Zypern entdeckt ein Feindbild neu

■ Judenhaß in einem Land ohne Juden?

Nikosia (taz) - Die Juden haben nichts gelernt. Schickt sie wieder in die Gasöfen!“ Ungestört prankt dieses Graffiti in der Altstadt von Nikosia. Zyperns Juden wurden im Jahre 116 nach Christus durch die Römer vertrieben oder ermordet, ihre Zahl auf der Insel hat seither nie mehr als einige Dutzend überstiegen. Judenhaß in einem Lande ohne Juden? „Die Juden in Israel benehmen sich wie die Teufel“, erklärt ungefragt ein Taxifahrer. Nicht anders seien sie damals in Deutschland gewesen, so seine Meinung . Deswegen hätten die Deutschen sie auch umgebracht. Selten haben die Zyprioten in den letzten Jahren ein Thema leidenschaftlicher diskutiert als den Palästinenseraufstand und die Reaktion Israels darauf. Selten gab es ähnlich abstruse, von keiner Sachkenntnis getrübte Meinungen - nie zuvor gab es Rassismus. Freilich, Israel war auf Zypern noch nie sonderlich beliebt. Die Zyperngriechen fühlen sich den Palästinensern verbunden. Sind nicht auch sie mit Gewalt vertrieben worden, genauso wie zehntausende Zyperngriechen seit der türkischen Invasion der Insel vor knapp 14 Jahre? Die politischen Beziehungen zu den arabischen Staaten sind traditionell gut. Die Republik unterstützt seit langem die Forderungen der PLO, die in Nikosia auch ein Büro unterhält. Doch die jüngsten Ereignisse in Israel - und auch auf der Insel selbst - haben aus der Distanz zum jüdischen Nachbarstaat scharfe Ablehnung, ja Haß gemacht. Die täglichen Bilder von prügelnden israelischen Soldaten im Fernsehen lösten Entsetzen, Unverständnis und Wut aus. Eine Welle der Empörung ging durch das Land, als im Februar eine Unterwassermine die zypriotische Fähre „Sol Phryne“ beschädigte. Das Schiff sollte ausgewiesene Palästinenser zu einer symbolischen Fahrt in Richtung Israel befördern. Der israelische Geheimdienst Mossad, so die nicht unbegründete Vermutung, habe nun auch im eigenen Land zugeschlagen. Nur wenig später forderte die sozialistisch–nationalistische EDEK–Partei die Schließung der israelischen Botschaft in Nikosia und die Ausweisung aller israelischen Agenten - womit ja nur alle Juden gemeint sein können, tragen doch Mossad–Mitarbeiter ihre Dienstausweise üblicherweise nicht offen auf der Brust. Bei Demonstrationen gegen das israelische Vorgehen feuerte die Polizeikürzlich Warnschüsse in die Luft, um die Demonstramten an der Erstürmung der israelischen Botschaft zu hindern. Doch es sind vor allem die ewig Zukurzgekommenen, die nationalistischen Heilsanbeter und für ausgestorben erklärten Türkenhasser, die die Juden als Hauptfeind entdeckt haben, die an allem schuld sind: an der Besetzung des Nordteils Zyperns, an der Wahl des liberalen Präsidenten Vassiliou im Februar und ganz besonders an der persönlichen Misere. Klaus Hillenbrand