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START–Schwierigkeiten beim Moskauer Gipfel

■ Die meisten Stationen im Abrüstungsfahrplan sind noch in weiter Ferne / Allein das INF–Abkommen ist so gut wie unter Dach und Fach / Bei der Reduzierung der strategischen und der Beseitigung der chemischen Waffen treten die Verhandlungen bisher auf der Stelle

Aus Genf Andreas Zumach

Anders als beim letzten Moskau– Besuch eines US–Präsidenten vor vierzehn Jahren wird es bei dem am Sonntag beginnenden Gipfel Gorbatschow–Reagan kein wesentliches Rüstungskontrollergebnis geben. Im Sommer 1974 hatten Nixon und Breschnew immerhin den Raktenabwehrvertrag (ABM) unterzeichnet, außerdem ein Zusatzprotokoll zum 72er–Abkommen über Höchstzahlen bei Interkontinentalraketen (START I) sowie die Vereinbarung zur Begrenzung unterirdischer Atomtests. An Meinungsverschiedenheiten über das Meßverfahren scheiterte bis heute die Ratifizierung dieser Vereinbarung. Für den fernsehwirksamen Austausch von Ratifizierungsurkunden zwischen Reagan und Gorbatschow bleibt jetzt nur noch das bereits im Dezember 87 in Washington unterschriebene Abkommen über landgestützte Mittelstreckenraketen (INF) - vorausgesetzt, der US–Senat stimmt ihm am Samstag noch in letzter Minute zu. Alle anderen Stationen des beim Washingtoner Gipfel verkündeten Abrüstungsfahrplans sind in weite Ferne gerückt. Ein Abkommen bei den Genfer Verhandlungen über die weltweite Beseitigung chemischer Waffen ist nach Aufnahme der US–Binärwaffenproduktion heute viel unwahr scheinlicher als noch im Sommer 87. Der Einigung auf ein Mandat für die Wiener Verhandlungen über konventionelle Rüstung und Streitkräfte stehen nach wie vor sehr unterschiedliche Zählkriterien sowie die Weigerung der NATO zur Berücksichtigung von nuklearer wie konventionell einsetzbarer Waffensysteme (dual capable) entgegen. Wie vor dem Washingtoner Gipfel gibt es Gerüchte über einen neuen Vorschlag der UdSSR oder gar den einseitigen Abzug von bis zu 100.000 Soldaten aus Osteuropa . Ein solcher Schritt, der im Dezember auch am Widerspruch der Militärs in der DDR und der CSSR scheiterte, hätte aber zumindest den völligen Abschluß des INF– Prozesses zur Voraussetzung, um nicht als zusätzlicher Preis Moskaus verstanden zu werden. Zur Aufnahme von Verhandlungen über nukleare Kurzstreckenwaffen, die sie nach Kräften „modernisiert“, ist die NATO erst nach „erfolgter Abrüstung im konventionellen wie chemischen Bereich bereit“. Weit größer, als der vor allem innenpolitisch bedingte Zweckoptimismus beider Großmachtführungen es derzeit darstellt, sind die Schwierigkeiten bei den Verhandlungen über die 50prozentige Reduzierung der strategi schen Arsenale (START). Knapp 1.200 Klammern in dem 300 Seiten starken gemeinsamen Vertragstext markieren die Differenzen. Wesentlich sind sieben Problemkreise. Sieben Hürden Untergrenzen: Einigung besteht über die Reduzierung der Trägerwaffen auf jeweils 1.600 (bisher: UdSSR 2.511, USA 1.957), mit nicht mehr als 6.000 Sprengköpfen (bisher: UdSSR 11.944, USA 13.973). Doch schon die Frage, wie diese 6.000 Sprengköpfe auf landstationierte Raketen, Bombenflugzeuge oder U–Boote bzw. Kriegsschiffe verteilt werden (“Waffenmix“), ist umstritten. Die USA verlangen entsprechend ihrer Überlegenheit auf diesem Feld und ihren künftigen Strategieplanungen eine höhere Anzahl auf Schiffen und Flugzeugen. Die UdSSR bevorzugt landstationierte Raketen, bei denen sie bisher zahlenmäßig im Vorteil ist. Umstritten ist der Einschluß seegestützter Cruise Missiles, über die beide Seiten verfügen, in einen START–Vertrag . Die UdSSR ist dafür. Die USA, die