: Sozialistische Selbstkritik? No gracias!
Parteikongreß der spanischen PSOE vom letzten Wochenende überspielt wachsende Entfremdung zwischen der Partei und der sozialistischen Gewerkschaft Regierungschef Gonzalez will Verhältnis zur Linken verbessern / Frauen sollen ein Viertel der PSOE-Führungspositionen erhalten / Neue Formen – alte Inhalte ■ Von Johannes Spiegel-Schmidt
Madrid (taz) –“Die Zukunft gewinnen“ stand als Leitparole über dem 31.Parteikongreß der Sozialisten Partei Spaniens, PSOE, der am Sonntag nach dreitägiger Dauer zu Ende ging. Fanden bis vor knapp zehn Jahren die parteiinternen Auseinandersetzungen noch um die Alternative zwischen Marxismus und Sozialdemokratie und 1985 um das Für oder Wider zur NATO statt, so kreiste dieser Parteitag um die engen Spielräume sozialistischer Wirtschafts- und Sozialpolitik in einer kapitalistisch bestimmten Umwelt und um das ramponierte Image der Regierung.
Regierungs- und Parteichef Felipe Gonzalez verteidigte in seinem Rechenschaftsbericht, der von der überwiegenden Mehrheit der Delegierten gebilligt wurde, die Erfolge seiner neoliberalen Wirtschaftspolitik, die in den letzten fünf Jahren zur (Weg-)Sanierung der unproduktiven Sektoren geführt habe, zu einer Wachstumsrate, die deutlich über dem EG-Durchschnitt liege, zu einer niedrigeren Inflationsrate und wachsender internationaler Konkurrenzfähigkeit der spanischen Industrie.
Gegenüber diesem makroökonomischen Optimismus verwies die marginalisierte Linke in der Partei und vor allem die sozialistische Gewerkschaft UGT auf den Preis, der für diese Entwicklung gezahlt werden mußte: mehr als drei Millionen Arbeitslose, das sind mehr als ein Fünftel der arbeitsfähigen Bevölkerung und 7 1/2 Millionen Arme, die am Rande des Existenzminimums leben. Es besteht wenig Hoffnung, daß die propagierten „neuen Technologien“ in absehbarer Zeit eine Wende auf dem Arbeitsmarkt einleiten.
Von einem Parteikongreß, auf dem fast vier von fünf Delegierten öffentliche Ämter bekleiden und demnach der PSOE Dank schulden, war nicht zu erwarten gewesen, daß die riesige Kluft zwischen der von Gonzalez durchgesetzten klassisch konservativen Realpolitik und dem sozialistischem Parteiprogramm offen zur Sprache kommen würde. Postulate des Parteiprogramms wie: „Sozialist sein heißt vor allem, an der Seite der Armen stehen, der Marginalisierten und derer, die unter sozialen Ungerechtigkeiten leiden...“ werden heute fast ausschließlich von der sozialistischen Gewerkschaft UGT eingeklagt, die sich in den letzten zwei Jahren Schritt für Schritt von der Regierungspolitik distanziert und erstmals keine Delegierten auf den Parteitag entsandt hat.
UGT-Chef Nicolas Redondo erschien am letzten Tag lediglich als Gastredner und äußerte offen seine Zweifel, daß die Regierungspolitik als sozialistisch und links bezeichnet werden könne. Er stellte zwar die wirtschaftspolitischen Erfolge der Regierung nicht in Frage, verwies jedoch darauf, daß die Sanierungspolitik nicht mit einer Verbesserung der sozialen und wirtschaftlichen Lage einhergehe, „daß es mehr Arbeitslosigkeit gibt, daß sich die Ungleichheit bei der Einkommensverteilung verstärkt hat, daß es weniger öffentlichen Schutz in einigen fundamentalen Bereichen wie Arbeitslosigkeit und eingeschränkter Arbeitsfähigkeit gibt und sich die soziale und regionale Kluft vertieft hat“.
Konflikte mit der UGT
Die wachsende Entfremdung zwischen der sozialistischen Regierung und ihrem traditionellen gewerkschaftlichen Verbündeten schwebte wie ein Damoklesschwert über diesem Kongreß, der weit mehr daran interessiert war, Einheit und Geschlossenheit um die Regierung zu demonstrieren. Die UGT weigert sich, weiterhin als Transmissionsriemen der Regierungspolitik gegenüber der Arbeiterklasse zu dienen.
Sie fordert als Voraussetzung für ihre Teilnahme an einer konzertierten Aktion die Anerkennung ihrer Autonomie. Außerdem soll sich die Regierung vorher auf eine Politik eines realen Wandels auf ein klares sozialistisches Projekt festlegen.
Die Reaktionen in der PSOE auf die Haltung der UGT sind unterschiedlich. Im rechten, technokratischen Parteiflügel beginnt man bereits laut über ein sozialistisches Projekt ohne Gewerkschaften nachzudenken. Für diesen Block scheint der soziale Frieden mit einer Dauerarbeitslosigeit von 20 Prozent ausreichend gesichert. Die Parteiströmung „Sozialistische Linke“ hingegen bemüht sich, wahrscheinlich vergeblich, um die Bildung eines breiten fortschrittlichen Blocks unter Einschluß der UGT, um der rechten Regierungspolitik langsam aus der Partei heraus das Wasser abzugraben.
Der Parteikongreß schließlich fordert die Mitglieder der PSOE auf, sich in Zukunft stärker in der UGT zu betätigen, offenbar, um den Kampf mit der Gewerkschaft von ihrer Basis her aufzurollen, statt in einer unfruchtbaren Polemik mit ihrer Spitze forzufahren.
Die Linke integrieren
Felipe Gonzalez ließ in seiner Abschlußrede vorsichtig anklingen, daß sich in Zukunft die Prioritäten der Regierungsarbeit verschieben könnten: Stand bisher ausschließlich die Modernisierung des Produktionsapparates mit ihren horrenden sozialen Kosten im Vordergrund, so soll in Zukunft der Jugendarbeitslosigkeit und einer qualitativen wie quantitativen Verbesserung des öffentlichen Erziehungs- und Gesundheitssektors sowie der Justiz verstärkte Aufmerksamkeit geschenkt werden.
Auch soll das gebrochene Verhältnis der Partei zu weiten Teilen ehemaliger Mitträger des sozialistischen Projekts der PSOE verändert werden. So denkt die Partei daran, eine fortschrittliche Frauenvereinigung, eine ökologische und eine intellektuelle Organisation sowie eine Friedensbewegung zu gründen.
Ein Viertel aller Führungspositionen innerhalb der PSOE soll für Frauen reserviert werden. Diese Absichten zielen wohl darauf ab, die Entwicklung bundesdeutscher Verhältnisse links von der Sozialistischen Partei abzuwenden. Der triumphalistische Grundton des Kongresses – „diese Regierung hat die besten Ergebnisse aller Zeiten erzielt“ – scheint eher darauf angelegt, propangandistisch den Wahlkampf für das nächste Jahr einzuläuten, als eine grundsätzliche, selbstkritische Reflexion über Stand und Zukunft des sozialistischen Projekts zu fördern.
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