: Nicaragua: Quarantäne für Hungerstreikende
■ 37 Bauarbeiter hungern seit einer Woche und werden politisch isoliert / Regierung spricht von „Pseudoarbeiterführern“ / Linke und rechte Gewerkschaften unterstützen den Streik von Tausenden von Bauarbeitern / Sandinistische Gewerkschaften: Lohnkämpfe unmoralisch
Aus Managua Ralf Leonhard
Der Hungerstreik oppositioneller Gewerkschafter in Managua wird zu einer Probe der Glaubwürdigkeit der Revolutionsregierung. Nach einer Woche Hungerstreik von 37 Bauarbeitern und 63 Tagen Arbeitsniederlegung von einigen tausend Kollegen gleicht das Lokal der sozialistischen CGT–i einem Gefängnis. Seit Freitag ist das Gebäude von Polizisten abgeriegelt. Alle Demonstranten werden seither von einer Spezialeinheit des Innenministeriums, den „Schwarzkappen“, abgedrängt, über 20 wurden verhaftet. „Keiner darf mehr hinein“, klagte Antonio Jarquin, der Generalsekretär der linkschristlichen CTN–a, die am Hungerstreik beteiligt ist, „und die Wasserversorgung ist so spärlich, daß wir eine Epidemie befürchten.“ Das Telefon ist seit Freitag lahmgelegt, und nur Ärzten und den Gewerkschaftsführern wird von den uniformierten Bewachern Zutritt ge währt. Das Arbeitsministerium hat letzte Woche jede Kommunikation mit den streikenden Gewerkschaftern abgebrochen. Daß der drastische Lohnkampf, der längst zu einer schweren politischen Kraftprobe geworden ist, der Regierung Kopfzerbrechen bereitet, wurde deutlich, als sämtliche sandinistischen Politiker, die anläßlich der Maifeierlichkeiten das Wort ergriffen, die „Pseudoarbeiterführer“ scharf attackierten. „Statt sich der Macht der Arbeiter anzuschließen, haben diese Gruppen die Macht des Imperialismus und der CIA gewählt“, wetterte Präsident Ortega in Managua. Und Innenminister Tomas Borge, der in seiner Geburtsstadt Matagalpa sprach, fand es „unerhört, daß jetzt die Bourgeoisie mit der Arbeiterklasse Händchen hält“. Die sandinistischen Gewerkschafter betrachten jeden Lohnkampf als unmoralisch, solange Aggressionskrieg und US–Embargo die Wirtschaft schädigen und gerechte Löhne für alle unmöglich machen. Daß der Streik von der Rechten politisch vereinnahmt wird, steht außer Zweifel. La Prensa, das Zentralorgan des Antisandinis mus, berichtet täglich ausführlich in Wort und Bild. Funktionäre der US–Botschaft füllen die Streikkasse auf, und beim Mai–Aufmarsch der Oppositionsgewerkschaften erschienen Leute wie Miriam Arguello, die dem reaktionärsten Flügel der Konservativen Partei vorsteht. Gleichzeitig hat sich aber die ultralinke MAP–ML mit den Streikenden solidarisiert. Isidro Tellez, einer der beiden Parlamentsabgeordneten der Partei, brüllte während des Polizeieinsatzes am Freitag: „Mit den Contras verhandelt ihr und überlaßt ihnen ein Sechstel des Territoriums. Aber mit den Arbeitern, die schließlich mitgeholfen haben, euch an die Macht zu bringen, wollt ihr nicht reden.“ Nach der Währungsreform haben die meisten Arbeiter schwere Kaufkrafteinbußen hinnehmen müssen. Während die Preise seither wieder explodiert sind, bleiben die Löhne eingefroren. Der sogenannte Permanente Arbeiterkongreß (CPT) fordert 300 Prozent Lohnerhöhung, Aufhebung des restriktiven Normenkatalogs vom vergangenen Oktober und Wiedereinstellung von rund 1.700 wegen Streiks entlassener Arbeiter.
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