Perestroika und Hosenträger

■ „Rotes, schönes Rußland“ in der Mode

Von Herta Müller

Den starken Männern stehn sie gut, die Hemden aus dickem Stoff mit großen, bunten Karos. Ein Schildchen hängt über den Hemden, darauf steht „Holzfällerkaros“. In der Mitte des Lebens, in der Mitte des Berufs läßt sie sich tragen, die Nostalgie der harten Berufe. Die Fingernägel sind sauber, die Schwielen sind in den Karos. Dazu die Schuhe mit den grünen Zwirnmustern im Leder. Was stellen sie dar? Kein Edelweiß, kein Eichblatt. Auch ein Adler ist es nicht. Etwas dazwischen, ein Pflanzentier aus bayerischen Gefilden. Gerippte Bergsteigersohlen - der Weg soll ja für manch einen steinig sein, in den Büros. Die Frau trägt scheue Tiere zwischen hohen Schaumgummischultern: Enten, Häschen, Bärchen. Auch flatternde Sumpfvögel mit langen Schnäbeln und dünnen Beinen. Erotisch auf Kinderart kommt die Dame daher. Da fehlt nur noch der dummstaunende Blick und der plappernde Mund. Das Dazutun mit dem Gesicht haben die Designer nicht ausgestaltet, nur vorprogrammiert. Wie jung und albern müssen Frauen sein, um sich in diesem Herbst und Winter modisch durch die Stadt zu tragen? Die Fahne mit dem Sternchengewimmel und den Streifen tuts nicht mehr. Die amerikanischen Wörter auf den T–Shirts versickern. Es bläst ein frischer Wind vom Osten her: Perestroika und Glasnost. Die kyrillischen Buchstaben ziehn frech gezackt über den Stoff. Blusen, Röcke, Hosen, Hosenträger und Schuhe sind damit verziert. Wer liest sie, die russischen Wörter? Und wenn schon, wer kann sie verstehn? Sie sind eine Zierde. Und, wer auf die Wände sprüht: „Gorbi ist geil“, der weiß das zu schätzen. Und das Schlachtfeld in Afghanistan, es ist nicht G.s Sache. Wohl aber wärs seine Sache, vom Schlachtfeld abzuziehn. Doch es geht bergauf, es wird zugegeben, daß es lange Zeit bergab ging. Und der Modemacher Slawa Saizew, der Mann, der Rajssa kleidet, präsentierte in München 25 Modelle seiner Kollektion „rotes, schönes Rußland“. In der UdSSR gebe es „eine Armee von Spezialisten, die irgendwann zeigen werden, wozu sie fähig sind“. Und, wenn die Wörter „Armee“ und „Rußland“ sich paaren, ist leider vieles glaubwürdig. Der „Grundstein“ dieser Kollektion ist ein feuerroter Mantel. In Moskau, im „Dom Modi“, werden Saizews Kollektionen dreimal pro Woche präsentiert. Und sie sind immer ausverkauft. Doch, wer kommt in den Genuß dieser Unikate, wenn ein Mantel ein Monatsgehalt kostet, und ein Abendkleid das Dreifache. Ja, Salamander AG hat sich den Namen „Saizew Fashion“ schon für den EG–Markt erworben. Er will das „rote, schöne Rußland“ in Europa vermarkten. Und Saizews nächste Reise geht in die USA. Und in San Francisco wird im Frühjahr 1988 ein Modehaus „Saizew–Haus“ eröffnet. Kleidung ist Mode. Doch Saizew meint, daß „Kleider Kunst sind und nicht Mode“. Auch arbeiten und sparen ist eine Kunst - eine ganz andere natürlich.