: Mannheim? Da schweigt Landesvater Späth lieber
■ In der zweitgrößten Stadt Baden–Württembergs stören Arbeitslosigkeit, Firmenpleiten, leere Stadtkassen und 1 Mrd Mark Schulden das von Späth immer wieder für sein „Musterländle“ propagierte Bild von Wohlstand und arbeitsamer Zufriedenheit / Dennoch ist die Hochburg der Sozialdemokraten ein heiß umkämpfter Wahlkreis
„BBC ruft Späth auf den Plan“, titelte der Mannheimer Morgen schon kurz nach Bekanntwerden geplanter Massenentlassungen bei dem Unternehmen. Knapp einen Monat vor der Landtagswahl in Baden–Württemberg hatte der Konzern ohne Rücksicht auf Wahlkämpfer und Arbeitnehmer die Abschaffung von mindestens 2.000 Arbeitsplätzen im Mannheimer Raum verkündet. So schnell reagierte Landesvater Lothar Späth (CDU) noch nie für das SPD–regierte Mannheim. Gemeinsam mit Oberbürgermeister Gerhard Widder(SPD) und dem neuen BBC–Boß, Eberhard von Koerber, kungelte er ein „Sofortprogramm“ mit einem Gesamtvolumen von 60 Millionen Mark für die geplagte Stadt aus. Die Fachhochschule soll ausgebaut werden und in der Nordbadischen Metropole will man zumindest Teile der zahlreich vorhandenen Industriebrache aufbereiten und für Neuansiedlungen erschließen. Ein Internationales Institut für Wärmetechnik gehört ebenfalls zu den großspurig angepriesenen Maßnahmen. Wieviele Arbeitsplätze dadurch nun neu geschaffen würden, wurde vorsorglich nicht mitgeteilt. Den Herren ging es ums Verkünden. Wahlkampf in Mannheim. Gewerkschafter und Betriebsräte waren erst gar nicht zu den Krisensitzungen eingeladen worden. Auf die entsprechende Kritik aus dem Arbeitnehmerlager reagierte nicht etwa der nordbadische Malocher Widder, sonder der schwäbische High–Tech– Fan aus Stuttgart. Das „Dapferle“, so heißt derjenige, der überall und emsig zu finden ist, traf sich am Mittwoch mit den Betriebsräten von BBC. Im nördlichsten Zipfel von Baden–Württemberg kracht es derzeit auf dem Arbeitsmarkt am laufenden Band. Eine Firmenpleite jagt die nächste. Mittlerweile kletterte die Arbeitslosenzahl im Mannheimer Stadtgebiet auf rund 10 Prozent, rund doppelt soviel wie im Landesdurchschnitt. Wenn es keine Ersatzarbeitsplätze für die in Bälde gefeuerten BBCisten gibt, wird die Arbeitslosenquote noch einmal drastisch ansteigen. Kein Ruhmesblatt also für die amtierende Landesregierung und wen wunderts, daß Lothar Späth am liebsten über Mannheim schweigt. In keiner Stadt des Musterländles gibt es soviel Arbeitslose und SozialhilfeempfängerInnen. Seit Januar schleppt die Kommune mehr als eine Milliarde Mark Schulden mit sich herum. 10 Prozent, satte 100 Millionen Mark, muß die Gemeinde jährlich nur für Zinsen aufbringen. Weil im Stadtsäckel das Geld für zahlreiche Lernmittel fehlt, sammelt mancher Lehrer schon Fünf–Mark– Stücke bei den Schülern ein. Damit will man wenigstens das Notwendigste für den Unterricht kaufen. Das alles schreckte die Mehrheit der Gemeinderäte jedoch nicht ab, sich noch den Luxus eines bundesligataulichen Stadions für ihren abstiegsbedrohten Fußballclub Waldhof Mannheim zu genehmigen. Was dieses Stadion letztendlich den Steuerzahler kostet, spielt dabei genausowenig eine Rolle wie die Frage nach der genauen Zahl neuer Arbeitsplätze durch die „Sofortmaßnahmen“ von Lothar Späth und Gerhard Widder. Beide Themen nämlich bedrängten die traditionellen Parteien bei ihrem Wahlkampfgeplänkel in der zweitgrößten Stadt des Landes. Mehr als Geplänkel ist das, was man derzeit als Wahlkampf erfährt, ohnehin nicht. Selbst Veranstaltungen mit dem Minister für Umwelt und Reaktorsicherheit, Klaus Töpfer (CDU), sind schlecht besucht, obwohl der doch einiges zu den Hanauer Skandalfirmen erzählen könnte. Die Mannheimer haben andere Sorgen. Sie treibt vorwiegend die mißliche Lage auf dem Arbeitsmarkt um. In Kreisen der Mannheimer IG Metall befürchtet man für die Zukunft selbst beim Daimler–Benz–Werk Entlassungen oder zumindest den schleichenden Abbau von Arbeitsplätzen. Und niemand kennt das Geheimrezept für Vollbeschäftigung. Der DGB Mannheim propagierte jüngst einen „Zweckverband Arbeit“, in dem die Kommune, der DGB, die Handwerkskammer und einige andere sich zusammenfinden sollen. Ziel dieses Zweckverbandes soll vor allem das Anzapfen von Bundes–und Landesmitteln für „strukturelle Maßnahmen aller Art in Mannheim“ sein. Wem die augenblickliche Krisenstimmung am kommenden Sonntag nützt, ist schwer vorherzusagen. Bislang jedenfalls ist Mannheim eine Hochburg der Sozialdemokraten. Drei Landtagsabgeordnete schickten die Sozis, einen die Christdemokraten nach Stuttgart ins Landesparlament. Bei den Direktmandaten bei Bundestagswahlen konnte sich die SPD in Baden–Württemberg nur in Mannheim einmal durchsetzen. Daß auch der Bäckermeister der CDU, Gerhard Bloemecke, in den Landtag bei der letzten Wahl einzog, lag an 551 Stimmen, die dieser mehr als sein SPD–Kontrahent erzielte. Vor allem um diesen Wahlkreis wird heftig gekämpft. Die Mannheimer Grünen erzielten bei der letzten Bundestagswahl erstaunliche 9,9 Prozent (16.405 Stimmen), bei der letzten Landtagswahl waren es lediglich 8.753 (6,6 Prozent) Stimmen. Selbst wenn sie ihr Bundestagsergebnis halten würden, reicht es nicht für einen Grünen Abgeordneten aus Mannheim. Das Gleiche gilt auch für die FDP. Felix Kurz
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