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Nukem und die Plumbat–Affäre

■ 20 Jahre nach der mysteriösen Umleitung von 200 Tonnen Natur–Uran nach Israel werden jetzt neue Informationen freigegeben: Danach wußte die Bundesregierung von der Operation des Geheimdienstes Mossad / Stillschweigen mit Rücksicht auf Israel / Nukem schon damals im Geschäft

Von Thomas Scheuer

Die eben erst aus Hamburg eingelaufene „Scheersberg“ hatte es mächtig eilig: Kaum eine Stunde lag der Frachter an einem Novembertag des Jahres 1968 im Hafen von Antwerpen, da wurde dem Schiffsregister ein Eigentümerwechsel gemeldet. Bald darauf dampfte der Kahn, jetzt unter liberianischer Flagge, mit Kurs auf Genua schon wieder davon. Doch in Italien kam das Schiff nie an. Als der Pott Monate später wieder einen Hafen der EG anlief, war die Crew ausgetauscht; die Logbuch– Seiten über die Zeit nach Antwerpen waren ebenso spurlos verschwunden wie die damalige Fracht: 200 Tonnen Natur–Uran. Ein gutes Jahr später, um den Jahreswechsel 1969/70, trafen in Washington und Brüssel mehrmals hohe Beamte der U.S. Atomic Energy Commission (AEC) mit Brüsseler Euratom–Funktionären zusammen. Die Informationen, die die Amerikaner von ihren EG–Kollegen unter dem Siegel strengster Vertraulichkeit erhielten, deckten sich, so notierte der stellvertretende AEC–General manager Myron B. Kratzer anschließend in einem geheimen Memorandum am 27. Januar 1970, im Wesentlichen mit den eigenen Geheimdienst–Erkenntnissen: Die 200 Tonnen Natur–Uran waren nach Israel geschmuggelt worden, zum Einsatz im streng abgeschirmten Dimona–Reaktor. Das Ausbleiben des Frachters in Genua hatte bei der Euratom–Sicherheitskontrolle in Luxemburg Alarm ausgelöst. Bei der Aktion, die später als „Plumbat–Affäre“ (zur Tarnung waren die Uran–Fässer mit der Aufschrift „Plumbat“, zu deutsch: Bleisalz, gekennzeichnet) Eingang in die Legendenbildung um den israelischen Geheimdienst Mossad fand, war zum ersten Mal „under safeguards“ stehendes Uran im Tonnenbreich aus dem Verantwortungsbereich von Euratom abgestaubt worden. Neue Enthüllungen 20 Jahre nach der Operation wurden jetzt in Washington einige interne Regierungs–Dokumente aus jener Zeit freigegeben, die bemerkenswerte Details offenbaren: So müssen die Bonner Regierungsstellen seinerzeit viel früher als bisher angenommen über die Hintergründe und Details des Coups informiert gewesen sein, hielten aber, offenbar nicht zuletzt auf israelische Intervention hin, dicht. Außerdem finden sich Hinweise auf mindestens einen weiteren Schmuggel–Versuch. Schon damals am Geschäft beteiligt: Nukem Hanau! Die Uran–Ladung der „Scheersberg“ stammte ursprünglich aus dem damaligen Belgisch–Kongo und war vom belgischen Bergbaukonzern „So ciete Generale Miniere“ an die deutsche Firma Asmara–Chemie– GmbH und von dieser an die italienische Chemiefirma „Colori ei Affini“ weiterverkauft worden. Die Italiener brauchten das Uran angeblich für nicht–nukleare Prozesse in einem Petrochemie–Werk in Marokko. Die Asmara–Chemie–GmbH gehörte einer jüdischen Familie, ältere Leute, welche sich, so das US–Memorandum, der Bedeutung des heiklen Uran–Transfers wohl nicht bewußt gewesen waren. Daher vermuteten die Fahnder, sie seien womöglich nur als Strohmänner benutzt werden. Den Hafen von Genua erreich ten die 200 Tonnen jedenfalls nie. Das fiel irgendwann auch den Buchhaltern der Euratom–Sicherheitskontrolle in Luxemburg auf, samt des sonderlichen Umstandes, daß der italienische Käufer den Verlust der - bereits bezahlten - Ware weder der Polizei noch seiner Versicherung gemeldet hatte. Der Fall wird von Euratom– Funktionären gerne als Beispiel für das Funktionieren ihres Überwachungssystems angeführt. „Das haben wir damals entdeckt“, erklärte der heutige Euratom–Safeguards–Chef