Lahmes Flügelschlagen bei den Hessen–Grünen

Im Frankfurter Haus Gallus, einem traditionsreichen linken Versammlungsort im gleichnamigen Arbeiterviertel Gallus, traf sich am Wochenende für zwei Tage die hessische grüne Landesversammlung. Das Haus sah eine relativ befriedete Auseinandersetzung der rund 300 Delegierten um die künftige Politik der Partei. Schmutzige Wäsche wurde - im Gegensatz zu vergangenen Treffen - nur noch mit gebremstem Schaum gewaschen. Die Schelte der Basis für die Abgeordneten Herbert Reeh und Fritz Hertle wegen einer mißverständlichen Presseerklärung zu von der Bundesbahn geplanten Schnellbahntraßen Würzburg– Hannover und Frankfurt–Köln endete nicht im Glaubenskrieg, die Abgeordneten entschuldigten sich. Fraktionschef Joschka Fischer räumte die eigene Inkompetenz ein, die Bürgerinitiativen versprachen, dem abzuhelfen. Gleichwohl kritisierte der Bund Bürgerinitiativen und Umweltschutz (BBU) am Sonntag in einer Presseerklärung die „unverändert freundlche“ Haltung der Abgeordneten gegenüber den Plänen der Bundesbahn. Bemerkenswert zahlreich waren die RednerInnen, die in der mehrstündigen offenen Diskussion am Samstag nachmittag zu einem menschlicheren und solidarischeren Umgang der Grünen untereinander mahnten, die im Flü gelkampf angekratzte politische Kultur beschworen und die gegenseitige Niedermacherei von Fundamentalisten und Realpolitikern kritisierten. Die Delegierten schienen es gründlich müde, sich noch einmal irgendwelche Schaukämpfe ansehen zu müssen. Daran änderten auch die zornigen Zwischenrufe der Fundamentalisten um Manfred Zieran und Bundesvorständlerin Jutta Ditfurth nichts. Sie hielten dem Redner Oliver Christ, der das Recht grüner Abgeordneter auf Fehler verteidigte, entgegen: „Wir kommen ja gar nicht in die Positionen, wo wir sie machen können.“ Zum Thema Schnellbahn fuhren sich Fischer und Zieran/Ditfurth noch einmal heftig in die Parade. Der Ex–Minister merkte dazu selbstkritisch an, er sei - genau wie Zieran auch - wohl kein „Hauptprotagonist der Radelei“. Aber es gebe jetzt Wichtigeres als „Jutta“, nämlich den gemeinsamen Kampf gegen die „Revitalisierung des Autos“ in den letzten Jahren. Ansonsten gab sich die Partei trotz des Endes der rot–grünen Koalition relativ gelassen. Schuldzuweisungen fanden nicht statt. Die Delegierten wollten auch in der Generaldebatte nichts davon wissen. Sie konzentrierten sich auf Inhaltliches: Frauenpolitik, Bildungspolitik, Straßenbau, Verkehrsplanung, Atompolitik waren ihnen wichtiger. Den desolaten Zustand der Oppositionspartei SPD in Hessen streifte Joschka Fischer nur kurz: „Das geht so weit, daß die den 6.April als Unfall ansehen.“ Intern sei der ehemalige Koalitionspartner mit Machtkämpfen befaßt. Nicht diskutiert wurde die neue Oppositionsrolle der Landtagsfraktion. Die Delegierten ver langten ihr nur ab, sich in Presse und Fernsehen nicht unabgesprochen zu exponieren. Das sei „den Leuten vor Ort“ nicht zu vermitteln. Als „Denkverbot“ für Abgeordnete solle, räumte ein Redner ein, diese Anregung aber auch nicht verstanden werden. Den Delegierten war die Erleichterung darüber, nicht unter dem Druck anstehender Wahlen zu stehen, sichtlich anzumerken. Dem Kommunalwahlkampf, für den sie immerhin auch noch 18 Monate Zeit haben, regten sie an, solle eine eigene Landesversammlung im Frühjahr gewidmet werden. Am Samstag abend verabschiedeten die Grünen mit großer Mehrheit und wenigen Änderungen einen gemeinsamen Antrag „Für eine ökologische Reformpolitik in Hessen“, in dem unter anderem am Willen zum sofortigen Ausstieg aus der Atomenergie festgehalten wird, andererseits aber festgestellt wird, daß dieser auf absehbare Zeit nur mit Regierungsbeteiligungen erreicht werden könne und deshalb eben länger dauern werde. Quer zu allen anderen Anträgen stand der einer Gruppe Jugendlicher zwischen 18 und 23 Jahren. Sie forderten unbekümmert eine Koordinationsstelle für ihre Aktivitäten. Und bekamen sie - wenn auch vorerst stundenweise -, nachdem sie alle Versuche einer ihnen aufgedrängten Pädagogik energisch abgelehnt hatten. Grüne Jugendpolitik, das sei wahrlich ein alter Hut, erklärte ein 21jähriger Sprecher. Da sei in den letzten 20 Jahrens nichts Neues dazugekommen. Die Broschüre des Bundesvorstandes zitierte er mit den Worten: „Das haben mir meine Eltern schon vor 20 Jahren gesagt.“ Er wertete das grüne Jugendprogramm der „68er“ als „bloße hirnrissige Aufsässigkeit“. Eine andere Sprecherin stellte fest, daß die Öffentlichkeit die Grünen noch immer für eine „Jugendpartei“ halte. Das sei mitnichten so, es werde vielmehr „Turnschuhtragen mit Jugend verwechselt“. Die Gruppe, die sich zur Zeit regelmäßig als offener „Frankfurter Jugendstammtisch“ trifft, wehrte sich auch gegen die Gründung einer grünen Jugendorganisation. Sie wolle erst einmal die Anliegen und Inhalte ihrer eigenen Politik erarbeiten und dann sehen, wie sie sich selbst organisieren wolle. Die Jugendlichen forderten die Grüne Partei auf, sich mit den Themen der Zeit zeitgemäß zu befassen. Die Haltung zu Computern zum Beispiel sei ihnen unverständlich, sie selbst seien schließlich damit aufgewachsen und müßten sich also auch damit auseinandersetzen. Und: „Die alte Landtagsgruppe hat wenigstens noch freie Radios gefordert, die neue mag in dieser Richtung überhaupt nicht mehr denken.“ Heide Platen