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Nordirland: Wachablösung bei den Protestanten

■ Die Opposition nordirischer Protestanten gegen das vor zwei Jahren unterzeichnete anglo–irische Abkommen ist gespalten / Der polternde Dogmatismus des rechtsradikalen Pfarrers Paisley hat keine Zukunft mehr / Eine neue Generation flexibler Politiker propagiert Zugeständnisse an die katholische Minderheit.

Aus Belfast Ralf Sotscheck

Knapp zwei Jahre nach Unterzeichnung des anglo–irischen Abkommens, das der Dubliner Regierung ein begrenztes Mitspracherecht in nordirischen Angelegenheiten einräumen sollte, weht am Belfaster Rathaus noch immer das Spruchband „Belfast sagt Nein!“ Aber nach jahrelangem entschlossenen Kampf gegen das Abkommen ist die protestantische Opposition zerstritten. Mitte letzter Woche gab Peter Robinson, zweiter Vorsitzender von Pfarrer Paisleys rechtsradikaler „Demokratischen Unionistischen Partei (DUP)“, seinen Rücktritt bekannt. Der Bruch zwischen Paisley und seinem „Kronprinzen“ kündigte sich schon seit geraumer Zeit an. Die Unterzeichnung des anglo–irischen Vertrags im November 1985 hatte den Widerstand von Protestanten aller Schattierungen ausgelöst. Ihre gewählten Vertreter boykottierten das britische Parlament in Westminster und die nordirischen Bezirksversammlungen, Massendemonstrationen und eine anti–katholische Pogromstimmung beherrschten das Bild auf den Straßen in Belfast, Derry und Portadown. Aber schon bald wurde klar, daß die britische Premierministerin Thatcher der ihr nachgesagten Starrköpfigkeit treu bleiben würde. Sie hielt formal an dem Abkommen fest, wenn auch die versprochenen Verbesserungen für die Katholiken ausblieben. Bei den Protestanten, die es gewohnt waren, daß bisherige britische Regierungen dem Säbelrasseln nach gaben, löste Thatchers Verhalten Ratlosigkeit und Frustration aus. Der Widerstand begann abzubröckeln: einige Bezirksversammlungen nahmen ihre Arbeit wieder auf, die Demonstrationen gegen das Abkommen wurden kleiner. Paisley und der Führer der gemäßigteren „Offiziellen Unionistischen Partei (OUP)“, Molyneaux, blieben bei ihrer Maximalforderung nach dem Status Quo, während die jüngere Garde in beiden Parteien erkannte, daß diese unflexible Politik in eine Sackgasse führen würde. Machtbeteiligung der Katholiken Als im Frühjahr ein Arbeitsausschuß zur Entwicklung der protestantischen Strategie eingesetzt wurde, dem neben Robinson die beiden Nachwuchsleute der OUP, Millar und McCusker, angehörten, sicherten sich die beiden Parteiführer ab: der Bericht des Ausschusses mußte ihnen zuerst vorgelegt werden. Das Mißtrauen war durchaus angebracht. Der Bericht war ein Tritt vor das Schienbein der alten Garde. Unverhohlen wurde darin die verknöcherte Politik der Oldtimer kritisiert. Stattdessen schlugen die Autoren vor, Katholiken bis zu einem gewissen Grad an der Macht in Nordirland zu beteiligen, wodurch das anglo–irische Abkommen hinfällig würde. Nur so sei die Vormachtstellung der Protestanten zu behaupten und ein vereintes Irland auf Dauer zu verhindern. Der Bericht des Arbeitsausschusses war also keinesfalls das Produkt einer Liberalisierung von Robinson und Co., sondern beruhte auf der realistischen Einschätzung, daß London und Dublin auf das Abkommen nicht ohne Gesichtsverlust verzichten können. Also müsse man ihnen Brücken bauen. Paisley und Molyneaux warfen den Bericht sofort in den Papierkorb. Die Quittung dafür erhielten sie bei den britischen Wahlen für das Unterhaus im Juni. DUP und OUP büßten erheblich an Stimmen ein, der Erzreaktionär Enoch Powell verlor sogar seinen Sitz an die katholischen Sozialdemokraten. Die protestantischen WählerInnen lehnten die aussichtslose Strategie beider Parteien ab. Frank Millar zog sich desillusioniert nicht nur aus der Politik, sondern auch aus Nordirland zurück. Robinsons Rücktritt steht allerdings unter anderen Vorzeichen. Er steigt nicht aus der Politik aus, sondern will sich die Führung im protestantischen Lager sichern. Dabei kann er auf eine breite Unterstützung von der Basis zählen, die durchaus bereit ist, einen (kleinen) Preis für die Auflösung des verhassten Abkommens zu zahlen. Nach seinem Rücktritt erklärte Robinson: „Wir müssen der Realität ins Auge sehen. Ich bin Pragmatiker, und unser Bericht zählte nur Fakten auf. Die Zeit arbeitet gegen uns, denn wenn das anglo–irische Abkommen die dreijährige Probezeit bis November 1988 übersteht, hat die nordirische Union mit Großbritannien keine Zukunft mehr. Dann kann ein vereintes Irland nur noch durch ein unabhängiges Nordirland verhindert werden.“ Scheinheilig fügte er hinzu: „Ich akzep tiere voll und ganz, daß Herr Paisley politisch weitaus erfahrener ist als ich, und er hat weiterhin meine volle Unterstützung im Kampf gegen das Abkommen.“ Robinson kann bei seinem Griff nach der Macht auch mit der Hilfe der paramilitärischen „Ulster Defence Association (UDA)“ rechnen. Die UDA hatte bereits im Ja nuar ein Papier veröffentlicht, in dem sie ebenfalls eine begrenzte katholische Beteiligung an einer nordirischen Regierung forderte. Die UDA ist die einzige legale paramilitärische Organisation in Nordirland, obwohl sie für unzählige Morde an der katholischen Zivilbevölkerung verantwortlich ist. Mit dem Generationswechsel im protestantischen Lager geht die Zeit des polternden Dogmatismus a la Paisley dem Ende zu. Gefragt sind heute flexible Machtstrategen wie Peter Robinson, die mit Hilfe der britischen Regierung und der Paramilitärs von der UDA die protestantische Vormachtstellung auch in Zukunft sichern können.

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