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Balkan-Länder wollen jeden Streit vermeiden

■ Zum ersten Mal seit 40 Jahren treffen sich heute in Belgrad die Außenminister aller Balkan-Staaten / Problem der nationalen Minderheiten ausgeklammert / Konferenz soll der „allgemeinen Orientierung“ dienen / Bessere Wirtschaftsbeziehungen zu Westeuropa angestrebt

Belgrad/Berlin (taz) – Selbst das einzelgängerische Albanien nimmt an der Außenministerkonferenz der Balkanstaaten teil, auf die sich die sechs verfeindeten Brüder zum ersten Mal seit dem Ende des zweiten Weltkriegs einigen konnten – trotz der fortbestehenden regionalen Streitigkeiten. Ob es den Außenministern von Albanien, Bulgarien, Jugoslawien, Rumänien, Griechenland und der Türkei allerdings auf ihrem Treffen von Mittwoch bis Freitag gelingen wird, den traditionell unruhigen Balkan zu befrieden, hängt nicht nur von ihrer neuen Kompromißbereitschaft ab. Denn quer durch die buntscheckige Vielvölkerecke verlaufen die Grenzlinien der Supermächte.

Entsprechend zusammengewürfelt erscheint die Diskussionsrunde: Bulgarien und Rumänien sind Mitglieder im Warschauer Pakt und in der sozialistischen Wirtschaftsgemeinschaft; Griechenland ist in der Europäischen Gemeinschaft und in der NATO, die Türkei hingegen nur in der NATO; dazu kommen das blockfreie Jugoslawien und Albanien, das zum ersten Mal auf einer internationalen Konferenz außerhalb der UNO vertreten ist.

Bislang sind solche Gipfeltreffen allerdings nicht nur an der Haltung der letzten „Bastion des Marxismus-Leninismus“ gescheitert. Jedes Land boykottierte auf seine Weise die Zusammenarbeit mit den Nachbarn. Seit auf der Konferenz in Jalta von den Siegermächten des Zweiten Weltkriegs die heutigen Grenzen Europas festgelegt wurden, bestimmten Mißtrauen und Spannungen das Verhältnis der Balkan-Staaten. Die NATO-Partner Griechenland und Türkei fanden bis heute weder im Zypern-Konflikt noch in der Frage, wie die Grenze durch die Ägäis verlaufen soll, eine Lösung. Die beiden blockfreien Länder Albanien und Jugoslawien haben auch wegen ihrer ideologischen Differenzen nie eine gemeinsame Sprache gefunden. Nur zwischen Bulgarien und Rumänien herrscht relative Einmütigkeit.

Belastend für das Verhältnis der ungleichen Brüder ist vor allem der Umgang mit ihren nationalen Minderheiten. Die albanische Regierung wirft den Jugoslawen vor, die Rechte der Albaner in Südserbiens autonomer Provinz Kosovo mit den Füßen zu treten. In Sofia und Athen brüskiert man derweil Vertreter der jugoslawischen Minderheit mit der These, daß es im bulgarischen Pirin-Gebiet und in Nordgriechenland keine mazedonischen Minderheiten mehr gäbe. Die türkische Regierung, die den türkischen Armeniern und Kurden alle Minderheitenrechte abspricht, klagt hingegen die Bulgarier an, die türkischstämmigen Volksgruppen zwangszubulgarisieren.

Die Nationale Frage ist im Balkan ein noch immer unbewältigtes Erbe, da die Probleme mit den nationalen Minderheiten schnell zu territorialen Konflikten ausufern können.

Daß es trotz der bestehenden Gegensätze gelang, die sechs Außenminister an den Konferenztisch zu bekommen, ist das Verdienst von Raif Dizarevic, der bis vor wenigen Wochen Jugoslawiens Außenminister war. Immer wieder betonte er, daß das Treffen nur der „allgemeinen Orientierung“ diente. Alle strittigen bilateralen Fragen, insbesondere die Probleme mit den jeweiligen Minderheiten, sollten unbedingt ausgeklammert bleiben. Deshalb stehen auf der Tagesordnung lediglich Themen wie Ausbau der Transportwege, Schaffung eines Energieverbundes und gemeinsame Anstrengungen zum Schutze der Umwelt. Auch soll über die Idee eines atomwaffenfreien Balkans – nur in den NATO-Staaten Griechenland und Türkei sind Atomwaffen stationiert – verhandelt werden. „Zusammenarbeit, wo es heute bereits reale Möglichkeiten gibt; Themenplanung für Gespräche, die heute noch nicht geführt werden können“, formulierte Dizarevic seine Konferenzphilosophie.

Schon im Vorfeld des Treffens konnten einige Konflikte entschärft worden: Die Ministerpräsidenten Özal und Papandreou trafen sich in der Schweiz, um die Konfliktwogen zu glätten. Außerdem hob die jugoslawische Regierung den seit 1940 bestehenden Kriegszustand mit Albanien auf und unterzeichnete ein schon mehrere Jahre auf Eis liegendes Kulturabkommen mit dem kleinen Nachbarstaat. Der Entspannungsprozeß zwischen den Großmächten, „Glasnost“ und „Perestroika“, könnte weitere Kompromisse und Reformen begünstigen. Allen an der Konferenz teilnehmenden Staaten ist jedenfalls daran gelegen, den Anschluß an die wirtschaftliche Entwicklung Westeuropas zu finden. „Wir sind in Gefahr, ohne mehr Zusammenarbeit hier noch weiter zurückzufallen und die Chance zur vollen Nutzung der wirtschaftlichen Möglichkeiten unserer Region zu verpassen“, erläuterte ein jugoslawischer Diplomat. Roland Hofwiler / mf

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