletten Ersatzbedarf, nicht nur bei den Abspielgeräten, sondern auch bei den Tonträgern. Die Kaufkraft ist ja augenscheinlich da, um den gesättigten Markt der Plattenspieler und Cassettenrecorder zu verlassen und einen neuen Markt zu erschließen. Das war nicht immer so. In der Vergangenheit mußte man zu sehr Rücksicht darauf nehmen, daß die Menschen noch nicht genug verdienten, um ständig neue Geräte und Software zu beschaffen. Deshalb wurden technologische Systeme in der U–Elektronik so entwickelt, daß das neue Verfahren auch noch mit alten Geräten kompatibel war, wenn auch unter Qualitätsverlust: Die Stereoschallplatte war auch auf dem Monoplattenspieler abspielbar und Farbfernsehbilder waren mit einem konventionellen Schwarz–Weiß– Gerät empfangbar. Wie sollte es auch anders sein? 1958, beim Aufkommen der Stereo–LP, hatte noch längst nicht jeder Haushalt einen Plattenspieler, ebensowenig wie 1967 jeder Haushalt überhaupt schon ein Fernsehgerät hatte, als Willy Brandt mit einem verspäteten Knopfdruck das Farbfernsehzeitalter in Europa einleitete. Kompatible Weiterentwick lungen sind evolutionäre Systeme, und die sind in einer Zeit, wo fast in jedem Bereich der Unterhaltungselektronik Marktsättigung erreicht ist, kaum noch gefragt. Für den einigermaßen engagierten Musiksammler, der zu Hause 250 schwarze Schallplatten angehäuft hat, ist abzusehen, daß er in vielleicht 15 Jahren allenfalls noch einen semiprofessionellen traditionellen Plattenspieler aus einer spezialisierten Herstellerfirma zu ebenso semiprofessionellen Preise erstehen kann. Da stellt sich mittlerweile die Frage, ob er mit seinen Lieblings–LPs nicht auf CD umsteigt - soweit diese überhaupt noch als CD aufgelegt wird und nicht vollends aus dem Katalog gestrichen wird, wie das ein oder andere Musikschätzchen obskurer Westcoast–, was heißt hier obskur?! d.S–in Hardcore–, Punk– oder Ethnobeatgruppen aus der jetzigen Sammlung schon. Nach ähnlichen Prinzipien wird wohl auch eine ganze Reihe anderer Interpreten behandelt, wenn sie nicht sowieso komplett aus dem Katalog fliegen. Schon jetzt hat beispielweise die japani sche Plattenfirma Sony–CBS über 3.500 Titel aus dem Repertoir geworfen, um beim Handel Platz zu schaffen für ein erweitertes Compact Disc–Angebot. Ob sich der Musiksammler nun damit trösten kann, daß er mit dem neu angebotenen DAT–Recorder endlich ein Gerät hat, das es ihm wenigstens erlaubt, seine bisherigen Tonkonserven durch Überspielen in digitaler Technik im Status quo für alle Zeiten zu sichern, darf bezweifelt werden. Zum einen ist da die Kostenfrage. Als die ersten Digitalrecorder im März diesen Jahres auf dem japanischen Markt auftauchten, kosteten sie dort 2.400 bis 2.500 Mark und die dazugehörigen Cassetten für zwei Stunden Spielzeit lagen bei über 20 Mark, also auch kaum niedriger als der Preis für eine CD. Der Preisverfall wie bei den CD–Playern, die am Anfang für 3.000 Mark verkauft wurden und heute, knapp fünf Jahre nach ihrer Einführung, stellenweise schon für unter 300 Mark zu haben sind, wird sich bei den DAT–Recordern wohl kaum ergeben, denn diese basieren auf der aufwendigen Mechanik eines Videorecorders. In der Fachwelt erwartet man daher, daß DAT–Recorder auch mittelfristig die Preisuntergrenze eines halbwegs funktionstüchtigen Videorecorders von rund 700 Mark kaum unterschreiten können. Von der europäischen U–Elektronikindustrie wird der DAT–Recorder ohnehin als ein ungeliebtes Kind angesehen. Kaum ist das Geschäft mit den CDs in ungeahnten Schwung gekommen, steht gleich wieder eine Technologie ins Haus, die das verlustlose Kopieren der CDs ermöglicht. Die Europäer haben mehrmals versucht, die japanischen Entwickler des DAT–Recorders für eine hinausgezögerte Markteinführung zu gewinnen. 1985 gelang es ihnen noch, die Japaner dazu zu überreden, ihre Pläne in der Schublade zu lassen. Doch in einer weiteren Runde 1986 wollten die Japaner nicht mehr warten: Sie waren mal wieder dran, den Markt abzusahnen, nachdem die CD–Technik eine Fortentwicklung des Bildplattensystems des holländischen Branchenriesen Philips war. Nun muß sich Philips beeilen, dem DAT Contra zu geben. In den Labors von Eindhoven ist schon das nächste System bis zur Patentreife entwickelt worden, diesmal ein evolutionäres. Schon 1989 will Philips die bespiel– und wieder löschbare Compact–Disc der Öffentlichkeit vorstellen. Die hat zwei entscheidende Vorteile gegenüber der DAT–Cassette: Zum einen werden die Signale verschleißfrei per Laserstrahl gespeichert - auch bei der DAT–Cassette ergibt sich noch immer ein Verschleiß durch den Bandabrieb an der rotierenden Tonkopftrommel - und zum anderen schafft diese neue CD auch noch den Durchbruch als weit leistungsfähigeres Speichersystem im Computerbereich, wo sie die bisherigen magnetischen Disketten ablösen soll.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen