Prozeß wegen Blockadeaufruf

Jetzt soll die Aufforderung zu einer gewaltfreien Blockade eines Raketendepots bestraft werden  ■ Aus Simmern Felix Kurz

Weil sie einen bundesweiten Aufruf zur Blockade der Cruise-Missiles-Basis in Hasselbach mitunterzeichnet hatte, steht die 19jährige Schülerin Heike Michel aus Külz (Hunsrück) jetzt vor dem Kadi.

Grund: Mit ihrer Unterschrift unter den Aufruf für eine Blockade im Mai vergangenen Jahres habe sie andere zur Begehung einer Straftat aufgefordert. Für die Staatsanwaltschaft Bad Kreuznach erfüllen Sitzblockaden den Tatbestand der Nötigung. Personen, die nun dazu aufrufen, seien deshalb nach §111 Strafgesetzbuch wegen einer Aufforderung zur Begehung von Straftaten zu belangen.

Zusammen mit dem Vorwurf wegen Nötigung aufgrund ihrer Beteilung an der Blockade sollte die Schülerin laut Strafbefehl des Amtsgerichts Simmern 770 DM Geldstrafe berappen.

Zum ersten Mal soll nun in der Geschichte der Bundesrepublik die bloße Aufforderung zu einer gewaltfreien Blockade strafrechtlich geahndet werden.

Daß der Prozeß vor dem Amtsgericht im rheinland-pfälzischen Simmern stattfindet, hat seinen besonderen Grund. Initiatorin des Verfahrens war zunächst die Staatsanwaltschaft in Bonn.

Drei Tage vor der Blockade am 28. und 29. Mai 87 durchwühlten die Ermittler das Büro des Koordinierungsausschusses der Friedensbewegung in Bonn, um so an die Liste der Unterzeichner zu gelangen und um herauszufinden, wer die Verantwortlichen der Blockadeaktion waren. Gegen alle Unterzeichner des Blockade-Aufrufs, unter anderem Rudolf Bahro, Alfred Mechtersheimer, William Borm, Katja Ebstein und Bernt Engelmann leitete die Staatsanwaltschaft Bonn Ermittlungsverfahren wegen der Aufforderung zur Begehung von Straftaten ein. Sechs Strafbefehle durch das Amtsgericht Bonn zwischen 20 und 40 Tagessätzen sind mittler weile verhängt worden. Weil die 19jährige Heike Michel nun vor einer Jugendkammer angeklagt werden mußte, war das Amtsgericht in Simmern zuständig.

Noch vor Beginn der Verhandlung monierte Amtsrichter Heinz- Georg Göttgen zwei im Gerichtssaal aufgehängte Transparente. „Hasselbach grüßt Rheinhausen“ und „Jetzt BRD atomwaffenfrei“ war da zu lesen. Politische Meinungsäußerungen gehörten nicht in den Gerichtssaal, meinte der Richter, der bisher in 29 Verfahren 110 Blockierer zu insgesamt über 125.000 DM Geldstrafe wegen Nötigung durch Sitzblockaden in Hasselbach verurteilt hatte.

Nachdem die Transparente abgehängt waren, forderte die Angeklagte ihrerseits, daß Göttgen das Kruzifix im Gerichtssaal ebenfalls entfernen solle, denn „hier wird negiert, wofür Jesus gestorben ist“. Heike Michel meinte damit den Frieden. In ihrer rund eineinhalbstündigen hochqualifizierten Einlassung begründete sie ausführlich ihre Motive für die Beteiligung an der Blockade und die Unterschrift unter den Aufruf. Seit 1979 lebe sie im Hunsrück und müsse seitdem erleben, wie „das Militär sich immer mehr ausbreitet und die Menschen weichen müssen“. Ostermärsche und Friedensgebete gehörten zu den Stationen ihres friedenspolitischen Engagements. Vor allem aber die „unverantwortliche Lüge“ von Bundesverteidigungsminister Manfred Wörner, daß auch bei einem Unfall mit den atombestückten Cruise Missiles nur begrenzt spaltbares Material (Plutonium) austreten würde und die Bevölkerung nie und nimmer gefährdet wäre, sei für sie Motiv genug ge wesen, sich vor das Stationierungsgelände zu setzen. Ihre Unterschrift unter den Aufruf habe sie im Übrigen spontan und völlig verärgert nach dem ersten Blockade-Prozeß in Simmern gegen drei Pfarrer und eine Sozialpädagogin gesetzt. Heinz-Georg Göttgen hieß damals der Richter, und das brachte ihm aus dem vollbesetzten Saal, darunter auch die Eltern der Angeklagten, gleich den Vorwurf des „Anstifters“ ein.

Daß der Prozeß gestern vertagt werden mußte, lag daran, daß die Polizei offenbar ein Videoclip der Räumungsaktionen bei der Mai- Blockade verschlampt hatte. Am kommenden Montag wird der Prozeß um 10 Uhr fortgesetzt.