: Neonazis vor Richter von der milden Sorte
■ Wie es Richter Loeven geschafft hat, aus einem Prozeß gegen drei Mitglieder der neofaschistischen „EK 1“ jede politische Dimension herauszuhalten
Aus Hannover Jürgen Voges
Ein lautstarkes „Aufstehen“ tönte vorgestern beim Einzug der 11. Große Strafkammer des Landgerichts Hannover durch den Saal. Es folgte ein energisches „Ruhe“ und ein kräftiger Schlag mit der Faust auf den Richtertisch - der Kammervorsitzende Peter Loeven hatte sich dem Publikum vorgestellt. Den drei Angeklagten allerdings, dem „Führer“ der neofaschistischen „Sport– und Sicherheitskameradschaft Eisernes Kreuz“ (EK 1) Bernd Futter und seinen beiden „Kameraden“, zeigte sich Richter Loeven in dem zweitägigen wahrhaft zügigen Prozeß nur von seiner milden Seite. Die drei „Kameraden“, deren militanter FAP–Abspaltung EK 1 auch der brutal getötete Skinhead Roger Bornemann und drei seiner Mörder angehörten, waren „nur noch“ angeklagt wegen bewaffneten Raubüberfalls, wegen Einbruchs in ein Waffengeschäft und wegen weiterer sieben Einbruchdiebstähle. Der 30jährige „Kameradschaftsführer“ Futter hatte sich zudem noch wegen Körperverletzung und Nötigung zu verantworten. Heftig wurde Kammervorsitzender Loeven nur noch einmal während dieses Prozesses, der an beiden Tagen zusammen nur gute fünf Stunden dauerte. Da hatte der Verteidiger Eckart Klawitter zu Beginn aus einer Aussage des ermordeten Skinheads Roger Bornemann zitiert, in der Bernd Futter als „Führer“ bezeichnet wurde. „Führer nenne ich nur einen, und der steht hier nicht zur Debatte“, fuhr da der Vorsitzende dazwischen. Futter selbst empörte sich: „Was wollen Sie, wollen Sie hier was Politisches aufbauen?“ „Etwas Politisches“ aufgebaut hatte allerdings zuerst die Hannoversche Kriminalpolizei, die seit Dezember letzten Jahres gegen die 14köpfige Kameradschaft ermittelte. Bei der Kripo kam man bereits im Januar 87 zu dem Ergebnis, daß es sich bei der EK 1 um eine rechtsradikale kriminelle Vereinigung handele. EK–1–Mitglieder hatten einige Male am Rande von Hannover mit einer von Futter in Belgien beschafften automatischen „Riot Gun“ Schießübungen veranstaltet. Dies schon bevor durch den jetzt angeklagten Einbruch in das Hannoversche Waffengeschäft Frankonia vier weitere Jagdgewehre erbeutet wurden. Nur so zum Spaß hatte man dabei einer Kuh ins Hinterteil geschossen. Die Hannoversche Staatsanwaltschaft hatte für die Schießübungen kein Interesse. Dieses Verfahren wurde „wegen geringer Schuld“ nach §154 StGB eingestellt. Allerdings finden sich in der Anklageschrift vier Brandanschläge, die Futter begangen haben soll. Mit jeweils mehreren Aussagen von EK–1–Mitgliedern vor der Polizei konnte die Staatsanwaltschaft belegen, daß da Mollies gezündet wurden am Hannoverschen Polizeipräsidium, im Hausflur eines türkischen Dolmetscherbüros und in zwei weiteren Häusern, wo „Türken“ bzw. „vorwiegend Rote“ wohnen sollten. Das Verfahren wegen der Brandanschläge hat dann Richter Loeven selbst im Mai abgetrennt. Rechtsanwalt Karl–Heinz Lehmann, der Verteidiger von Futter, sprach in seinem gestrigen Plädoyer von der Hoffnung, daß es zu einem Prozeß wegen dieser Anschläge nicht mehr kommen werde. So hatte Richter Loeven für seinen zügigen Prozeß gut vorgearbeitet. Die Mitgliedschaft der Angeklagten in der neofaschistischen „Sicherheitskameradschaft“ wurde in dem ganzen Verfahren mit keinem Wort erwähnt. „Wir sind kein Meinungsforschungsinstitut - wir sind ein Tatsachenforschungsinstitut“, begründete Vorsitzender Bömecke diese politische Abstinenz der Kammer in einer Verhandlungspause. Natürlich sind zumindest die beiden Angeklagten Bernd Futter und sein langjähriger Freund, der 29jährige Andreas Runge auch Knackis, die in ihrem Leben nicht viele Chancen gehabt haben. Beide haben die Sonderschule besucht, nie einen einigermaßen vernünftigen Job gefunden, beide haben ihre „kriminelle Karriere“ schon als Jugendliche begonnen. Auch der dritte Angeklagte, der 26jährige Thomas Quade, hat in einer persönlichen Krisensituation - von der langjährigen Freundin verlassen, die Arbeit verloren und danach von Alkohol und dem Spiel an Daddelautomaten abhängig - Anschluß an die rechtsradikale Kameradschaft gefunden. Doch zumindest Futter hat schon einmal im Jahre 1982 acht Waffen aus einem Forsthaus gestohlen und wurde danach wegen Verstoßes gegen das Kriegswaffenkontrollgesetz verurteilt. Er hatte damals mit zwei anderen Kumpels nicht nur öffentlich „die Fahne hoch“ gesungen, sondern auch aus einer Panzergranate eine Bombe für „Kanackenlokale“ basteln wollen. Richter Loeven hat den Angeklagten alles geglaubt, und das war weit mehr, als in deutschen Strafprozessen gegen normale Kriminelle üblich ist. Die Teilgeständnisse der Angeklagten wurden nie mit den belastenderen Aussagen vor der Polizei konfrontiert. Das Gericht glaubte Futter fraglos, daß er vor dem Eibruch auf das Waffengeschäft sich von den an deren entfernt und nur noch beim Abstransport geholfen habe und sprach schon am ersten Verhandlungstag von Beihilfe. Es glaubte auch fraglos, daß Futter an dem bewaffneten Raubüberfall auf eine Imbißstube nicht beteiligt war, obwohl es in den Akten heißt, er habe Schmiere gestanden. Es glaubte auch fraglos, daß das abgesägte Gewehr, das bei diesem Raubüberfall benutzt wurde, nicht geladen war und sprach schon am ersten Prozeßtag zum Erstaunen aller Beteiligten von der „Möglichkeit eines minderschweren Raubüberfalls“. Der Staatsanwalt war in diesem Prozeß eigentlich nur physisch anwesend, sein Plädoyer, das völlig den Vorgaben des Gerichts folgte, dauerte keine fünf Minuten. Die Verteidigung hatte schon zuvor auf besondere Art das Handtuch geworfen: „Was soll man hier machen, wenn einem mehr als man wünschen kann vom Gericht auf einem Tablett mit Schleife serviert wird“, sagte der Anwalt von Thomas Quade, der Vorsitzende der linken Vereinigung niedersächsischer Strafverteidiger Henning Plähn bereits am ersten Tag in einer Prozeßpause. Er und sein Kollege Eckart Klawitter verzichteten dann auf alle geplanten Beweisanträge. Wer diesen Prozeß verfolgte, dem sprang der Handel in die Augen: Das Gericht verzichtete freiwillig auf einen Teil des Strafanspruchssssss nicht obwohl, sondern weil die Angeklagten Neofaschisten waren. In Niedersachsen darf es von Staats wegen keine rechtsradikalen Kriminellen oder gar bewaffnete Wehrsportgruppen geben.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen