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Kriegskommunismus und Humanität

■ Das Dilemma der Hungerhilfe für Äthiopien / Aus Addis Abeba Knut Pedersen

Keine Hilfe erfolgt im politikfreien Raum reiner Humanität. Schon gar nicht in den Hungergebieten Äthiopiens. Im April schockierte Präsident Mengistu die Weltöffentlichkeit mit der Ausweisung internationaler Hilfsorganisationen. Mengistu insistiert auf der Verteilung der Hilfsgüter in eigener Regie. Es wird vermutet, daß er auf diesem Weg die eigenen Truppen gleich mitversorgt. Denn die sollen die aufständischen Provinzen Eritrea und Tigre „befrieden“. Ebenso wenig ist es ein Zufall, daß sich die Hilfstransporte in die Nordprovinzen des Landes verzögern. Was tun? Die EG, Äthiopiens wichtigster Spender, stellt keine Bedingung für die Gewährung von Hilfe. So wurde auch nur den EG- und UNO -Beobachtern gestattet, die Verteilung der Hilfsgüter im Norden zu überwachen. Rupert Neudeck vom Hilfskomitee Cap Anamur hält dagegen politisch indifferente Hilfe für falsch. Er fordert die EG auf, Konsequenzen aus dem Verhalten Mengistus zu ziehen.

Seit der Generalmobilmachung Ende März ist der Krieg im Norden auch in Addis Abeba zur alltäglichen Erfahrung geworden. Während ganze Herden abgeschlachtet und „an die Front“ verschickt werden, geht den Metzgereien der äthiopischen Hauptstadt gelegentlich das begehrte Rinderfleisch aus. Und bereits bei Tagesanbruch stehen Frauen und Kinder an den Tankstellen Schlange: Mit ihren kleinen Kanistern oder auch nur Flaschen warten sie hier den ganzen Tag - oft vergeblich - auf ein paar Tropfen Lampenöl. Die offizielle Presse denunziert unterdessen die „Spekulationssucht skrupelloser Händler“, deren Preise für Obst und Gemüse in den vergangenen Monaten um 30 Prozent in die Höhe geschnellt sind. Das freilich betrifft kaum die breite Bevölkerung, die im wesentlichen von „Tef“, einem gesäuerten Fladenbrot lebt. Und was in den staatseigenen Läden nicht in endlos aufgereihten Regalen steht, findet sich noch allemal im „Mercato“, dem Marktviertel Addis Abebas: im Duft von Weihrauch und Kaffee wird hier alles gehandelt, von orientalischen Gewürzen über westliche Videokassetten bis hin zu koptischen Ikonen und sowjetischen Kalaschnikows.

Noch herrscht kein Mangel in Addis Abeba, aber für eine wachsende Mehrheit der Bevölkerung ist das Warenangebot zur unerschwinglichen Illusion geworden. Zumal die städtischen Gehaltsempfänger zur Kriegskasse gebeten werden: Alle Arbeiter, Beamten und selbst Rentner müssen einen Monatslohn an den Staat abführen. In einem Land, in dem seit der „Revolution“, das heißt seit 14 Jahren, Lohnstopp herrscht, geht solches „Kriegsopfer“ an die Substanz. Die Kaufkraft eines durchschnittlichen Renteneinkommens reicht ohnehin nur zum Erwerb von 16 kg Tefmehls aus, und ein Tagelöhner selbst wenn er immer Arbeit findet - bringt es für sich und seine Familie auch nur auf 25 kg. Davon kann man weder leben noch sterben, und so blühen im sozialistischen Äthiopien Schwarzmarkt, Prostitution und Korruption.

Ist die äthiopische Revolution seit 1974 je etwas anderes gewesen als nationalistischer Kriegskommunismus? Man konnte sich der Frage kaum entziehen, als anläßlich des OAU -Treffens Oberst Mengistu Haile Mariam sechs Stunden lang über die „uneinnehmbare äthiopische Zitadelle“ dissertierte. Im stahlblauen Proletarieranzug nordkoreanischer Inspiration erklärte er Journalisten den „jahrtausendealten Widerstand gegen die arabische Gefahr“ und schließlich die italienischen Faschisten, deren koloniales Abenteuer hier ein rasches Ende fand. „Auf ihrem Rückzug haben sie aus dem Nichts das sogenannte Eritrea geschaffen, das seitdem fremden Mächten als Einfallstor nach Äthiopien dient“, spann der äthiopische Staatschef den historischen Faden. Kaum überraschend, daß sich darin der eritreische Sezessionskampf heillos verstrickt: Für Oberst Mengistu sind die Guerilleros der eritreischen Volksbefreiungsfront (EPLF) nichts anderes als „Terroristen“ und „Banditen, die aus dem Krieg unglaubliche Gewinne schlagen“.

