Wenn Dichter eine Zeitung denken

■ Drei Tage produktives Chaos

Sonntagmorgen in der taz: wieder die altbekannten, verschlafenen Gesichter, dieselben Müll– und Papierberge wie immer und die ewig lauernden Papierschlangen der Nachrichtenagenturen im Tickerraum. Nur die vielen Bierflaschen und merkwürdigen Fotos mit den Namen Jelinek, Müller, Dalos oder Elsner an den Redaktionsfächern deuten noch darauf hin, daß in diesen Räumen noch vor kurzem der Ausnahmezustand herrschte. Drei Tage lang vibrierten die taz–Flure vor Aufregung und Lachen, als sich hier letzte Woche rund dreißig Literaten zu einem der abenteuerlichsten und ungewöhnlichsten Zeitungsexperimente seit ewigen Zeiten trafen. Vor einer Woche, am vergangenen Montag, hatten die beiden Initiatoren dieses Experiments, die taz–Kulturredakteure Matthias Bröckers und Arno Widmann, noch mit der Versuchung gekämpft, sich in letzter Sekunde vor diesem Abenteuer aus dem Staube zu machen. Wären sie ihrem unguten Gefühl in der Magengegend gefolgt, hätten sie sich mit den gerade aus dem taz–Büro abgeholten, beträchtlichen Honorargeldern nach Rio de Janeiro abgesetzt. Denn das, was sie wenig später am vereinbarten Treffpunkt in einem Berliner Cafe tun wollten, war eigentlich ein Ding der Unmöglichkeit: sie wollten die Schlüsselgewalt über eine ganze Zeitung Leuten übergeben, die sie gar nicht kannten, die voneinander meist nur die Namen wußten und zudem noch SchriftstellerInnen oder schöner gesagt: „DichterInnen“ waren. Menschen also, die vom Zeitungsmachen keine Ahnung haben und denen man zudem Empfindlichkeit, Eitelkeit und Unfähigkeit zur zeitungsnotwendigen Teamarbeit nachsagt. Nein, einmaliges Experiment hin -längst gerührte taz–Werbetrommel her: dieses Experiment konnte nicht gut gehen; und sich durch einen Gang ins nächste Reisebüro noch aus der Affäre zu ziehen, lag für die beiden taz–Kulturredakteure verständlich nahe. Zudem beschlich die beiden auf ihrem Weg zum vereinbarten Treffpunkt mit „den DichterInnenn“ ein schon seit Tagen bohrender Verdacht: was, wenn die Organisatorin dieses gesamten Experi ments, die Schriftstellerin und taz– Autorin Gabriele Goettle, sich einfach einen derben Scherz erlaubt hätte, wenn alles nur Bluff wäre und von den angekündigten Dichtergrößen nicht ein einziger käme? „Die neue Gruppe 87“ Aber dann sitzen sie plötzlich alle da, die neuen taz–Redakteur– Innen mit den prominenten Namen. Versteckt hinter dem Schild „Geschlossene Gesellschaft“ sind sie in einem verqualmten Berliner Cafe zu ihrer ersten Redaktionskonferenz zusammengekommen: so unterschiedliche Leute wie die anfangs ängstlich wirkende Elfriede Jelinek, die am Ende dieses Experiments krank, aber lachend die taz–Räume verlassen sollte, Hans Magnus Enzensberger, der sich gleich mit einem eleganten Sprung über den Tisch an dessen Stirnseite den ihm gebührenden Platz sichert, der ewig Zigarre qualmende Heiner Müller, der 82jährige DDR–Star–Architekt Professor Hermann Henselmann, der immer wieder betont, daß er von seinen „Altvorderen“in der SED zur Teilnahme an diesem taz– Experiment bestärkt worden sei, die so gern lachende österreicherische Schriftstellerin Heidi Pataki und der Italiener Claudio Magris, über dessen elegante Kleidung später noch ein Wort zu verlieren sein wird. Nur einer, der sich ebenfalls als taz–Redakteur auf Zeit angekündigt hatte, ist ohne Absage nicht erschienen: Rolf Hochhuth bleibt verschwunden, ohne auch nur seinen „Stellvertreter“ zu schicken. „Welch illustrer Haufen sitzt hier versammelt, den kriegt man ja nie wieder zusammen,“ staunt der 80jährige „Literaturpapst“ Hans Mayer anerkennend „drei von sieben Böll–Preisträgern dabei. Die FAZ würde platzen, wenn sie uns hier so sehen würde. Das ist ja eine pervertierte Gruppe 47!“ Und Mayers Tischnachbar Kuby prägt sofort den Begriff „Gruppe 87“, der fortan diese seltene Versammlung betitelt. Aber diese „Gruppe 87“ soll nicht über Literatur diskutieren, sie soll für drei Tage eine aktuelle Zeitung machen: also heißt es Aufgaben verteilen, Kompetenzen festlegen, aus den LiteratInnen Seitenverantwortliche oder NachrichtenredakteurInnen zu machen. Die Zeit für Diskussionen, wie eine ideale Tageszeitung eigentlich aussehen sollte, ist zu kurz; und die taz–Struktur radikal über den Haufen zu werfen, das ist den Literaten dann doch zuviel des Wagemuts und der Selbstüberschätzung. Also hält man sich lieber an die gewohnte taz–Seitenstruktur. Dennoch muß geklärt werden: „Wer schreibt die Ticker um, wer bestimmt, was auf Seite eins kommt?“ Wer Gespür fürs Zeitungsmachen und Machtpositionen hat, greift hier zu: Enzensberger, Magris, Lettau, Kuby, Müller, Wichner heißt die neue taz–Nachrichtenredaktion, in der Gabriele Goettle als einzige Frau die „Chefin“ wird. Die anderen Frauen - ohnehin in dieser neuen taz–Redaktion gerade mal im Verhältnis eins zu vier vertreten - wollen lieber die Reise– und Kulturseiten betreuen, als sich in die ungewohnte aktuelle Nachrichtenmaschinerie hineinzubegeben. Fast schon taz–üblich will keine der Frauen gern die Frauenseite übernehmen. Horst Tomayer, gewiefter Fußballfan, erkennt die Lücke:“Ja, ich wäre bereit, die Frauenseite zu machen“ „Die Frauenseite?“ wagt Elfriede Jelinek ungläubig zu fragen. Aber da hat sich Tomayer schon längst mit einem: „Jawohl, die Frauenseite, ich habe Frauen nämlich sehr gern“ unwidersprochen für diesen Posten qualifiziert. Und in den nächsten drei Tagen scheint fortan der peinliche Moment schier unaufhaltsam, wo der frischgekürte Frauenredakteur einer der Kolleginnen aus Redaktion oder Technik „aus lauter Liebe zu den Frauen“ an den Busen grapscht. Aber „Ruhe verdammt, das ist ja hier wie auf der Börse!“ Noch geht es auf der ersten Redaktionssitzung um die Seitenverteilung. „Brauchen wir eine Fernsehseite?“ „Wenn sie jemand macht“. Gut, Kieseritzky machts, wenn auch mit einem gequälten Gesicht. Sportseite? „Streichen, streichen“ hallt es durch das Cafe und jemand sagt etwas von „Sport ist faschistisch“. Aber Gisela Elsner hätte so gern eine Sportseite für ihre „Radfahrer“, denn sie muß unbedingt über diese mörderischen Radfahrer schreiben, die auf dem Gehsteig die Fußgänger umfahren. „Das geht nicht. Nichts gegen die Radfahrer! Das sind doch die einzigen, die keine Umweltverschmutzung betreiben!“ setzt Erich Kuby der Debatte um die Sportseite ein jähes Ende. Doch Gisela Elsners „Radfahrer“, werden in den nächsten Tagen noch so manche Diskussion begleiten. Mit penetranter Beharrlichkeit werden sie von ihrer Verfasserin mal für die Rei seseite, mal für die Kultur, mal für die Auslandsseite vorgeschlagen, bis sie sich schließlich irgendwo in den Papierkörben der taz verfahren. „Der Simmel muß ran“ Alle Seiten aufgeteilt, alles klar? Nur ein Posten fehlt noch, nämlich der, der die ( presserechtliche) Verantwortung für all das übernehmen soll, was die LiteratInnen drei Tage lang hier fabrizieren wollen. Logisch: „der Reichste von uns muß es machen“ und daß der nur Simmel heißen kann. Alle sind sich einig: „Simmel muß ran!