: Ein zweiter Wallraff in Springers Welt?
■ Springers Anti–Terror– und Geheimdienstexperte Werner Kahl in der Klemme: Prozeß wegen angeblicher Abschreiberei / CIA ist sauer, weil seine großzügige Informationspolitik durchsickerte / Stiftete Kahl den VS–Mitarbeiter Grünhagen zum Geheimnisverrat an?
Von Benedict M.Mülder
Berlin (taz) - Seit Jahren steht der Name des Bonner Welt–Redakteurs Werner Kahl nicht nur für einen klaren Law–and–order– Kurs von Springers Flaggschiff, sondern auch für Top–Informationen aus der Welt der Nachrichtendienste und Sicherheitsorgane. Kahl verfüge, so Insider, über heiße Drähte zu Spionen und Geheimnisträgern aller Art. Jetzt droht Kahl über einen dieser Drähte zu stolpern, weil er das Vertrauen, das zum Nonplusultra der Branche gehört, enttäuscht haben soll. Werner Kahl hatte 1984 Kontakt zu einem im Westen lebenden früheren Mitarbeiter des DDR– Ministeriums für Staatssicherheit (“Stasi“) aufgenommen. Der Ex– Stasi–Mann ist seit seinem Wechsel über die Grenze als intimer Kenner der diversen Nachrichtenfirmen zur beliebten Anlaufstelle für diskrete Informationen geworden. Damals hatte er angekündigt, Memoiren über sein bewegtes Agentenleben zu schreiben. Um die ersten 130 Seiten seines Manuskriptes wird nun ein Streit vor einem Kölner Landgericht ausgetragen. Der frühere Ost–Agent wirft Kahl die Verletzung des Urheberrechts vor, weil der in seinem 1986 erschienenen Buch über „Spionage in Deutschland heute“ auf sein (des Agenten) Memoiren– Manuskript „Der Bericht“ zurückgegriffen habe. Kahl bestreitet das. Auf Anfrage der taz meinte er: „Ich habe nie ein Manuskript des Mannes gehabt.“ In dem Kapitel seines Buches über die „Stunde O“ der Geheimdienste 1945 in Deutschland habe er sich lediglich auf die „genauen Erzählungen“ des ehemaligen Ostagenten während eines Treffens mit ihm berufen. Schließlich bestätigte Kahl, was insbesondere US–Amerikanern Verdruß bereitet. Danach habe er mit alliierten Stellen Kontakt aufgenommen, um sich über die Schilderungen des Ostagenten „unterrichten“ zu lassen. Bei dieser Unterrichtung war der CIA nicht gerade kleinlich. Kahl wurde, wie sein Anwalt vor Gericht einräumte, das „Tonbandprotokoll“ mit den vertraulichen Berichten des Ex–Stasi–Mannes „vorgespielt“. Weiter heißt es in der Einlassung: „Es wurde ihm (Kahl, d.Red.) außerdem Gelegenheit gegeben, sich entsprechende Notizen zu machen.“ Daß diese offenherzige Prozedur durchsickerte, ist den ominösen „Stellen“ heute peinlicher als das Bekanntwerden des Zusammenspiels mit Springers Welt. Wer, so befürchten Geheimdienstler, meldet sich noch mit vertraulichen Informationen, wenn er damit rechnen muß, daß sie anderntags bei einer Zeitung auf dem Tisch liegen? Ob Kahls Bericht nur aus einer CIA–Quelle und den mündlichen Erzählungen des Ex–Ostagenten stammt, wie Kahl behauptet, oder doch abgeschrieben ist, müssen die Richter endgültig klären. Das Kölner Oberlandesgericht stellte im Juli fest, daß es Beweise für eine Übergabe des Manuskriptes an Kahl gäbe (eine Visitenkarte mit persönlicher Widmung) und Passagen des Kahl–Buches „sich fast wörtlich an Passagen anlehnen, die in dem Manuskript enthalten sind“. Damit bestätigte das Gericht zwar nicht die Urheberrechtsverletzung, die der Ostagent geltend macht, forderte aber die nächst untere Instanz auf, neuerlich in die Beweisaufnahme zu treten. Eine Entscheidung sei bisher nicht ergangen, meinte Kahl auf Anfrage, „im Moment werden Schriftsätze ausgetauscht“. Ungemach kommt für Kahl noch aus einer anderen Berliner Ecke. Jüngst ging dem NDR–Magazin Panorama der „Schriftsatz“ eines Anonymus zu, der sich als Kenner des Berliner Verfassungsschutzes geriert. Darin wird Kahl mit dem VS–Mitarbeiter Michael Grünhagen - Schlagzeilenmacher in der Schmücker–Affäre - in Zusammenhang gebracht: Beim „fortgesetzten und wiederholten Bruch des Dienstgeheimnisses“ habe Grünhagen in Kahl einen „idealen Partner“ gefunden. Alles, was ihm „veröffentlichswert“ erschien, soll Grünhagen Kahl berichtet haben. Mit Hinweisen auf Artikel in der Welt wird sogar versucht, dies im einzelnen zu belegen. Die Palette reicht von Berichten im Zuge des Anschlags auf die Berliner Diskothek „La Belle“ 1986 bis zur „geplanten Zusammenlegung der operativen Arbeitseinheiten Rechtsradikalismus und Ausländerüberwachung im Landesamt für Verfassungsschutz 1987“. Grünhagen arbeitet gegenwärtig im Bereich der Ausländerüberwachung. Kahl bestreitet gegenüber der taz jeden Kontakt mit Grünhagen. Er habe noch nie mit ihm gesprochen, betont er. Eine ebensolche Auskunft gab der Sprecher der Berliner Innenverwaltung, Hans Birkenbeul, der private wie offizielle Kontakte zwischen Grünhagen und Kahl ausschließt. „Informationen laufen nur über mich“, meinte Birkenbeul.
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