Ist in diesem entfesselten Kampf gegen „Terroristen“ Hunger eine Waffe? Oberst Mengistu weist den Verdacht weit von sich: „Wäre es auch nur vorstellbar, daß eine Regierung, die dank des Volkswillens an die Macht gekommen ist, sich ihrerseits gegen das Volk wendet?“ Das ist im besten Falle ein Appell an ideologische Blauäugigkeit. Tatsache ist hingegen, daß die Regierungstruppen in Sheab rund 600 Zivilisten massakriert haben und nach Augenzeugenberichten beispielsweise bei ihrem Rückzug aus dem westeritreischen Tessenei - nurmehr „verbrannte Erde“ hinter sich ließen. Vor allem aber: Die Regierung hat dem Internationalen Roten Kreuz seit dem 13. April im Norden die Hungerhilfe untersagt. Warum? Weil anders als die Vereinten Nationen und kirchliche Organisationen das Internationale Rote Kreuz Nahrung überall und mithin auch außerhalb der „Regierungszonen“ verteilt. „Wissentlich oder unwissentlich ernährt die internationale Nahrungshilfe eine riesige Feindarmee“, erklärte Mengiste Haile Mariam ohne Umschweife.

Man will nicht immer wissen - und oft aus gutem Grund -, was jedermann weiß oder zumindest wissen könnte. Versucht die äthiopische Regierung, die Rebellion im Norden auszuhungern? Auf diese einfache und klare Frage will von den Geberorganisationen fast niemand antworten. Es herrscht eine Grundstimmung, die ein älterer Deutscher in Addis Abeba in Erinnerung an die Nazizeit treffend als „Konkordatsmentalität“ bezeichnet. Man versucht sich zu „arrangieren“, um den Eklat zu vermeiden und weiterhin zu helfen „dort, wo es noch möglich ist“. Vor vier Jahren, im Zusammenhang mit der massiven Zwangsumsiedlung von mehr als einer halben Million Menschen, wurde in Äthiopien die französische Hilfsorganisation „Medecins sans frontieres“ des Landes verwiesen. Weniger spektakulär, aber in vergleichbarer Weise sieht sich heute das Internationale Rote Kreuz aus der „Helfergemeinschaft“ ausgesondert und ins abseits gestellt.

Man hätte Unrecht, hier einfältig zu räsonnieren: Die Kraftprobe ausländischer Hilfsorganisationen mit dem äthiopischen Regime ist eine moralische Genugtuung, die niemandem nutzt. „Äthiopien ist ewig“, erklärt mit kaltem Lächeln ein hoher Regierungsbeamter. „Wir sind heute 46 Millionen Äthiopier, und die jährliche Wachstumsrate der Bevölkerung liegt bei drei Prozent. Selbst in den besten Jahren fehlen uns mindestens eine halbe Million Tonnen Nahrung, um alle zu ernähren. Im nächsten Jahrzehnt wird das jährliche Nahrungsdefizit bei rund zwei Millionen Tonnen liegen. Glauben Sie im Ernst, der Westen kann Mengistu damit erpressen, daß ausgerechnet im aufständischen Eritrea zwei oder drei Millionen Menschen verhungern?“ Die Antwort ist ebenso klar wie deprimierend. Und die Mehrzahl der westlichen Helfer beugt sich ins Joch.

Benno Haffner, der Delegierte der Europäischen Gemeinschaft in Addis Abeba, spricht von „schweigsamer Diplomatie“ und vom stillen Wirken der kirchlichen Hilfswerke, „die nicht die große Klappe aufreißen“. Ihm zufolge hat die EG es nie auf die Kraftprobe ankommen lassen, „obwohl oder weil Mengistu genau weiß, wieviele Bataillone wir zählen“. Und im Gegenlicht moralischer Bescheidenheit zählt der Deutsche das materielle Gewicht europäischer Hilfe aus: insgesamt liefern die zwölf EG-Staaten dieses Jahr eine halbe Million Tonnen Nahrungshilfe, ebenso viel wie die USA und die UdSSR zusammen. Und wie verhält sich die EG angesichts der Tatsache, daß im Norden Nahrung zur Waffe geworden ist? Benno Haffner gehen bei insistentem Fragen die Nerven durch. „Wir tun, was wir können, und hängen nicht alles an die große Glocke.“ Der Aufruf Rupert Neudecks von der deutschen Hilfsorganisation Cap Anamur, der nach einer Reportage auf Seiten der eritreischen Rebellen die Einstellung der offiziellen Hilfslieferungen an die äthiopische Regierung und die Direktversorgung der Zivilbevölkerung verlangt, bringt ihn endgültig aus der Fassung. „Ich kenne ihn nicht und kann nur bedauern, daß er so etwas ernsthaft verlangt. Von dem, was wir hier tun, hat er offensichtlich keine Ahnung.“

Im Gegenteil: Von welcher Seite sie auch kommen mag, die Kritik der Hungerhilfe in Äthiopien verrät böse Ahnungen oder plagende Gewissensbisse. Eine moralisch bequeme Haltung ist offenbar unmöglich geworden. Sicher ist nur, daß im Norden in den kommenden Wochen Menschenleben auf dem Spiel stehen: Hunderttausende, eine oder gar zwei Millionen? Niemand weiß es so recht, weil auch die Hungerhelfer fortan „ihr“ Lager wählen müssen. Mit Ausnahme des Internatioanlen Roten Kreuzes sind alle Hilfsorganisationen in Addis Abeba bereit, sich den Auflagen der Regierung zu beugen: fortan wird internationale Nahrungshilfe transportiert und verteilt, wo es vom herrschenden Regime für möglich und nötig gehalten wird. „So erreichen wir wenigstens die Hälfte oder zwei Drittel der betroffenen Zivilbevölkerung“, erklärt illusionslos ein Helfer, der gleichwohl „dafür betet, daß unsere Gewissenhaftigkeit nicht auf Kosten des Gewissens geht“.

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