: Mutlangen-Blockierer aufgepaßt!
Das überlastete Amtsgericht Schwäbisch Gmünd bietet „ErsttäterInnen“ einen Deal an: Einstellung des Verfahrens gegen Zahlung einer Geldbuße / Vermutlich 800 bis 1.000 BlockiererInnen betroffen ■ Von Petra Bornhöft
Berlin (taz) - Die mehrere tausend Fälle umfassenden Strafverfahren gegen BlockierInnen hat eines der überlasteten Gerichte zu einem ungewöhnlichen Deal veranlaßt. Das Amtsgericht Schwäbisch Gmünd bietet derzeit BlockiererInnen des Raketendepots Mutlangen an, ihr Verfahren gegen Zahlung einer Geldbuße einzustellen. Nicht jedem selbstverständlich, sondern nur „Ihnen als Ersttäter/in“, wie es in den standardisierten Briefen heißt. In diese Kategorie vermeintlicher Krimineller gehören nach Schätzungen Klaus Vacks vom „Komitee für Grundrechte und Demokratie“ rund 800 bis 1.000 Personen.
Soweit bisher bekannt, schlägt das Amtsgericht den Briefempfängern Geldbußen zwischen 150 und 1.200 Mark vor. Die Beträge liegen unter dem Strafmaß, das die Fließband -Rechtsprechung in Schwäbisch Gmünd für Blockierer festzusetzen pflegt. Ob jemand auf das trickreiche Angebot eingegangen ist, wurde bisher nicht bekannt.
In der Begründung seiner Offerte behauptet das Amtsgericht, „durch den zu erwartenden Abzug der Pershing-II-Raketen“ bestehe „keine Veranlassung für eine erneute Handlungsweise, wie diejenige, die hier in Rede steht“. Außerdem könne die „Rechtsfrage der Strafbarkeit von Sitzblockaden“ durch den Beschluß des Bundesgerichtshofes (BGH) vom Mai diesen Jahres „als geklärt angesehen werden“.
Diese Aussage bewegt sich haarscharf an den Tatsachen vorbei. Erst am letzten Montag sprach das Landgericht Bad Kreuznach zwei Blockierer vom Vorwurf der Nötigung frei (vgl. taz vom 6.7.88). Gebunden an den BGH-Beschluß „ist das Oberlandesgericht und das untergeordnete Land- und Amtsgericht, deren ganz konkrete Entscheidungen zu dem BGH -Urteil geführt haben. Alle anderen Gerichte sind völlig frei“, sagte der frühere Richter am Bundesverfassungsgericht Martin Hirsch kürzlich in einem taz-Interview und ermutigte die Richterschaft „selber nachzudenken und von der BGH -Entscheidung abzuweichen“. Die Sitzblockade vor dem US -Giftgaslager in Fischbach Ende Juni, zu der auch Martin Hirsch aufgefordert hatte, sollte unter anderem dem Ziel dienen, ein neues BGH-Urteil zu erwirken. Erwartungsgemäß reagierten die Behörden mit Strafanzeigen.
Einige der auf diese Weise Kriminalisierten gehören zu den „Mehrfachtätern“ von Mutlangen, deren Strafverfahren Staatsanwaltschaft und Amtsgericht sehr viel schneller durchziehen können, wenn der Deal mit den „Ersttätern“ klappt. Diese Absicht jedenfalls vermutet Klaus Vack, der die Betroffenen davor warnt, das „rechtsopportunistische 'Angebot‘ anzunehmen“. Wenn sich die RüstungsgegnerInnen nicht in „Erst- und Mehrfachtäter“ spalten lassen, dürften Richter und Staatsanwälte jahrelang mit den Blockade -Prozessen beschäftigt sein.
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