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Schüsse beim Streit der Mütter

■ Auseinandersetzungen bei Demonstrationen in Managua / Mütter von gefangenen Contras gegen Mütter von getöteten Sandinisten / Es geht um die Amnestie von politischen Gefangenen

Aus Managua Ralf Leonhard

Zu Auseinandersetzungen, in deren Verlauf Schüsse fielen, kam es am Donnerstag in Managua, als zwei Gruppen von Frauen aufeinandertrafen, die für bzw. gegen eine Totalamnestie demonstrierten. Ein paar Dutzend Mitglieder der „Bewegung der Mütter politischer Gefangener, 22. Januar“ (M–22) hatte die Kirche El Calvario am Rande des Ostmarktes (Mercado Oriental) in Managua besetzt, forderte in Slogans die Freilassung aller ehemaligen Na tionalgardisten und Konterrevolutionäre und protestierte gegen die Wehrpflicht. Als mehrere hundert „Mütter der Helden und Märtyrer“, Frauen also, deren Söhne oder Töchter von Somozas Nationalgardisten oder den Contras getötet wurden, mit dem Spruchband „Dein Sohn ist im Gefängnis, aber wo ist meiner?“ vor der Kirche Aufstellung nahmen, hagelte es erst Beschimpfungen aus dem Inneren des Gotteshauses. „Laßt euch doch nicht verwirren und von den Yankees manipulieren“, schallte es zurück. Dann kam es zu Handgreiflichkeiten und schließlich fielen sechs Schüsse. Nach Angaben des Innenministeriums wurden zwei Begleiter der regierungsfreundlichen Demonstration zum Teil schwer verletzt. Anführer der Rechtsopposition hielten sich diskret im Hintergrund. Die Polizei, die nach Augenzeugenberichten mit großer Umsicht vorging, konnte die Streitenden schließlich trennen. Ein Blutfleck vor der Kirche, schmutzige Flugblätter, Fetzen von Kleidern und selbst Schuhe und Brillen blieben als einzige Zeugen der gewaltsamen Auseinandersetzungen zurück. Der verhaftete Schütze, Luis Hodgson Carter, ist, einem Kommunique des Innenministeriums zufolge, einschlägig vorbestraft und soll unter Somoza Agent des berüchtigten Geheimdienstes OSN gewesen sein und in der Stadt Jinotega ein Bordell betrieben haben. Die M–22 wurde im Januar dieses Jahres von der Christlichsozialen Partei (PSC) als Kampffront gegen die Sandinisten ins Leben gerufen. Ihr Rechtsberater, der Anwalt Enrique Sotelo Borgen, der im Vorjahr als Verteidiger des Söldners Eugene Hasenfus internationale Bekanntheit erlangte, garantiert beste Beziehungen zur US–Botschaft. Die „Mütter der Helden und Märtyrer“ wehren sich gegen eine Ausweitung der Amnestie auch auf Gewaltverbrecher in den Reihen der Nationalgarde und der Contras. Eine Amnestie für politische Häftlinge ist einer der Punkte des Friedensabkommens von Guatemala, die bis zum 7. November von den fünf Regierungen Zentralamerikas erfüllt werden müssen. Die Sandinisten haben noch nicht entschieden, wer alles in den Genuß der Amnestie kommen soll.

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