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„Ein Mordanschlag auf die Natur“

Umweltkatastrophe an der niederländischen Nordseeküste / Ausgelaufenes Schiffsöl läßt Tausende von Seevögeln krepieren / Helfer versuchen, verklebtes Gefieder zu reinigen / 60 Tonnen Öl sowjetischer Herkunft ist Ursache  ■ Aus Renesse Dietmar Bartz

Als die Sonne am Montag morgen aufgeht, haben die Männer schon zwei Stunden im scharfen Wind gearbeitet. Ein Mittdreißiger mit rotangelaufenem Gesicht, dicker Jacke und hochgeschlagener Kapuze beobachtet die beiden Bagger, die behutsam die dünne Schicht Öl-Sand-Gemisch vom Strand abheben und auf einen Kipper laden. In den zwei Stunden haben sie etwa 60 Meter geschafft. „Für unsere sechs Kilometer brauchen wir eine Woche“, schätzt der Aufseher.

Drei Tage nach der schlimmsten Ölpest, die es in Holland je gegeben hat, haben die Arbeiter mit dem Saubermachen der Strände begonnen. Zwischen einem und drei Metern ist der Ölteppich breit, den die Flut am Freitag auf einer Länge von 40 Kilometern an die südholländischen Sandstrände gespült hat. Am Sonntag dann wurde ein zweiter Teppich vor der Küste gesichtet, der 35 Kilometer lang und einige hundert Meter breit ist.

Ganz harmlos sieht der Schmutzstreifen aus, doch ein paar Meter weiter liegen die Opfer, die der Lärm der Baumaschinen nicht mehr vertreiben kann: die Vögel, deren Gefieder so stark verklebt ist, daß sie sich kaum noch bewegen können.

Manche Tiere sind nur noch an Größe und Schnabelform zu erkennen, so dicht hat sich das braunschimmernde Öl in die Federn gesetzt. Andere gehen unablässig mit den Schnäbeln in ihr Gefieder und fügen sich dadurch noch chemische Vergiftungen im Magen zu.

„Es werden wohl zehntausend werden“, sagt Vogelschützer Simon Hort resigniert. „Die meisten davon sterben auf hoher See – die bekommen wir erst gar nicht zu sehen. Wenn der Wind sie doch alle anspülen würde!“ Hort wohnt in Scharendijke, wo der Brouwersdam auf die Insel Schouwen stößt. Das ist die am schlimmsten betroffene Region, denn in den künstlichen Hügeln vor dem Damm nisten im Winter Tausende von Seevögeln. Doch auch von allen Dünenübergängen aus zeigt sich ein ähnliches, fürchterliches Bild: halb verweste Schwarzenten, zappelnde Möwen, die mit letzter Kraft vor den Helfern fliehen und dann auf See sterben, und Reiher, die sich nicht mehr bewegen können und zentimetertief im Sand stecken.

60 Tonnen sowjetisches Öl

Simon Hort kommt gerade vom Strand zurück; innerhalb von zwei Stunden hat seine Freiwilligengruppe hundert Vögel eingesammelt, von denen kaum ein Tier überleben wird. Hort erklärt: „Auch wenn es nicht völlig verklebt ist, hat es ohne Hilfe keine Chance.“ Das Öl zersetzt das Tierfett; schon kleine Berührungen führen zu Lungenentzündungen und damit zum Tod. 600 Vögel haben Dutzende von Freiwilligen allein auf einem 20 Kilometer langen Abschnitt gesammelt, als die Flut den Ölteppich an Land spülte. 400 Tiere mußten sofort eingeschläfert werden; ob den restlichen 200 die Reinigung nutzt, vermag niemand zu sagen. Tierarzt Ken Buth aus Haamstede, bei dem die Sammelstelle für den Küstenstrich eingerichtet war, wünschte dem Kapitän öffentlich: „Man sollte ihn selbst in ein solches Ölbad stecken.“

Derweil sind die Behörden zumindest zuversichtlich, das Schiff und seinen Kapitän ausfindig machen zu können, das die 60 Tonnen Öl aus seinen Tanks gespült hat. Sie konnten mit Hilfe chemischer Analysen das Herkunftsland des Öls, die Sowjetunion, bestimmen, und prüfen jetzt, welche Schiffe solches Öl in den Häfen der Region umgeschlagen haben. Der zweite Ölteppich, der am Sonntag morgen entdeckt worden war, wird mit drei Spezialschiffen bekämpft; zudem wirkt der starke Wind für ein Auseinandertreiben des Teppichs, sodaß die Ölflächen schneller abgebaut werden. „Keine Gefahr“, ist dazu aus Den Haag zu hören.

„Das dauert noch Wochen und Monate, bis die letzten Tiere gestorben sind“, sagt Simon Hort. Dreiviertel der Vögel, die er jetzt am Strand sehe, „machen einen schlechten Eindruck“, schätzt der Experte. „Sie magern von Tag zu Tag mehr ab. Das war ein Mordanschlag auf die Natur. Es ist furchtbar.“

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