“ Für Mittwoch früh, den ersten „richtigen“ Arbeitstag der „Schrifties“, wie sie inzwischen im taz–Jargon heißen, hat man vorsorglich Taxen vor die Hotels der Literaten bestellt, „weil sonst kommt ihr ja doch nicht pünktlich“, hatte taz–Kulturredakteur Matthias Bröckers gemeint. Aber die Skepsis gegenüber der Disziplin der neuen Kollegen mit den schönen Wörtern erweist sich als unbegründet. Morgens um acht stehen die ersten schon in den Redaktionsräumen, verteilen die Ticker der Nachrichtenagenturen, suchen nach ein paar intakten mechanischen Schreibmaschinen, denn auf den extra geliehenen elektrischen mögen sie nicht schreiben. Knapp zwanzig Minuten dauert die morgendliche Redaktionskonferenz, für die die „normale“ taz–Belegschaft eine Stunde braucht. „Für Diskussionen fehlt uns hier die Luft“, klopft Nachrichten–Redakteur Enzensberger endlich Ruhe fordernd auf den taz–Redaktionstisch, um den sich früher die Kommune 1 versammelte. „Also, was gibt es?“ Die neueste Entwicklung in der Affäre Barschel? „Nein“, bestimmt Nachrichten–Chefin Goettle, „für dieses Schmierentheater haben wir wirklich keinen Platz.“ Tibet, bietet der alte Zeitungshase Erich Kuby an, der nach Süddeutscher, Spiegel und Stern nun auch - für drei Tage leider nur– bei der taz michtmacht, „Tibet,das mach ich.“ Reinhard Lettau will sich auf die Suche nach allen „anti–amerikanischen Nachrichten“ begeben, die er finden kann, und die beiden Ungarn Eörsi und Dalos kümmern sich um den Staatsbesuch des ungarischen Ministerpräsidenten in der Bundesrepublik. Die Berliner Asylregelung? Ja, wichtig ist das schon, Tomayer soll ein Interveiw mit Kewenig machen. Doch dieses Interview findet nie statt, und das Thema fällt im allgemeinen Chaos unbemerkt unter den Tisch. Heiner Müller und Claudio Magris wollen endlich wissen, auf welcher Seite sie „Enten“ produzieren dürfen, doch Kuby mahnt: „Wir machen hier drei Tage lang die taz, und die Zeitung darf hinterher nicht ruiniert sein!“ Doch noch tun sie sich schwer mit dieser Zeitung, die Literaten. Hilflos irren einige immer wieder durch das Gestrüpp der taz–Flure: „Wo bringt man das Manuskript denn jetzt hin?“ „Ja, ist denn hier niemand verantwortlich. An wen kann man sich denn hier wenden. Arno!“ läuft eine verzweifelte Heidi Pataki hinter Kulturredakteur Widmann her, aber der winkt nur ab. „Das müßt ihr unter euch klären. Die taz stellt hier nur die Parkplätze.“ Völlig fasziniert steht der Ungar Eörsi vor den tickernden Fernschreibern und kann sich nicht darüber beruhigen, daß hier alle Meldungen, egal wie wichtig sie sind, mit derselben Geschwindigkeit hereinkommen. „Nein, das ist kein Beruf mich!“ entscheidet Elfriede Jelinek schon nach ihren ersten Arbeitsstunden, „Meine Güte, was stellen wir uns trottelig an, und dabei soll es doch schön werden.