piwik no script img

Maulkorb für Zensur-Staatsanwalt

Nürnberger Staatsanwalt wurde wegen besonderer Verdienste um die Zensur der Jugendpresse ausgezeichnet – Vorher Unbeanstandetes reicht zu Hausdurchsuchungen und Strafverfolgung / Junge Presse Bayern verzeichnet jährlich über hundert Zensurfälle  ■ Aus Nürnberg Bernd Siegler

Ein Herr Staatsanwalt mit einem Hundemaulkorb vor den gefletschten Zähnen? Diese Vorstellung erschien Gruppenleiter Gert Breitinger zu grotesk. Stattdessen suchte der Nürnberger Staatsanwalt verzweifelt nach seiner Souveränität. Mit unfreiwilligem Vibrato in der Stimme nahm er völlig unvorbereitet in seinem Amtszimmer vor versammelter Presse den diesjährigen Zensurpreis der Jungen Presse Bayern entgegen. Der Vorsitzende des Zusammenschlusses bayerischer Schüler- und Jugendzeitungen, Florian Schneider, hatte gerade ihn mit dem „Silbernen Maulkorb“ bedacht wegen seiner „besonderen Verdienste um die Zensur der Jugendpresse“.

Schon im April 1987 hatte es Breitinger auf die Nürnberger jugendeigene Zeitung fetzngaier abgesehen. Er ließ den fetzngaier konfiszieren, u.a. wegen einer Karikatur, die vorher unbeanstandet in der Titanic er schienen war. „Verherrlichung von Perversitäten wie dem Oralverkehr“, floß Breitinger aus der Feder, eine „zu grobe Darstellung des Sexuellen“. Doch er hatte Pech. Das Landgericht Nürnberg sah darin keine verfolgungswürdigen Straftatbestände.

Im Dezember probierte es Breitinger erneut. Diesmal stellte eine bis dahin unbeanstandete Karikatur der Österreicherin Elisabeth Kmöllninger den Stein des Anstoßes dar. Bei einem gekreuzigten Jesus als Mausefalle witterte er „eine zynische, taktlose und grob herabsetzende Darstellung Christi“.

In einer Rezension des Buches „nix gerafft“ soll weiterhin der Staat verunglimpft worden sein. Eine Bundesrepublik, die sich „personell und strukturell ihres Vorgängerstaates bedient“ – das war Breitinger zuviel. Diesmal hatte der Staatsanwalt beim Amtsgericht Pech, doch seine Hartnäckigkeit wurde von der höheren Instanz belohnt. Mehr als ein Monat nach Erscheinen wird der fetzn gaier am 18.Januar beschlagnahmt. Grund genug für die Junge Presse Bayern, die jährlich mit etwa 100 Zensurfällen konfrontiert wird, den Staatsanwalt auszuzeichnen. Doch nicht nur ihn, sondern auch die zuständigen Richter des Landgerichts und „den Filz von denunzierenden Elternbeirä ten, Kultusbürokraten und CSU- Politikern“. In der Profi-Presse unbeanstandete Texte und Karikaturen würden – so Florian Schneider – zum Vorwand für Hausdurchsuchungen und Strafverfahren, „sobald Jugendliche dasselbe nachdrucken“.

Mit dem neuen §130b (Befürwortung von Straftaten) und der von Bayern geplanten Verschärfung des §166 (Beschimpfung einer Religionsgemeinschaft) sei der Zensur Tür und Tor eröffnet. Der krampfhaft um Humor bemühte Breitinger will sich jetzt um den goldenen Maulkorb bemühen.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen