Das Elend des Redakteurs im Showbiz

■ Interview der Woche, 'Berliner Abendschau–

Das Elend

des Redakteurs im Showbiz

Interview der Woche, 'Berliner Abendschau‘

Macht Fernsehn glücklich? Enzensberger sagt ja. TV sei ein Nullmedium, dessen Inhalte niemand wirklich ernstnehme, und der Fernsehapparat fungiere als buddhistische Maschine, als ein Mittel, sich auf das Nichts zu konzentrieren, etwas, das man einschalte, um abzuschalten. Eine im Grunde harmlose Droge, take it easy, sagt er, das Volk ist schon nicht blöde.

Dieser fröhlichen Absage an die apokalyptischen Visionen einer geistigen Verheerung durch TV-Genuß würde ich beipflichten, wenn da nicht ein menschlich anrührendes Problem wäre: das Elend und Leiden der FernsehmacherInnen, die täglich dieses Nichts herzustellen haben.

Christine Kolmar ist eine von ihnen. Die 'Abendschau' -Redakteurin macht das „Interview der Woche“ mit dem neuen Justizsenator Ludwig Rehlinger, den niemand kennt und der deshalb seine Lebensgeschichte und seine politischen Absichten zehn Minuten lang ausbreitet. Eine entsetzlich öde Politkarriere - ein Verwalgungsmensch erzählt. Frau Kolmar mit den für TV-Frauen ihres Schlages tpyischen Zeichen, blond, mittvierzig, in spießig-weibliche Eleganz gestopft, sitzt mit ausdrucksloser Miene ihren Job ab und stellt dumme Fragen: „Halten Sie die Situation am Lenne-Dreieck für glücklich?“ Der Senator sagt: „Nein, sie ist wahrlich nicht glücklich.“ Das Nichts ist fast erreicht, die schlaftreibenden Erzählungen des Senators („Ich habe mit sämtlichen Präsidenten der Gerichte gesprochen, die Leiter der Strafvollzugsanstalten und die Generalstaatsanwälte empfangen...“) haben mich bereits in einen tranceähnlichen Zustand versetzt; Frau Kolmar schaut abwesender denn je, da passiert etwas ganz Unerwartetes, ein winziger Augenblick nur, etwas, was der Hirnforschung geradezu revolutionäre Erkenntnisse verheißen könnte, wenn man die Sache vertiefte: Der Restverstand, jenes neuronale Biotop im öffentlich -rechtlich verödeten Synapsengestrüpp, schlägt ein Schnippchen und läßt Frau Kolmar eine ulkige Frage stellen der Senator: “... habe mich in der Strafvollzugsanstalt in Tegel umgesehen...“ - Frau Kolmar: „War's schön?“ Doch sofort hat sie sich wieder gefangen: “... wenn man das überhaupt sagen kann“, und der eine Schrecksekunde lang verdutzte Senator setzt sein Gedönse fort.

Im höchsten Zustand der Dösigkeit, in der routiniert -journalistisch bedingten vollkommenen Abwesenheit von Sinn und Verstand, formiert sich dieser ungewollt satirisch, anarchisch neu. Welch eine Chance! Das Hirn als natürlicher Verbündeter der Revolte. Einfach toll!

Die - von Christine Kolmar redigierte - 'Abendschau‘ zeigt sich auch diesmal von ihrer besten Seite, dem SAT 1-Ideal nacheifernd mit MAZ-Faxen, mit beschwingtem Synthie-Geseiche zum Text-Singsang der Reportagen. Und so lehne ich mich genießerisch entspannt und erwartungsvoll zugleich zurück, als geradezu stilbrechend inmitten dieser ganzen Gemütlichkeit verkündet wird: „Terror gegen taz -Redakteure!“

Doch so sehr zum Beispiel Myriam Moderow und Gerd Nowakowski auch bemüht sind, ihr Bedroht- und Betroffensein TV-gerecht mit sorgenumwölkter Miene an das breite Publikum zu bringen - die buddhistische Tralala-Maschine verweigert ihnen auf mysteriöse Weise den Anschein der Glaubwürdigkeit (und so will auch keine rechte Spannung aufkommen). Dabei ist die Story gar nicht mal so schlecht: Knüppelschwingend knochenbrechende Haßkappen bedrohen unerschrockenen Reporter, weil er die Wahrheit schreibt. Nicht nur, daß sie Gerd Nowakowski das Auto eingedellt, angeblich den Keller geheizt haben und ihn nach dessen Aussage beim Staatsschutz nun aus dem Kiez vertreiben will, nein, nunmehr sind alle freiheitsliebenden Menschen bedroht, so auch Kollegin Moderow. Zwar hat es bisher noch keinen einzigen blauen Fleck gegeben, aber man befürchtet das SCHLIMMSTE. „Ich muß damit rechnen, daß, wenn ich nach Hause gehe, Leute vor meiner Tür stehen und mich zusammenschlagen“, sagt Myriam, und so schreibt sie „über bestimmte Themen“ nicht mehr: „Es gibt hier keine Möglichkeit mehr, seine Meinung frei zu äußern...“ Und deshalb, so 'Abendschau'-Reporter Wolfgang Kandeler, „gibt es inzwischen die Ankündigung einiger Redakteure zu gehen, falls das Blatt nicht jeden Gewaltakt gegen die Pressefreiheit verurteilt.“ Myriam ergänzt: „Es muß klar sein, daß man hier seine Meinung äußern kann, daß wir die Freiheit der journalistischen Arbeit hochhalten..., aber das ist vielen Leuten hier im Projekt überhaupt nicht klar, die denken immer noch, wer was Falsches schreibt, der darf geprügelt werden.“

Das geht natürlich NICHT.

Und auch, daß der Mob der Straße bestimmt, was in der taz zu stehen hat. Das geht auch nicht. Ein Redakteur ist schließlich allein seinem Gewissen verpflichtet. Und seinem Verstand. Was aber, wenn der fehlt? Wenn medienerfahrene Redakteure zum Beispiel glauben, zwischen Pampers-Werbung, Wolf + Rüffel und debil-Berliner Abendschauheiterkeit ihr hehres Anliegen vorbringen zu können, ohne daß man es mit Werbung und Propaganda verwechselt? Aber darf man sie deshalb schlagen? Ich denke: Nein. Ist doch gar nicht nötig.stein