“ Am Mittag des ersten Tages wird in der taz–Kantine schon um die ersten Kopfschmerztabletten gebeten, und - für tazler deutlich sichtbar - sind mit den Verfassern der schöngeistigen Worte auch die geistigen Getränke in die Räume in der Wattstraße eingezogen. Scotch und Bier stehen neben den Schreibmaschinen, und am Ende des Literaten–Experimentes meldet der Supermarkt an der Ecke: Sekt „Mouet Chandon“ restlos ausverkauft. Nur die alten Männer in dieser ohnehin schon über dem taz–Altersdurchschnitt liegenden Crew sind die Ruhe selbst. Der 80jährige Hans Mayer diktiert gleich 300 Zeilen aus dem Kopf in die Satzmaschine. Der 82jährige Baukünstler Henselmann, Architekt der Stalinallee und des Ost– Berliner Fernsehturms, schreibt in winzig kleiner Schrift Meldungen auf ein riesiges Stück Papier und unterhält die Belegschaft mit neuesten Anekdoten aus dem realen Sozialismus und humorvollen Heiratsanträgen an die Damen des Hauses. Immer wieder auch ertönt der Ruf: „Wo ist Kuby? Kuby muß her“, wenn irgendwo noch ein Text fehlt. Garantiert eine halbe Stunde später ist der gewünschte Artikel dann da. „Libero Kuby“ ist der einzige, der Tageszeitungserfahrung hat, und wenn die jüngeren Kollegen ermattet am Kantinentisch sitzen, steht der 77jährige noch am Kopierer oder hämmert in seine Schreibmaschine. Kuby ist es auch immer wieder, der Wert auf politische Dikussionen und Aktualität setzt. Gabriele Goettle prägt deshalb schon am ersten Tag den Begriff „Greisenherrschaft“, und Elfriede Jelinek staunt immer wieder: „Herr Kuby, wie machen Sie das nur? Durch Sie verliere ich wirklich die Angst vorm Alter.“ „Wir sind nur die Dichter“ Die alten Männer sind anfangs noch der ruhende Pol der neuen taz–Redaktion, doch allmählich wird die Aneignung der Produktionsmittel auch den jüngeren zur Gewohnheit. Hatte noch am Vormittag der rumänische Schriftsteller Ernest Wichner völlig verschreckt mit einem: „Es hat geklingelt!“ auf das Telefon gezeigt und Reinhard Lettau mit einem: „Nein, das weiß ich nicht, wir sind hier nur die Dichter“, den Hörer abgehoben, bewegen sich die „Nur– Dichter“ am Nachmittag schon routiniert. „taz–Aktuelles, Lettau. Nein, tut mir leid, meine Seite hat schon Satzschluß“, heißt es da am Telefon und „Ja, haben Sie denn unsere Telex–Nummer, Herr Raddatz?“ fragt Enzensberger zur fernen Frankfurter Buchmesse hinüber. Dennoch herrscht drei Tage lang wieder altbekannte Anarchie in den taz–Räumen. Immer fehlt etwas, mal ist es der aktuelle Kommentar, mal Enzensbergers Brille, mal der „verdammte Klebestift“. Keiner weiß so recht, was der andere tut, und wichtig ist erst einmal, daß die Zeitung „voll“ wird, damit die Blamage weißer Flecken erspart bleibt. In letzter Sekunde stellt noch jemand fest, daß der Artikel über die jünsten Contra–Morde in Nicaragua durch einen blinden Tennisspieler wohl etwas unpassend illustriert würde, und reißt das Foto von der fertigen Seite, und auch am Abend kann sich noch niemand vorstellen, wie die taz am nächsten Tag aussehen wird. Nur Kulturredakteur Bröckers, als Koordinator, schwebt dank etlicher Züge aus einer geheimnisvoll dicken Zigarette über den Dingen und hat von higherer Warte aus einen souveränen Überblick. „Wie früher! Es ist wie früher“ jubelt Georg, taz–Sezzer der ersten Stunde, „alles geht durcheinander, aber es wird experimentiert. Das sollten wir mindestens einmal im Jahr machen.“ Tatsächlich läuft technisch alles wie geschmiert. Satzschlußzeiten wer den von den neuen Redakteurinnen und Reakteuren überpünktlich eingehalten und: „So früh waren wir ja noch nie fertig“, stellt Layouterin Babette nach dem ersten Tag fest. Nur einmal läuft taz– Kulturredakteur Arno Widmann schadenfroh durch die Flure: „Aufstand! Aufstand! Das Lay– out streikt!