Öko-Skandal im Mülleimer der Nordhalbkugel

■ In Afrika erhebt sich Protest gegen die Nutzung des Kontinents als Schutthalde reicher Länder / Atom- und Industriemüllskandale am laufenden Band / Die Organisation für Afrikanische Einheit ver

Öko-Skandal im Mülleimer der Nordhalbkugel

In Afrika erhebt sich Protest gegen die Nutzung des

Kontinents als „Schutthalde reicher Länder“ / Atom- und

Industriemüllskandale am laufenden Band / Die Organisation für Afrikanische Einheit verurteilt das Müllabladen als

Verbrechen gegen Afrika

Aus Addis Abeba Knut Pedersen

Die Organisation für Afrikanische Einheit (OAU) hat das „Abladen von Atom- oder Industriemüll als Verbrechen gegen Afrika und die afrikanischen Völker“ verurteilt. Die am vergangenen Samstag in Addis Abeba zu Ende gegangene Gipfelkonferenz des panafrikanischen Zusammenschlusses hat von den betroffenen transnationalen Firmen die Reinigung der verseuchten Zonen „verlangt“ und die afrikanischen Staaten „aufgefordert“, die bereits unterzeichneten Verträge rückgängig zu machen. Den Mitgliedsländern der OAU wird weiterhin empfohlen, sich der Arbeitsgruppe anzuschließen, die im Rahmen der Vereinten Nationen eine internationale Konvention über die Kontrolle grenzüberschreitender Schadstofftransporte ausarbeiten soll.

Das westafrikanische Nigeria hatte den Stein ins Rollen gebracht und im Rahmen der OAU rasch eine breite Mehrheit gefunden. Bereits zuvor, am 21. Mai, hatte sich auch der Togo gegen die Absicht empört, „Afrika zum Mülleimer der reichen Länder zu machen“. Nigeria und Togo sind Nachbarländer des westafrianischen Küstenstaates Benin, in dem nach Pressemeldungen Atommüll gelagert werden sollte.

Den veröffentlichten Informationen zufolge hatte die beninische Regierung eine Lagerhalde nahe der 250 Kilometer im Landesinneren gelegenen Stadt Abomey dazu bestimmt, von Frankreich aus verschiffte Nuklearabfälle zu bergen. Offensichtlich betroffen von einem „Klima unguten Verdachts“ hat der Benin in Addis Abeba mit einer „Klarstellung“ reagiert. Vergangenen Freitag, während einer Sitzung hinter verschlossenen Türen, behauptete Benins Präsident Mathieu Kerekou, es handele sich um eine „sensationssüchtige Pressekampagne, welche unser revolutionäres Regime schwächen will“. Ohne die Pressemeldungen formell zu dementieren, versicherte das beninische Staatsoberhaupt seinen Kollegen, sein „Land unterstütze den OAU-Beschluß ohne jeden Vorbehalt und werde ihn peinlich genau respektieren“.

Damit dürfte wohl endgültig ein Projekt gestorben sein, das entgegen aller Beteuerungen Kerekous von seiner Regierung verfolgt worden war.

Die Verhandlungen zur Lagerung von Atommüll wurden am 18. Februar von Lamia Catche, der Vizepräsidentin der Firma Fefco-Gibraltar Ltd., in der beninischen Hauptstadt Cotonou aufgenommen. Eilfertige „technische Studien“ erlaubten bereits Wochen später, ein erstes Abkommen zu paraphieren und den Lagerort der Nuklearabfälle zu bestimmen. Lediglich angesichts vehementen Protestes im In- und Ausland hat die beninische Regierung schließlich einen Rückzieher gemacht.

Ist nach dem Beschluß der OAU die Gefahr der Müllschwemme in Afrika gebannt? Die Annahme wäre naiv angesichts bettelarmer Länder, die gegen Bezahlung im Zweifel auch ihre ökologische Zukunft verkaufen. Die von der OAU angenommene Resolution, die im übrigen keinerlei bindende Rechtskraft hat, spricht von „einer wachsenden Tendenz“. Tatsächlich hatte bereits 1980 eine amerikanische Firma versucht, für fünf Millionen Dollar eine Giftmüllhalde in Sierra Leone zu erwerben. Und bereits damals scheiterte das Projekt am massiven Einspruch der westafrikanischen Regionalmacht Nigeria, dessen Regierung eine Verseuchung des Golfs von Benin befürchtete.

Die Skandalwelle der vergangenen Wochen beweisen, daß sich die Versuche gehäuft haben, giftigen Müll dank „ungleicher Verträge“ oder ganz und gar heimlich in Afrika abzuladen.

Die Resolution der Organisation für Afrikanische Einheit war noch nicht offiziell angenommen, als am vergangenen Freitag abend ein neuer Skandalvertrag bekannt wurde: Die kongolesische Regierung hat ein Abkommen unterzeichnet, demzufolge eine Million Tonnen chemischer Abfallprodukte gegen Bezahlung von rund 50 Millionen DM gelagert werden sollen. Die im Kongo vorgesehene Lagerfrist sei noch Gegenstand andauernder Verhandlungen, obgleich die erste Schiffsladung bereits in drei Monaten vor Ort eintreffen wird.

Ein ähnliches Lagerabkommen wird im derzeit mit dem dünnbesiedelten Sahelstaat Niger verhandelt. Auf die Problematik des „Müllkontinents Afrika“ aufmerksam gemacht hatte zuerst ein gigantisches Lagerprojekt im südlich des Senegal gelegenen Guinea-Bissau. Am 9. Februar ist in diesem ärmsten der armen Länder der bislang bedeutendste Müllager -Vertrag unterzeichnet worden, der je mit einem „Dritte -Welt„-Land abgeschlossen wurde: Im Laufe der kommenden fünf Jahre sollten im Norden des Landes, nahe der senegalesischen Grenze, insgesamt 150 Millionen Tonnen Giftmüll vergraben werden. Die finanzielle Gegenleistung beläuft sich auf 40 Dollar die Tonne, d.h. unterm Strich 600 Millionen Dollar, oder anschaulicher: Dreimal das Bruttosozialprodukt Guinea -Bissaus, 25 mal seine jährlichen Exporterlöse...

Auch hier haben eilfertige Studien zunächst dem Müll den Weg gebahnt. Europäische Experten in Bissau, die vom „Jahrhundertvertrag“ Wind bekommen hatten, zogen dann freilich die Notbremse der öffentlichen Meinung. Nun lagert statt der Pharmaprodukte und der Abfallstoffe aus der Gerbindustrie zunächst einmal das Dossier - im Schreibtisch der französischen Kontrollfirma Veritas. Sie soll für die Regierung Guinea-Bissaus die Sicherheitsauflagen des unterzeichneten Vertrags überprüfen.

Bis zum Expertenurteil kann man sich aber bereits soviel fragen: Wenn die Sicherheitsauflagen für die Lagerung von Atom- oder Industriemüll in Afrika ebenso strikt befolgt würden, wie das - bereits mit Schwierigkeiten - in Industrieländern der Fall ist, warum reichert man dann den gefährlichen Dreck mit hohen Frachtkosten an, nur um ihn in tropische Breiten zu verschiffen? Schweigegelder verhindern, daß sich abgebrannte und skrupellose Regierungen in Afrika diese einfache Frage stellen.