Wilhelm Gmelin kürzlich stolz. Dabei veranschaulicht die Affäre gerade die begrenzten Möglichkeiten von Euratom, solche illegale Uran–Schiebereien zu verhindern. Die Euro– Kontrollettis können lediglich durch Abgleich der Ausgangs– und Eingangs–Meldungen innerhalb der EG feststellen, wenn Uran auf dem Transport abhanden gekommen ist - hinterher. Denn im Gegensatz zu den Atom–Anlagen sind sie während des Transfers von Spaltmaterial nicht präsent. Aufgeklärt und publik wurde die Plumbat–Affäre erst 1977. Doch schon 1969 hatte EURATOM „grundsätzlich keinen Zweifel, daß das Material an Israel geliefert“ worden war. Dies notierte AEC–Mann Myron B. Kratzer seinerzeit nach einem Gespräch mit dem EG–Beamten Schlieder. Und auch Bonn muß Bescheid gewußt haben. Wie aus Kratzers Memo weiter hervor geht, war ein ausländischer Diplomat die Bonner Regierung (Bundeskanzler: Willy Brandt) mit der Bitte angegangen, die EURATOM–Nachforschungen in dieser Sache nicht zu weit zu treiben. Nach Ansicht Schlieders habe es sich bei dem Diplomaten um den israelischen Botschafter gehandelt. Euratom, so klärten die Eurokraten ihre US–Kollegen auf, sei zwar zuständig für die Aufdeckung des Transfers gewesen, für die Strafverfolgung der Täter sei jedoch allein die nationale Regierung verantwortlich. Doch Bonn hielt still. „Politisch wäre es äußerst heikel für Deutschland, offiziell gegen Israel vorzugehen,“ teilte Euratom seine diesbezügliche Einschätzung der AEC mit. Und: Die Schlüssel–Figuren des Deals seien Deutsche. (Laut US– Geheimdienstgerüchten könnte gar Brandts Vorgänger Kurt Georg Kiesinger die Tarnung des Transfers gebilligt haben.) Angesichts der damals äußerst brenzligen Situation im Nahen Osten befürchteten Bonns Diplomaten wohl schwere internationale Kalamitäten, wenn bekannt würde, daß die bomben–verdächtigen Dimona–Labors unter deutscher Beteiligung mit Uran versorgt worden waren: Die Affäre könnte, so die konkrete Furcht, die Sowjetunion zur Unterstützung der arabischen Staaten bei deren Bemühen um Atomwaffen veranlassen. Zweiter Versuch verhindert Die beteiligte Asmara–Chemie GmbH wird in US–Dokumenten aus jener Zeit als Geschäftspartnerin der Hanauer Firma Nukem mit guter Reputation bezeichnet - schließlich hatte sie ein Jahr zuvor schon mal als NATO–Vertragspartner fungiert. Im Sommer 1969 verkaufte Nukem 232 Kilogramm Natur–Uran an die Asmara–Chemie–GmbH. Die folgenden Ereignisse im US–Memorandum lesen sich wie ein Krimi: Kurz nach der Entdeckung dieses Handels durch Euratom sei „Druck, einschließlich Haftandrohung, was nicht ganz legal war, auf den Eigentümer der Firma ausgeübt worden. Der Eigentümer wurde äußerst erregt und besorgt und versprach die Rückholung des Materials innerhalb von drei Tagen.“ Nach Überzeugung Euratoms hatte das Material bereits das Land verlassen, wurde aber tatsächlich wieder zurückgebracht. Irritationen löste bei den Experten die geringe Menge von 232 kg Natur–Uran aus, die angesichts des kurz zuvor erfolgreichen Schmuggels von 200 Tonnen wenig Sinn machte. Zeitweise wurde in US–Kreisen der Verdacht diskutiert, es könne sich in Wahrheit nicht um Natur–Uran, sondern um einen getarnten Verschub von hochangereichertem waffenfähigem Uran gehandelt haben, über das die USA ein Quasi–Monopol besitzen. In den befaßten US–Behörden setzte sich jedoch offenbar die Vermutung durch, daß Asmara ganz einfach den Auftrag hatte, für seinen „Endabnehmer“ soviel Natur– Uran als möglich auf dem Markt zu raffen. Dem Lieferanten Nukem hatte die Asmara bezüglich der notwendigen Lizenzen mitgeteilt, man habe eine Export–Genehmigugng; eine Umgangs–Genehmigung für das Uran sei nicht nötig, da es ja umgehend ausgeführt werde, angeblich nach - Argentinien. Wieder eine Finte?

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