“ Warum soll den neuen taz–macherInnen nicht auch mal das passieren, was die alten schon des öfteren auszustehen hatten? Aber der „Aufstand“ war nur ein kurzes Mißverständnis zwischen Technik und Redaktion. Den wirklichen „Aufstand“, wenn auch nur in Miniaturformat, produziert die neue taz–Redaktion am nächsten Tag selber. „Drei Tage sind zum Glück viel zu kurz, um Konkurrenzkämpfe und Frontstellungen entstehen zu las sen“, hatte Heidi Pataki noch gemeint, doch da kommt es in der Nachrichtenredaktion schon zum Konflikt. Der Italiener Claudio Magris ist nicht einverstanden mit der Entscheidung der morgendlichen Redaktionskonferenz, Kubys Bericht über die Beschlagnahme des Info mit den dokumentierten RAF–Briefen zum Aufmacher zu machen. Ihn stört nicht Kubys Artikel, dem kann er nur zustimmen. Ihn stört das, was in der Zeitung nicht gesagt wird über den Terrorismus mit seinen, wie er meint, mörderischen Methoden. An einer solchen Zeitung könne er prinzipiell nicht mitarbeiten. „Ich gehe“, erklärt Magris und will auch auf das Angebot nicht eingehen, doch noch in derselben Ausgabe zu kommentieren, warum er mit dort Geschriebenen nicht einverstanden ist. Er will das gar nicht lange begründen, und ohnehin klopft Enzensberger schon erngisch auf den Tisch: „Wir können hier nicht diskutieren. Wir müssen arbeiten!“ Nun gut, Magris kündigt und verläßt die taz–Räume. „Schönling!“ brummelt Gabriele Goettle in sich hinein, und „CIA–Agent!“ wirft Lettau dem Italiener hinterher. Irgendwie habe er nicht so richtig in dieses Team hineingepaßt, finden im nachhinein auch einige andere, ohne das genauer zu begründen. Und Heiner Müller meint nur halb im Scherz, so akkurat gekleidete Leute wie Magris seien ihm schon immer suspekt gewesen. Lettau und Müller bestehen nach ihrem ersten Gläschen Scotch unbedingt auf einem Dachbalken auf der Titelseite „Italiener geht. taz–Redaktion gespalten!“ Doch Enzensberger ist dagegen: „Das wertet den doch nur auf“, und schließlich spricht Gabriele Goettle ein Machtwort: „Ich mache jetzt von meiner Autorität Gebrauch. Der Balken kommt weg.“ „Pah, dann schreiben wir eben einen Leserbrief, Zensur in der taz“, kontert das Team Müller/ Lettau und macht sich gleich triumphierend ans Werk. Auch nach Magris „fristloser Kündigung“ gibt es keinen „Linienstreit“ unter den AutorInnen, aber auch keine politische Diskussion. Die Berliner Asylregelung - am Vortag eigentlich noch für wichtig befunden - schafft es gerade noch in Form einer Glosse von Gisela Elsner ins Blatt, und die angedrohte Entlassung von 35.000 Bergleuten im Ruhrpott wird unwidersprochen mit einem: „Müssen wir uns darum kümmern? Ich glaube, das können wir lassen“, von „Chefin“ Goettle abgehakt. Vielleicht ist es auch zuviel verlangt, in drei Tagen aus dem Stand eine Zeitung zu machen, sich gegenseitig kennenzulernen und dann auch noch streiten zu müssen. So regiert an diesen drei Tagen eher das Konzept: Was einer von uns schreibt, das kommt auch rein, denn er muß es ja selber verantworten. Auf diese Weise landet auch ein Text von Erich Fried, der allgemein als „hundsmiserabel“ beurteilt wurde, in der taz, obwohl Ernest Wichner ganz scharf drauf war, „den schlechten Fried“ in ein gutes Gedicht umzuarbeiten. Wesentlich besser als der Streit klappt - wohl zur Überraschung aller - die Zusammenarbeit zwischen den sonst nur vereinzelt werkelnden AutorInnen. Die Österreich–Ungarische Monarchie erlebt in Form des AutorInnengespanns Heidi Pataki und Istvan Eörsi einen ungeahnten Aufschwung. Einen Tag lang machen sich die beiden einen Heidenspaß daraus, ihre