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„Schunkelnde Seefahrerromantik“

■ ... assozierten einige BesucherInnen zum „Akkordeon“. Daß man dem Instrument auch andere Töne entlocken kann, bewies Ina Lindemann, Ostberlin, am Samstag im Gerken

Thomas dachte dabei sofort an die trachtentümelnde Schunkelseligkeit des Kufsteinliedes. Für Julia kann es atmen und fauchen wie kaum ein anderes Instrument. Anna fühlt sich sofort an laszive Tangoschritte erinnert, „aber nicht vor den Leuten hier“. Volkfried stimmte unüberhörbar einen lang gedehnten Bass-Ton an, „genauso wie beim Dudelsack“ und Jürgen hat im Kopf nur das Bild von Seefahrerromantik und Shanty-Chören mit Prinz-Heinrich -Mützen.

All diese Assoziationen kreisten am späten Samstagabend um ein einziges Musikinstrument. Das Akkordeon. Wo sonst Modern Jazz oder Bebop, „Saxy Music“ oder Gitarrenklänge dem Publikum bei Bier und Wein den akkustischen Gesprächshintergrund liefern, hockte diesmal eine junge Frau im rot-weiß-gestreiften Kleid am Ende des Kneipenraumes, eine gelbe Feder-Boa um den Hals geschlungen und spielte mit clownesker Mimik Akkordeon-Musik.

Ruhig wurde es, geradezu andächtig, wenn Ina Lindemann ihr Instrument anstimmte. Die Atmosphäre in der Gaststätte Gerken wirkte gesetzter als sonst, fast getragen. „Ernste und moderne Musik für Akkordeon“ spiele sie,

erklärte die Neubremerin hinterher.

Die Auswahl ihrer Stücke war offenbar eng verflochten mit den Vorlieben ihres Musiklehrers in ihrer Heimat. „Berlin“, gab sie auf die Frage „woher“ an, dabei offenlassend, um welches der beiden es sich dabei handele. Doch als sie dann von den reglementierten und bierernsten „Internationalen Akkordeon-Wettbewerben“ in der DDR erzählte, von ihrem Großvater, der ihr das Akkordeon nahebrachte, als sie sechs Jahre alt war, wurde das Bild der jungen Künstlerin konturierter.

Ihr musikalischer Vortrag bestand aus charakteristischen Musette-Stücken, jenen unverwechselbaren Akkordeon-Walzern, denen ein gewisser Hang zur Sehnsüchtelei nicht ganz abzusprechen ist, englischen Volksliedern, die ein wenig die Tanz-und Schunkelromantik früherer Zeiten vermittelten, sowie moderner Kompositionen der unmittelbaren Nachkriegszeit.

Daß es sich um ein vielseitiges Musikgerät handelt, führte Ina Lindemann gleich zu Beginn des Abends vor. Sehr unterschiedliche Töne entlockte sie ihrem voluminösen Apparat, kurze, in schneller Folge gespielte Klänge,

ebenso wie lange, getragene Töne, die sich im Ohr so mancher gespannter ZuhörerInnen regelrecht festsetzten. Ein starkes und präsentes Engagement für ihr Instrument und ihre Musik war ihr auch ohne viel Hintergrundwissen anzumerken. Das Publikum reagierte konzentriert bis hellauf begeistert und wollte immer mehr. So lockerte sich auch die anfängliche Verlegenheit und Unsicherheit der jungen Dame zusehends. „Eins mit dem Instrument“, wollte sie gerne sein, und die Besucher glaubten es ihr.

So spielte sie neben einigen klassischen Stücken auch Unterhaltungsmusik aus der Tango-Ecke, „weil Unterhaltung auch mal sein muß“. Ihr seltsam sakrales „Lieblingsstück“, das sie mit einigem Gefühl dem Publikum darbrachte, spiegelte so garnicht die unkomplizierte Art der Musikerin wider, die eigentlich mit wissenschaftlicher Arbeit im Mathematik-Bereich ihr Geld verdient. Sehr viel Beifall, ein fast stürmischer Applaus entlockten ihr einige Zugaben.

Mit gewinnendem Lächeln spielte sie weiter und sprach hinterher von ihrem Instrument wie von einem Freund: „Ich fühle mich ganz wohl dahinter“.

Mins Minnssen

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