entsprechend ihrer maritimen Strategie die Stationierung mehrerer tausend CMs der Marke „Tomahawk“ auf U–Booten und Schiffen im Atlantik, Pazifik und Mittelmeer plant, lehnt dies ab und befürwortet eine Einigung über Obergrenzen und Verifikationsverfahren außerhalb des START– Vertrages. Bei den Flugzeuggestützten Cruise Missiles geht es um deren Zählweise und Reichweite. Die USA wollen pro Langstreckenbomber sechs CMs zulassen, was eine genaue Zählung ermöglichen würde. Die UdSSR will sich hier nicht festlegen und nur die Bomber zählen, die je nach Ausstattung mit einer unterschiedlichen Zahl von CMs bestückt werden sollen. Die USA haben unter dem Namen „Joint tactical missile“ eine 1.500 Kilometer weitreichende CM entwickelt, die, abgeschossen über westlichem Territorium auch das Gebiet der Sowjetunion erreichen kann und damit von Moskau auch als strategische Bedrohung empfunden wird. Entsprechend wollen die USA nur CMs mit mehr als 1.500 Kilometer Reichweite in den START–Vertrag aufnehmen. Die UdSSR plädiert für eine Obergrenze von 600 Kilometern. Eine Kehrtwendung machte Washington vergangene Woche in der Frage beweglicher landgestützter Interkontinentalraketen. Bislang hatten die USA das völlige Verbot dieser auf Eisenbahnen oder Lastwagen transportierten Systeme verlangt. Nur die UdSSR besitzt bis heute mit ihren SS 24– und SS 25–Raketen einige dieser beweglichen Systeme. Jetzt aber vergab das Pentagon Aufträge zur Produktion von Eisenbahnwaggons für 50 mit je zehn Sprengköpfen bestückte MX–Raketen. Möglich scheint daher in Genf nun eine Einigung auf eine bestimmte Zahl mobiler Systeme. SDI bleibt das Problem Zum großen Teil ungeklärt sind die Verifikationsdetails eines START–Vertrages. Denn anders als bei der vollständigen Abschaffung der Kategorie landgestützter Mittelstreckensysteme durch den INF–Vertrag geht es hier nur um eine Reduzierung um 50 Prozent. Die Hälfte der Waffen, dazu Produktions– und Reparaturanlagen, Ersatzteillager sowie die Transportlogistik existieren nach Abschluß der vorgesehenen fünfjährigen Reduzierungsphase weiter. In Genf hat man sich gerade erst mühsam auf ein Auszeichnungssystem für die verbleibenden Waffen geeinigt, damit Doppelzählungen vermieden werden. Schließlich ist nach wie vor das Verhältnis von START–Vertrag zum amerikanischen SDI–Programm sowie zum ABM–Vertrag ungeklärt. Washington plädiert für getrennte Behandlung und wünscht ein separates Protokoll zu „Weltraum und Verteidigungsfragen“. Damit soll die Forschung und Entwicklung von Weltraumsystemen ungestört weitergehen können und lediglich ein Datenaustausch vereinbart werden, der „die Entwicklung auf der jeweils anderen Seite voraussehbar macht“, wie dies ein Mitglied der US–Delegation gegenüber der taz formulierte. Die „Weitergabe sensitiver Technologie“ sei jedoch „nicht vorgesehen“. Moskau verlangt zwar nicht formal die Aufgabe des SDI–Programmes, besteht aber auf einer engen Kopplung mit dem START– Vertrag. Gewährleistet werden soll dies durch eine bindende Verpflichtung auf den ABM–Vertrag in seiner engen Auslegung für zehn Jahre im Rahmen des START–Vertrages. Damit sollen bestimmte SDI–Entwicklungen und vor allem Stationierungen von Systemen in diesem Zeitraum praktisch verunmöglicht werden. Die USA waren bisher nur zu sieben Jahren Frist bereit. Aufgrund der großen technologischen und finanziellen Probleme für das SDI–Programm werden sie möglicherweise in Moskau einen neuen Zeitplan unterbreiten. Aber auch dann reicht es beim Gipfel maximal zu einer Grundsatzvereinbarung über eine Struktur des START–Vertrages.

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