Kollegen in der Nachrichtenredaktion mit gemeinsam formulierten, witzigen Kurzmeldungen zu füttern. Und als plötzlich auf der Reiseseite noch reichlich weiße Flecken sind, springen Fernsehredakteur Kieseritzky und der professionelle Amerika– Hasser Lettau aus der Nachrichtenredaktion mit spontan geschriebenen Polemiken gegen das Reisen ein. „So was Schlechtes“ Der Zeitdruck der Tageszeitungsproduktion - auch das eine neue Erfahrung für die „Dichter“ - nimmt vielen von ihnen die Schreibhemmungen. „So viel wie in diesen drei Tagen habe ich in den letzten fünf Jahren nicht mehr geschrieben“, freut sich Reinhard Lettau. Auch wenn Elfriede Jelinek urteilt, so etwas Schlechtes, wie in der SchriftstellerInnen–taz hätte sie noch nie zu Papier gebracht: Wohl alle LiteratInnen genießen die ansteckende, kreative Stimmung, zu der ihrer Meinung nach auch die taz–Belegschaft beiträgt. „Ihr taz–Leute wißt gar nicht, was ihr hier habt!“ schwärmt Heidi Pataki nach den drei Tagen, „das ist eine wunderbare Atmosphäre bei euch und so ein freundlicher sympathischer Umgang. Daß hier keine Hierarchie herrscht, wirkt ungeheuer inspirierend.“ Endlich einmal mit anderen zusammenzuarbeiten und das nicht in einem gelackten Kulturbetrieb, sondern in der nur allzu oft chaotischen und konflikträchtigen taz, ist offenbar auch für die anderen „Schrifties“ ein Erlebnis.“ Ich beneide euch taz–Redakteure richtig“, meint Gisela Elsner „ich möchte am liebsten gleich weitermachen. Wir SchriftstellerInnen sind sonst immer allein, keiner kümmert sich um einen. Und wenn du etwas schreibst, siehst du es meist erst ein Jahr gedruckt. Hier kannst du gleich am nächsten Tag zum Kiosk gehen, und das ist toll.“ Elfriede Jelinek spricht gar von einem Aha–Erlebnis. Sie sei in diesen Tagen mit ihrer Unfähigkeit konfrontiert, schnell und spontan zu reagieren. „Ich lebe sehr zurückgezogen. Vielleicht, so meint sie, „sollte ich jetzt mein Leben ändern, mehr unter Leute gehen und mich stärker der Wirklichkeit stellen, als ich es bisher getan habe.“ Bei mir sind Se immer willkommen, Frau Jelinek. die k. Das Erlebnis, plötzlich nicht mehr alleine vor der Schreibmaschine zu sitzen, sich gegenseitig die Bälle zuwerfen zu können, inspiriert die AutorInnen auch zu ihrem letzten, wohl einmaligen „Coup“. Ein Fortsetzungsroman aus aktuellen Meldungen soll für die letzte Ausgabe geschrieben werden. Jede/r bekommt einen Stapel aktuelle Tickermeldungen in die Hand gedrückt. Einzeln oder in kleinen Grüppchen verschwinden die Literaten hinter ihren Schreibmaschinen und machen sich an die Arbeit dieses Endlosromans, dessen einzelne Kapitel hinterher nur von Kennern ihren mindestens zehn verschiedenen VerfasserInnen zugeordnet werden können. Als sie am Donnerstag abend noch bis spät in die Nacht in den taz–Räumen an ihrem Gemeinschaftswerk „dichten“, hat rund um den Kommune–1–Tisch in der Wattstraße schon die nächste Gruppe Platz genommen, die - zeitlich befristet - zumindest einen Teil der taz übernehmen will: taz–MitarbeiterInnen aus dem technischen Bereich werden zusammen mit einigen RedakteurInnen aus anderen Ressort Wochen lang die Berliner Lokalredaktion der taz ablösen, die sich währenddessen auf eine Ausweitung ihres Lokalteils vorbereiten will. Noch fünf Räume weiter setzen an diesem Abend die Mitarbeiter des Lateinamerika–Nachrichtendienstes ides ihre Zeitschrift, und für einige Stunden scheint die taz nur so vor Leben, Gegensätzen