: Höfischer Taylorismus
■ Cecil Taylors Derwischtänze um den Fetisch Klavier
Cecil Taylor im Hinterhof der Klavierfabrik Bechstein in Kreuzberg. Der Flügel glänzt poliert in der Sonne, wie ein Ausstellungsstück, das gerade erst fertiggestellt worden ist. Hinter dem Fenster einer Fabriketage stehen einige Mitarbeiter der Firma und beäugen das Spektakel im Hof. Das Fenster bleibt vorsichtshalber geschlossen. Unten, vor hochaufgetürmten Edelhölzern, wartet das Publikum auf den Maestro.
Auf dicken Strümpfen kommt er durch das Fabriktor, in seinem schneeweißen, wallenden Gewand sieht er nicht gerade wie ein Arbeiter nach der Schicht aus. Als er sich an den Flügel setzt, weht der Wind seine Notenblätter unters Volk. Was mag auf den Zetteln eines Pianisten verzeichnet sein, der ein ganzes Konzert lang improvisiert. Linien, Brüche, Punkte, oder Strichmännchen?
Cecil Taylors Klavierspiel entwickelt sich nicht in Harmonien und begleitenden Rhythmen. Er schlägt mit der Handfläche, der Faust oder dem ganzen Unterarm auf die Tasten, gleichzeitig verfolgt die andere Hand zisilierte Tonreihen. Er entwirft Klangflächen, die nicht mehr aus Tonfolgen, sondern aus eruptiver Energieentladung zu bestehen scheinen. Manchmal schweift man ab beim Zuhören, verliert sich in Gedanken, aber Taylors Faust schlägt auf die Tasten, als wolle er jeden bestrafen, der ihm nicht intensiv genug zuhört. Man glaubt ein System in den disharmonischen Harmonien zu erkennen, das alles zusammenhält, aber im gleichen Moment wird es wieder zerstört. Dann wird es ruhiger, man hofft auf eine Erholungsphase, und schon ist alles vorbei. Bevor man die Augen öffnet, ist Cecil Taylor schon verschwunden. Man möchte alles noch einmal, wie in Zeitlupe hören, aber es ist nicht wiederholbar.
Nach der Pause hört man Gesang aus der Hofdurchfahrt hinter dem Klavier, zunächst sieht man Taylor nicht, dann tanzte er ein Stück vorwärts, zieht sich wieder zurück, versteckt sich hinter dem Flügel. Er singt, mitunter aufbrausend schreiend, einen Text vom Blatt, „the world ist devided into sixteen pieces ... the secrets of (a) man ...“ Taylor scheint das Piano zu beschwören, er tanzt mit fliegenden Beinen herum, schlägt auf den Deckel ein, der ihm gleichzeitig als Sichtschutz vorm Publikum dient. Langsam, wie ein Blinder, tastet er sich hervor, starrt die Leute mit großen Augen an und klammert sich an seine „Notenblätter“.
Er spielt weiter, im zweiten Stock der Klavierfabrik wird vorsichtig ein Fenster geöffnet. Die Klavierbauer schauen immer noch ein wenig mißtrauisch auf den Mann an ihrem Klavier. Vielleicht sind sie die einzigen Zuhörer, die diese Musik, die vor Jahren von Schockierten den Horrorbegriff „Freejazz“ verpaßt bekam, noch als Provokation empfinden.
Ob die Rebellion gegen die herrschenden Klaviaturen inzwischen nicht auch schon zum hohlen Ritual erstarrt ist, fragt man sich einige Tage später beim Duokonzert Taylors mit dem Schlagzeuger Paul Lovens. Wie beim Solokonzert vollführt Taylor seinen Derwischtanz um den Fetisch Klavier, nur diesmal in der Kongreßhalle. Seinen Mitspieler scheint er kaum wahrzunehmen, er hämmert und schlägt auf die Tasten, bloß keine Ruhepause einlegen, der Gegner am Schlagzeug könnte sie ausnutzen. Und auch Lovens knüppelt und wirft mit den Becken, daß es nur so scheppert. Ordnungen werden kaum sichtbar, man wohnt einem musikalischen Egotrip bei, zwei Narzisten buhlen um die Publikumsgunst. Nachdem sie ihr Territorium abgesteckt haben, spielen sie im zweiten Set dann aber doch schüchtern aufeinander zu. Lovens hat sein Schlagmaterial rundherum verteilt, überall liegen Becken und Bleche, die er aufhebt, auf die Trommel legt und krachend zurück auf den Schrotthaufen wirft.
Die Stärke dieser improvisatorischen Musikmaschinerie liegt in ihrer kompromißlosen Abstraktheit, sie bietet dem Hörer aber kaum Zutrittsmöglichkeiten, wie in einem hermetisch abgeriegelten Gebäude steht man entweder verzweifelt vor der Tür oder findet nicht wieder heraus.
Im Rahmen des einmonatigen Aufenthalts Cecil Taylors in Berlin veranstaltet die Werkstatt E88 auch eine Reihe von Workshops, geleitet von Mitgliedern der „Cecil Taylor European Big Band“. Taylor selbst leitet eine „Piano Master Class“. Die Musiker der Big Band bestreiten außerdem Session -Konzerte, deren Zusammensetzung immer erst nachmittags bei den Proben festgelegt wird. Freitag abend mußte man ohne den Pianisten auskommen. Das Trio Peter Brötzmann, Saxophone; William Parker, Bass; und Han Bennink, Schlagzeug, versucht die gerade renovierte Kongreßhalle wieder ein bißchen in Schwingung zu versetzen, einen erneuten Dacheinsturz würde man im Keller der Halle, wo die Konzerte stattfinden, wahrscheinlich kaum bemerken. Meterdicker Beton schützt uns vor der Umwelt.
Nicht einmal Peter Brötzmann, der normalerweise jede 100jährige Eiche mit einem Saxophonhieb umbläst, dürfte im Tiergarten noch zu hören sein. Wer den schnaufenden, mit den Füßen stampfenden Brötzmann einmal im engen FMP-Studio erlebt hat, etwa im Duo mit Alfred Harth, behält ein infantiles Saxophontrauma zurück. Aber in dieser Ausgeburt einer Auster, die nicht rechtzeitig abgetrieben wurde, verpufft der schrägste Saxophonschrei zu Luft.
Andreas Becker
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen