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„Vom Wind der Laune aufgewühlt“

Afghanischer Widerstand über Cordovez Friedensvorschläge zerstritten / Mudjahedin attackieren Kabul / Zukünftige Staatsform ungewiß / Einberufung der Stammesversammlung soll „gute alte Zeiten“ wiederbringen  ■  Von Ahmad Taheri

Frankfurt (taz) - Der „Vater des afghanischen Friedens“, wie Diego Cordovez, der langjährige UNO-Vertreter bei den Genfer Afghanistan-Verhandlungen gelegentlich apostrophiert wird, ist zwar mittlerweile Außenminister seines Heimatlandes Ecuador. Doch der Krieg in Afghanistan läßt ihm weiterhin keine Ruhe, zumal sich in den letzten Wochen die Übergriffe der Mudjahedin auf die afghanische Hauptstadt häufen. Erst gestern forderten Bombenexplosionen in verschiedenen Stadtvierteln mindestens acht Menschenleben.

In den vergangenen Wochen hielt sich Cordovez in Teheran, Islamabad und Kabul auf, um die Konfliktparteien im afghanischen Krieg für seinen Plan zur Beendigung der Kämpfe am Hindukusch zu gewinnen. Danach sollen die Waffen ab 1.September im afghanischen Bergland schweigen. Eine „neutrale Übergangsregierung“, die allseits akzeptiert wird, soll dann die Loja Djorga, die traditionelle all-afghanische Versammlung, zwecks Bildung einer nationalen Regierung bis spätestens März 1989 einberufen. Der Vorschlag des lateinamerikanischen Diplomaten fand nicht nur bei den in Bedrängnis geratenen Kabuler Kommunisten Zustimmung. Nach der „National-Islamischen Front Afghanistan“ von Sayed Pir Gailani hat am Montag eine zweite Mudjahedin-Gruppe ihre Unterstützung für die Friedensvorschläge bekundet. Doch die militärisch stärkeren fundamentalistischen Fraktionen der „afghanischen Mudjahedin-Allianz“, in der die sieben wichtigen sunnitischen Widerstandsgruppen seit zweieinhalb Jahren zusammenarbeiten, winkten ab. „Diego Cordovez“, so erklärten sie, „versucht uns zu überreden, mit Kommunisten, den Mördern unseres Volkes, gemeinsame Sache zu machen.“

Man kann indessen den muslimischen Aufständischen nicht verdenken, wenn sie sich mit den Kommunisten in Kabul sich die Macht teilen wollen. Dafür sind die ideologischen, politischen und psychologischen Gräben zu tief. Hinzu kommt, daß der Widerstand sich bereits als Sieger dünkt, was auch der tatsächlichen militärischen Lage entspricht: seit dem Abzug der Sowjets aus den südöstlichen Provinzen sind die Mudjahedin, wie die Berichte aus dem umkämpften Land besagen, auf ganzer Linie im Vormarsch.

Die Zahl der Dörfer und Ortschaften, die „zu den befreiten Gebieten“ zählen, nimmt täglich zu. Die zweitgrößte afghanische Stadt Khandahar, glaubt man den Berichten, befindet sich faktisch in der Hand der muslimischen Kämpfer. Und die wichtigen Städte im Südosten, wie Djalalabad oder Khost können nicht sehr lange den massiven Attacken der Rebellen standhalten. Selbst in Kabul, wo täglich Bomben explodieren und Raketen einschlagen, kommt Nadjibullah, der afghanische Staatschef, nicht zur Ruhe. Dem gegenüber befindet sich die reguläre afghanische Armee, demoralisiert durch den Abzug ihrer sowjetischen Helfer, in einem desolaten Zustand. Scharenweise sollen Soldaten samt ihren Waffen zu den muslimischen Brüdern überlaufen.