und Spannungen zu vibrieren, daß einige tazlerInnen - völlig überdreht von all den Reizen - nach Hause flüchten. Noch einen Tag länger, so meinen einige, und es gäbe einen großen Knall in der Wattstraße. Aber am Freitag ist ohnehin der letzte Tag dieses Abenteuers SchriftstellerInnen–taz. Als an diesem morgen die Literaten - völlig übernächtigt von der Arbeit an ihrem Endlosroman - in die Redaktion kommen, treffen dort gerade die ersten empörten Leserbriefe und Protestanrufe an. Zwar ist die taz - trotz stark erhöhter Auflage - längst an vielen Orten ausverkauft, und in Frankfurt reißen die Buchmessebesucher der armen taz–Kollegin gewaltsam die letzten Exemplare aus den Händen, aber längst nicht allen Lesern gefällt das, was die SchriftstellerInnen da fabriziert haben. Die Kritik von den eigenen „Kollegen“ aus der taz–Technik ist da noch die mildeste: „Für ein paar Tage ist so eine Zeitung ja ganz witzig und anregend. Aber immer dürfte sie nicht so sein, da fehlt zuviel Information“, ist der durchgängige Tenor. „Kein einziges Gedicht!“ in der „taz aus Dichterhand“ und „keine Alternative zu der Alternative“ beschwert sich ausgerechnet die FAZ. „Sauerei“, „geschmacklos“, „zynisch“ heißt es dagegen in Anrufen von taz–LeserInnen, die sich vor allem über den „Sterbehilferoman“ und das „leider nur einer“ beschweren, das Reinhard Lettau regelmäßig hinter jeden toten Polizisten oder Soldaten gesetzt hat. „Was? Das verstehst du nicht? Menschenverachtend?“ wettert Lettau einem empörten Anrufer entgegen und legt mit einem lauten „Arschloch“ auf. „Was habt ihr bloß für Leser!“ So umstritten das äußere Produkt dieser drei Tage auch sein mag, innerhalb der AutorInnen– Redaktion hat es auf alle Fälle ein wenig in Bewegung gebracht. Als am Freitag mittag die ersten abreisen, werden Adressen ausgetauscht, einige der LiteratInnen stellen plötzlich fest, daß sie ja ganz dicht beisammen wohnen und man sich doch ruhig einmal besuchen könne. Andere meinen, daß man dieses Experiment der Zusammenarbeit doch ruhig irgendwann einmal fortsetzen sollte, mit etwas mehr Vorbereitungszeit und Konzeption vielleicht. Auch die taz–Technik–Belegschaft, die sich drei Tage lang von ihrer zuckersüßesten Seite gezeigt hatte, bekommt beim Abschied wohlverdiente Streicheleinheiten von den „Schriftis“ zurück. „Ihr wart ja soo nett,“ schwärmt Elfriede Jelinek, „das war so eine kooperative Stimmung mit euch. Libuse Monikova war auch ganz gerührt.“ Und wenn sie schon nicht ewig IN der taz arbeiten könnten, so versprechen einige AutorInnen im Überschwang, dann wollen sie doch wenigstens hin und wieder FÜR die taz schreiben. „Traurig, nicht?“ meint Reinhard Lettau am Freitag abend, als auch die letzte taz–Seite fertig ist, „daß nun alles vorbei ist und wir auseinandergehen.“ Sonntag morgen herrscht wieder Alltag in der taz. Jemand hat unübersehbar „Wir wollen unsere Schriftsteller wieder haben!“ ans schwarze Brett in der Kantine geschrieben und „Bravo, Schrifties! Das waren die geilsten Zeitungen der letzten zehn Jahre“ - nicht gerade sehr motivierend für die taz– Stammbelegschaft, die seit Jahren diese Zeitung macht und jetzt die Nachfolge der „Schrifties“ antreten soll. Aber wenigstens einen Tag lang winkt den taz–Redakteuren noch Klatsch und Tratsch als Entschädigung. „Erzähl doch mal!“, gieren die Blicke. „Wie wars denn mit den Schriftstellern?“ „So!“ „Was heißt: So?“ „Na, so eben, ziemlich genau so.“