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Für die Wahrung der öffentlichen Moral im Iran

■ Gerichtspersonal von Hizbollahis entlassen aus „Solidarität“ mit einem verhafteten Moralwächter / Dieser hatte „unislamisches“ Verhalten bei Passanten angekreidet

Von Hamid Beheschti

Berlin (taz) - Drei Mitarbeiter des Gerichts der nordiranischen Stadt Babol sind von aufgebrachten Sympathisanten der Hizbollah (Anhänger der Partei Gottes) zu „Konterrevolutionären“ erklärt und entlassen worden. Der Grund: Das Gericht hatte einen Mitarbeiter der Behörde zur Überwachung der „öffentlichen Moral“ wegen Verunglimpfung des Untersuchungsbeamten und der Gewaltanwendung gegen das Gericht inhaftiert. Daraufhin wurde das Gerichtsgebäude von Hizbollah–Anhängern besetzt. Ein Mitarbeiter dieser Behörde hatte Mitte September einen Mann und seine beiden Begleiterinnen angehalten und „unislamisches Verhalten“ beanstandet. Im Laufe des Gesprächs zog der Moralwächter seinen Gürtel und schlug auf die Frauen ein. Anschließend nahm er die beiden Frauen mit zu seiner Behörde. Der männliche Begleiter der beiden abgeführten Frauen legte Beschwerde bei Gericht ein. Im Laufe der Untersuchung vertrat der vor Gericht zitierte Moralwächter Mehdi Sadjudi die Auffassung, es liege nicht in der Zuständigkeit des Gerichts, das Per sonal der Behörde für die Überwachung des moralischen Verhaltens zur Rechenschaft zu ziehen. In der Hitze der Auseinandersetzung mit dem Untersuchungsrichter zog der Moralwächter schließlich seine Pistole und und schoß in die Luft. Daraufhin ließ ihn der Untersuchungsrichter verhaften. Selbstjustiz Vor dem Gerichtsgebäude sammelten sich Freunde und Gleichgesinnte des eingesperrten Mehdi Sadjudis ein und demonstrierten gegen seine Inhaftierung. Die Demonstranten, die sich selbst als Hizbollahis bezeichneten, besetzten kurzerhand das Gerichtsgebäude und befreiten den schießwütigen Moralwächter. Die Besetzer erklärten öffentlich, daß es an der Zeit sei, den verbrecherischen Machenschaften des Gerichts ein Ende zu setzen und den rechtlosen „Barfüßigen“ zu ihrem Recht zu verhelfen. Sie teilten der Öffentlichkeit außerdem mit, daß weitere Informationen zu dem Fall von islamischen Vereinen und islamischen Stadtteilräten zu erwarten seien. Ein Geistlicher und eine weitere Person wurden mit der Untersuchung des Falles beauftragt. Unterdessen riefen die Hizbollahis die Öffentlichkeit auf, Beweismaterial gegen die in den Fall verwickelten Gerichtsbeamten aufzutreiben und für die Untersuchung zur Verfügung zu stellen. Schließlich wurden der erwähnte Untersuchungsrichter und zwei weitere Gerichtsbeamte entlassen, die den Moralwächter und ehemaligen Revolutionsgardisten inhaftiert hatten. Dies löste einen Streik des Gerichtspersonals aus. Die Gerichte in den Nachbargemeinden solidarisierten sich mit den Entlassenen. Alltäglich Willkür Hizbollah, wörtlich „Partei Gottes“, ist im Zusammenhang mit gewaltsamen Aktionen, Terroranschlägen und Geiselnahmen aus dem Libanon und dem Iran bekannt. Diese Form des offenen Rechtsbruchs durch sogenannte Hizbollah–Trupps ist seit Jahren im Iran an der Tagesordnung. Keiner ist vor dieser Willkür sicher. „Hizbollah“ war in ihrer Entstehung die selbstgewählte Bezeichnung für Schlägertrupps, die den geistlichen Machthabern nach der islamischen Revolution im Iran der Liquidierung jeglicher Opposition dienten. Die Bezeichnung ist dem Koran entnommen und wird heute in der konkreten politischen Situation instrumentalisiert.

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