Der afghanische Widerstand hat zwar zur Genüge Mut und Beharrlichkeit gezeigt, doch ihm fehlt es bis heute an einem halbwegs realistischen, politischen Konzept für die Zukunft sowie an allgemein anerkannten politischen Persönlichkeiten. Denn die Bevölkerung hielt sehr wenig von den Rebellenführern, gleich welche Fahne sie auch immer hißten. Als einziger genießt vielleicht der Ex-König Zaher-Shah bei der Bevölkerung ein gewisses Ansehen. Nach dem fast zehnjährigen Versuch der Kommunisten, die Stammesgesellschaft Afghanistans mit Gewalt in einen modernen zentralistischen Staat umzuwandeln, symbolisiert der 77jährige Monarch die guten alten Zeiten.

So kommt nicht von ungefähr, daß Nadjibullah sich um den betagten Souverän bemüht, der seit 1973 im römischen Exil lebt. Er appellierte, mehrfach an den König, er möge nach Afghanistan zurückkommen und zur Bildung einer nationalen Regierung beitragen. Der verbannte Ex-König ist bei den sieben Widerstandsführern höchst umstritten.

Während die drei moderaten Mudjahedin-Führer Sibghatullah Modjaddehi („Nationale Befreiungsfront“), Sayyid Gailani („Islamische Front“) und Mohammed Nabi („Bewegung der Islamischen Revolution“) den König als künftiges Staatsoberhaupt sehen wollen, lehnen die radikalfundamentalistischen Führer Gulbuddin Hekmalyar („Islamische Partei“) und Abdul Rasul Sayyaf („Islamische Einheit für Freiheit Afghanistans“) den König als „Weintrinker und Kommunistenfreund“ ab. Zwei weitere halbfundamentalistische Führer, Yunus Khales („Islamische Partei II“) und Burhanuddin Rabbani („Islamische Versammlung“), halten sich abwartend.

Ein weiterer Streitpunkt innerhalb der Allianz, der eng mit der Rolle des Zaher-Shah verbunden ist, ist die Frage der Loja Djorga. Die Königstreuen sehen in Loja Djorga die traditionelle afghanische Versammlung, wo Staatsoberhäupter, angesehene Geistliche, städtische Notabeln und andere afghanische Honoratioren zusammenkommen, die einzige Instanz, die die Regierung bestimmen kann. Sie hoffen, daß Loja Djorga sich für den König entscheidet. Die Fundamentalisten aber plädieren für allgemeine Wahlen nach dem Abzug der Sowjets, nicht zuletzt, um Zeit zu gewinnen und ihre Machtpositionen militärisch zu festigen. Umstritten ist auch die zukünftige Staatsform in Afghanistan. Während den Moderaten eine zwar islamische, aber pluralistische, dezentralisierte Regierungsform vorschwebt, wollen die Fundamentalisten einen Gottesstaat, gegründet auf einer strengen Auslegung der Scharia, des islamischen Gesetzes. „Es gibt entweder einen islamischen oder einen nicht -islamischen Staat, dazwischen gibt es nichts“, sagte Hekmalyar im Mai.

Bei so vielen grundlegenden Differenzen darf man davon ausgehen, daß nach dem Sieg über das Kabuler Regime eine neue Phase des Bürgerkriegs eintritt: Der Kampf der muslimischen Gruppen untereinander. Dabei werden die regionalen Mächte wie Pakistan, Iran und Saudi Arabien, die das Land am Hindukusch als ihre eigene Domäne betrachten, dafür sorgen, daß ihrem jeweiligen Klienten die Munition nicht ausgeht. Die „Afghanen“, schrieb Friedrich Engels vor fast hundert Jahren im fernen London, „sind ein tapferes, zähes und freiheitsliebendes Volk ... Nur ihr unbezwinglicher Haß auf jede Herrschaft und ihre Vorliebe für persönliche Unabhängigkeit verhindern, daß sie eine mächtige Nation werden; aber gerade diese Ziellosigkeit und Unbeständigkeit im Handeln macht sie zu gefährlichen Nachbarn, die leicht vom Wind der Laune aufgewühlt oder durch politische Intriganten, die geschickt ihre Leidenschaften entfachen, in Erregung versetzt werden können.“

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