Zwei Stunden Brecht ohne Brecht

■ Theaterwerkstatt , ZDF, Dienstag, 22.40 Uhr

Zwei Stunden Brecht ohne Brecht

„Theaterwerkstatt“, ZDF, Dienstag, 22.40 Uhr

Eine Art, einen Text zu lesen, ersetzt jede Interpretation. Eine Art, die Welt anzuschauen, ersetzt jede Weltanschauung. Das glaubte Bertolt Brecht (1898-1956) nicht etwa in den frühen 20er Jahren, „bevor er Marxist wurde“, sondern im Exil, in der Emigration, als er Der gute Mensch von Sezuan schrieb. Ein umfassendes Bild über Brecht kann sich niemand machen; mehrere Archive halten entscheidendes Material unter Verschluß. Ein klares, eindimensionales Bild wird sich auch mit allem vorhandenen Material nicht herstellen lassen: B.B. wird widersprüchlich, sperrig und manchmal rätselhaft bleiben wie die Hauptfigur seines frühen Dramas „Baal“. „Die Lebenskunst Baals ist asozial - aber in einer asozialen Gesellschaft“, schrieb Brecht Jahre später über seinen frühen Bühnenkraftkerl und sprach (unabsichtlich?) auch über sich selbst.

Ein gewisser Dietmar N.Schmidt hat im Auftrag des ZDF einen zweistündigen Film über die frühen Dramen des B.B. gedreht. Er hat es sich leicht gemacht. Er hat interpretiert, oft auf donnernd dämliche Art, er liefert Weltanschauung, weil seinem Verstand die Welt sonst nicht handlich genug ist: „Das Selbstporträt eines frühreifen Genies“ sagt Schmidt z.B., nachdem ein Schauspieler „Vom armen B.B.“ aufgesagt hat, das Gedicht des 24jährigen, gerade erst in Berlin angekommenen Brecht. Warum sich Dietmar Schmidt für diesen Schauspieler entschieden hat, bleibt sein Geheimnis: Der Mann kann weder singen noch Brechts Lieder zu schauspielerischer Präsenz bringen, er gestaltet die Texte nicht, sondern plappert sie, einen kuhäugigen Eindruck hinterlassend, herunter. Dazu ist er ein miserabler Gitarrist. Daß Dietmar Schmidt ihn abwechselnd vor dem Geburtshaus B.B.s in Augsburg, unter beschaulichen Bäumen etc. aufbaute, zog die inkompetente Vorstellung noch entschieden ins Lächerliche.

Mit den Ausschnitten aus drei Inszenierungen früher Brechtdramen ist Schmidt nicht klüger umgegangen: Drehgenehmigung einholen, Kameras aufbauen, bißchen TV-Licht drauf - dann laufen lassen, minutenlang. Daß sich Theater, als Medium weitgehender Authentizität, als Live-Ereignis, so nicht übertragen läßt, hat sich noch nicht bis hinunter zu Schmidt herumgesprochen. Was ist mit den Regisseuren der drei Inszenierungen aus Berlin (DDR), Bochum (NRW) und Frankfurt (Main)? Was glauben sie, heute mit diesen etwa 60 Jahre alten Stücken erzählen zu können? Interpretieren sie? Geht es Ihnen um Weltanschauung oder um Theater? Nichts. Nicht einmal die Fragen wurden gestellt.

„Theater im demonstrativen Stil“ nennt Schmidt das schaurig -museale Kommentartheater vom „Berliner Ensemble“, wo Figuren nicht gespielt, sondern vorgeführt, „aufgezeigt“ werden. Den jungen, wilden, heftigen Baal spielt in Brechts früherem Theater der etwa 60jährige Ekkehard Schall, eine Besetzung von entschiedener unfreiwilliger Komik. Das ist Schmidt offenbar nicht aufgefallen. Baal muß glühen. Man muß glauben können, daß große Teile der bürgerlichen Gesellschaft diesem poetischen Kraftmeier wehrlos verfallen. Aber nicht mit dem (zumindest in dieser Rolle) plumpen, trägen, spielfaulen Ekkehard Schall!

Zu Bochum („Trommeln in der Nacht“) und Frankfurt („Mann ist Mann“) fiel Schmidt nichts Substantielleres ein, obwohl die drei Aufführungen zum Vergleich, zur Analyse geradezu herausfordern.

Das Beste an dieser zweistündigen Langweilerei waren einige Schauspieler (z.B. Peter Roggisch und Volker Mosebach aus Bochum) und die vielen bedenkenswerten Sätze des B.B.: „Im Himmel und in der Hölle ist Revolution, und Du gehst ins Bett“, wird dem Protagonisten in „Mann ist Mann“ vorgehalten. Er war zu lange im Krieg. Die Frau hat sich einen anderen gesucht. Er hat sie zurückgewonnen. Vor diesem Hintergrund war ihm sogar die Revolution egal. - Brechts eigene Beschreibung dieses Mannes: „Die Vision vom Fleischklotz, der - nur weil ihm der Mittelpunkt fehlt gewillt ist, jede Veränderung auszuhalten“ - auch so eine nicht gestellte Frage: Wie käme so einer zu einem Mittelpunkt, damit die Bereitschaft, alles auszuhalten, endlich schwinden würde? - „Alle Laster sind zu etwas gut / Nur der Mann nicht, der sie tut“, meint Baal. Und stark müsse man sein, behauptet er, denn „Genuß macht schwach“. - Und die Ehefrau des Protagonisten von „Mann ist Mann“ hat erfahren müssen, daß es „nicht leicht“ ist, „einen solchen Mann zu haben, der nicht nein sagen kann“.

Brecht, der selbst nicht wenig Baal war, hat das Neinsagen gelernt, indem er sich im Schnellkurs die Zügel des Marxismus anlegte. Dialektiker war er schon vorher. Der Philosoph Günther Anders erzählt, er habe Brecht nach dessen Konversion zum Marxismus zwei Texte gezeigt, einen von Hegel, einen von Marx. Er habe aber, um Brecht zu prüfen, die Autorennamen vertauscht. Tatsächlich, so Anders, habe Brecht angefangen, den (vermeintlichen!) Hegel als idealistisch und verwirrend zu schmähen und den von ihm für Marx gehaltenen Text von Hegel zu loben. Nachdem Anders das Mißverständnis aufgeklärt hatte, hat Bertolt Brecht nicht mehr gern mit ihm gesprochen. Eine Art, einen Text zu lesen, ersetzt jede Interpretation. Eine Art, die Welt anzuschauen, ersetzt jede Weltanschauung. Klaus Nothnagel e