piwik no script img

Menetekel der Vergänglichkeit

■ Wir lieben den Köter, weil er uns beim Kacken zuschauen läßt

Menetekel der Vergänglichkeit

Wir lieben den Köter, weil er uns beim Kacken zuschauen läßt

Wir lieben den Köter, weil sein Kot dem unseren so ähnlich ist. Er formt zu Haufen gekringelte Würste so wie wir. Weder in Kuhfladen, noch in Pferdeäpfeln oder Hühnerschiß können wir uns wiedererkennen, ganz zu schweigen von den Knollen der Schafe oder den Kötteln von Kaninchen und Ziege.

Unser eigener Kot ist dank der Bemühungen von Sanitär -Hygienikern und Klo-Technikern unsichtbar und geruchlos geworden. Man muß heute schon nach Klo-Modellen suchen, in denen die Wurst zunächst einmal liegen bleibt und vor dem Abspülen mit einem verstohlenen Blick auf Farbe, Konsistenz, Masse und Struktur geprüft werden kann.

Wir lieben den Köter, weil er uns beim Kacken zuschauen läßt.

Der Vorgang der Stuhlentleerung ist eines der wenigen Tabus in unserer Gesellschaft: Liebe, Essen und Körperpflege werden in all ihren Varianten unseren Sinnen zugänglich gemacht - während es so gut wie keine Darstellungen und Beschreibungen der Defäkation gibt. Marquis de Sade und mit ihm Pasolini sowie der auf dem Klo fotografierte Frank Zappa sind hervorragende Ausnahmen. Unsere Notdurft wird hinter Schloß und Riegel verrichtet, und es gilt als Ausdruck von Menschenverachtung, wenn in Gefängnissen und psychiatrischen Anstalten das Bedürfnis nach Intimität beim Kacken nicht berücksichtigt wird.

Neben der als Sympton zu verstehenden, in den Großstädten der westlichen Welt um sich greifenden Canophilie zeigt sich in unserer Sprache noch am deutlichsten etwas von der enormen Sprengkraft unserer Exkremente: Es sind insbesondere Momente unkontrollierbarer Wut und nackten Entsetzens, wenn wir „Scheiße“ schreien, und Gefühle tiefster Verachtung brechen sich Bahn, wenn wir jemanden mit „Arschloch“ titulieren.

Wir lieben den Hund, weil er unser tägliches Erlebnis, im Moment des Kackens nichts als eine Kreatur zu sein, wahrnehmen und zugleich veräußern hilft.

Der After ist eines der letzten Geheimnisse unseres Körpers, nur fühlbar und nicht sichtbar. Und es ist ein Moment äußerster Konzentration, Hingabe und Verletzlichkeit, wenn wir beim Stuhlgang das Innerste - eben noch warmer und geheimnisvoller Teil unserer Person - nach außen schaffen müssen, etwas Persönliches hergeben müssen. Es ist das grausige und erschütternde Erleben der Verwandlung von differenzierter Struktur in strukturlosen Mischmasch, der Verwandlung von etwas Lebendigem in Totes.

Natürlich wollen wir diesen Schauder nicht tagtäglich erleben, wer soll uns das verdenken? Aber ein Stück davon, unkenntlich gemacht und deswegen erträglicher, suchen wir begierig und fasziniert im Hund: Nichts ist wichtiger für den Hundebesitzer, als ihn im rechten Moment dieser Tätigkeit zuzuführen, nichts befriedigender als ihm, der genauso hilflos und unsportlich beim Kacken aussieht wie wir, dabei zuzuschauen, und nichts ist erhebender, als dieses Menetekel von Vergänglichkeit vor fremde Türen zu setzen.Frau Dr. med. Marianne Bosshard, Psychoanalytikerin

Aus: „Das Jahr des Hundes“, herausgegeben von Ernst Baumeister

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen